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Warum Donald Trump?
Die Mehrheit der Europäer fürchtete seine Wiederwahl, die Mehrheit der Amerikaner sehnte sie herbei. Dafür gibt es Gründe, und die Erwartungen sind nun groß. Eine Spurensuche bei freundlichen Leuten
Alexandria Ocasio-Cortez ist charismatisch, eloquent und ziemlich weit links in der Demokratischen Partei positioniert. Ihre Wiederwahl ins Repräsentantenhaus erreichte sie spielerisch mit knapp 70 Prozent. Kein Wunder, ihr Kürzel AOC ist zu einer landesweit bekannten Marke geworden, die für Frische, Scharfsinn und linksprogressive Politik steht. Sie kommt aus dem erzdemokratischen New Yorker Stadtteil Queens und spielt überdies so virtuos auf der Klaviatur der sozialen Medien, dass Parteigenossen sie gelegentlich um Nachhilfe angehen.
AOC machte bei der Auswertung der jüngsten Wahl eine verblüffende Feststellung: Einige Hundert Wähler hatten sowohl sie als auch Donald Trump gewählt. Für Leute, die in den demokratischen Monokulturen der Küstengroßstädte sozialisiert wurden, wirkt das, als sehnten sich Wähler eine Koalition zwischen einem Engel und Beelzebub herbei.
Auf Instagram fragte die Politikerin ihre Basis nach dem Grund dafür. „Das ist einfach. Trump und dir liegt die Arbeiterklasse am Herzen“, antwortete ein Wähler. „Habe Trump gewählt. Aber ich mag dich und Bernie (Sanders, linker Senator, die Red.). Den Politikern des Establishments der jeweiligen Partei traue ich nicht“, kommentierte ein anderer. „Ich habe das Gefühl, dass ihr beide Außenseiter seid in Washington“, lautete eine Antwort. „Ihr seid beide wahrhaftig, ist mein Gefühl“, lobte eine Wählerin.
Die Episode zeigt, dass sich das Phänomen Trump nicht durch Anwendung des klassischen Rechts-links-Schemas entschlüsseln lässt. Gewerkschaften geben ein weiteres Beispiel. Sie waren über Jahrzehnte hinweg Großspender und treue Stimmenlieferanten der Demokraten.
Diesmal gab die Führung der Autogewerkschaft UAW nicht nur ihre Unterstützung für Trumps Widersacherin Kamala Harris bekannt, sie schickte 5000 Freiwillige im wichtigen Swing-State Michigan los. Diese klopften nach eigenen Angaben an 250.000 Haustüren, um für Harris zu werben. Es war eine der teuersten und aufwendigsten Kampagnen, die die Gewerkschaft jemals begonnen hat. Das Resultat war mau. Die Demokraten verloren nicht nur ihre alte Hochburg Michigan, gut 44 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder wählten nach einer Wahlanalyse des Senders NBC Trump.
Er hat Zeit, Geld und hegt tiefen Zorn
Brian Pannebecker ist nicht unschuldig an der Entwicklung. Er gründete die Facebook-Gruppe „Auto Workers for Trump“, die Tausende von Anhängern aus der Auto- und Zulieferindustrie versammelte. Über Jahrzehnte hinweg war der deutschstämmige Pannebecker Gewerkschaftsmitglied, 25 Jahre davon bei der Autogewerkschaft UAW. Er trat aus, als Michigan die Praxis beendete, dass die Arbeiter für bestimmte Jobs Gewerkschaftsmitglieder sein mussten. Auf regionaler Ebene hat Pannebecker auch Demokraten gewählt, auf Bundesebene gehörte seine Stimme aber stets den republikanischen Präsidentschaftskandidaten.
Der ehemalige Ford-Arbeiter ist ein eloquenter, belesener und freundlicher Mann, der mit einer alten Familientradition brach, als er begann, republikanisch zu wählen. „Irgendwann, um 1970 oder kurz danach, schienen die Demokraten korrumpiert zu werden. Sie ließen zu, dass unsere Arbeitsplätze nach Mexiko und an andere Orte gingen. Sie ließen die arbeitenden Männer und Frauen im Stich und begannen, sich mehr mit den wohlhabenden Eliten an der amerikanischen Küste in New York und Los Angeles zu identifizieren.“
Die Hinwendung der Republikaner zu den Arbeitern begann nach Pannebeckers Wahrnehmung nicht erst mit Trump, sondern schon mit Ronald Reagan, der von 1981 bis 1989 Präsident der USA war. Reagan findet er gut, doch der beste Präsident sei Trump. Pannebecker schätzt an ihm, dass er die Country-Club-Republikaner entmachtet hat. „Donald Trump ist ein Republikaner der anderen Art. Er steht für den einfachen Arbeiter ein.“
Der Kontrast zu Harris könnte aus Pannebeckers Sicht größer nicht sein. „Harris hat sich für die Abschaffung des Verbrennungsmotors ausgesprochen. Wenn wir unsere heimische Autoindustrie dazu zwingen würden, nur noch Elektrofahrzeuge zu bauen, würden wir sie im Grunde den Chinesen ausliefern.“
Für manche ist Trump der Arbeiterführer, für einige ein notwendiges Übel und für andere der Erlöser eines Landes, das einem linksradikalen Putsch anheimzufallen droht. Zur letzten Kategorie gehört der Texaner Erik LaPresta. Er glaubt, dass die 2020er Wahlen zugunsten der Demokraten getürkt waren, dass Joe Biden, Barack Obama und viele andere führende Demokraten ins Gefängnis gehören, die Federal Reserve abgeschafft werden sollte, der gewählte demokratische Senator vom mexikanischen Sinaloa-Drogenkartell bezahlt wird. Das sei vorausgeschickt, um festzuhalten, dass Erik LaPresta ein außergewöhnlich freundlicher, zugewandter Mann ist, der im Gespräch seine eigene Verletzlichkeit erkennen lässt.
Nach seiner Ansicht wurde Trump diesmal vor allem gewählt, weil die Leute gespürt hätten, dass „unser einst angesehenes Rechtssystem benutzt wurde, den politischen Gegner einer anderen Partei zu verfolgen. Das lässt Amerikanern, die miterlebt haben, wie unsere Vorfahren für dieses Rechtssystem gekämpft und gestorben sind, die Haare zu Berge stehen.“ Diese „Entweihung“, wie LaPresta es nennt, sei tief in die Seele einiger Amerikaner eingedrungen und habe die Menschen mobilisiert. LaPresta bezieht sich auf die Klagen gegen Trump, die vor allem von New Yorker Staatsanwälten ausgehen und zum Teil zu Verurteilungen geführt haben.
Was ihn außerdem zutiefst störe, sei, dass die Demokraten abweichende Meinungen entweder als rassistisch abkanzelten oder auf mangelnde Bildung zurückführten. „Das größte Problem der Demokraten war, dass sie überhaupt keine Botschaft hatten.“ LaPresta war in seiner Jugend selbst Demokrat, klopfte an Türen, um für demokratische Kandidaten zu werben. Der Texaner machte nach seinem MBA von der renommierten Duke-Universität Karriere in einem der größten Rohstoffkonzerne. Zeitweise war er zuständig für den Nickel-Verkauf in Nord- und Südamerika. Er spricht drei Sprachen neben Englisch und hat lange in Mexiko gelebt. Inzwischen ist er im Ruhestand und Multimillionär, der viel Geld in Gold angelegt hat.
Mit den Demokraten begann er zu brechen, als Bill Clinton in einer seiner letzten Amtshandlungen als Präsident den berüchtigten flüchtigen kriminellen Rohstoffhändler Marc Rich begnadigte, dessen Ex-Frau Spenderin für Hillary Clintons Wahlkampf und andere Projekte des Politikerpaars wurde. Das zumindest ist kein Verschwörungsgarn, sondern wirklich passiert. Für LaPresta gibt es kein Zurück mehr ins linke Lager, das zeigen vor allem seine Facebook-Einträge. Er hat Zeit, Geld und hegt tiefen Zorn.
Elon Musk – „eine ausgezeichnete Idee“
TJ Baia hat keinen Schaum vorm Mund. Der pensionierte Lehrer lebt im Bundesstaat New York, die Niagara-Fälle sind wenige Meilen entfernt. Er hat bei allen drei Gelegenheiten Donald Trump gewählt, nicht widerwillig, aber doch mit einem leichten Störgefühl. Er hätte gerne, dass Trump weniger grobschlächtig und etwas präsidialer auftritt. Seine Politik findet TJ Baia aber gut.
Baias Familie hat traditionell republikanisch gewählt, sein Vater war Lokalpolitiker. Immer wenn der US-Präsident seine jährliche Ansprache zur Lage der Nation gehalten hat, durfte TJ dafür aufbleiben.
Den Wahlsieg Trumps erklärt Baia damit, dass die Wähler in der einzigartigen Situation waren, zwei unterschiedliche Amtszeiten miteinander vergleichen zu können. Unter Trump erlebte die Wirtschaft einen Aufschwung bei gleichzeitig niedriger Inflation, bevor die Pandemie die Weltwirtschaft erschütterte. Unter der Regierung Biden/Harris stiegen die Preise jedoch plötzlich an. Selbst viele Wähler, die gewöhnlich den Demokraten zuneigten, berichteten ihm, dass sie sich plötzlich vieles nicht mehr leisten konnten. Häuser wurden unerschwinglich, und die alltäglichen Preise im Supermarkt erinnerten sie ständig an die Inflation. Auch wenn diese laut Baia mittlerweile etwas zurückgegangen sein mag, liege sie immer noch deutlich über dem Niveau von vor vier Jahren. „Den Leuten zu sagen, dass es ihnen besser geht, obwohl sie es nicht fühlen, war ein gravierender Fehler“, so Baia. Die Tatsache, dass die USA die Pandemiekrise besser gemeistert haben als viele andere Industrienationen, sei für die Mehrheit der Bevölkerung kaum von Bedeutung.
Baia schätzt an Trump, dass dieser in seiner ersten Amtszeit seine Ankündigungen tatsächlich umgesetzt habe. Er habe konkrete Maßnahmen gegen China und gegen illegale Immigration ergriffen. Ein Punkt, den Baia allerdings kritisiert, ist Trumps Entscheidung, das Haushaltsdefizit massiv zu erhöhen – hier wünsche er sich eine zurückhaltendere Politik. Positiv sieht er hingegen, dass der Milliardär Elon Musk nun eine Rolle in der Effizienzsteigerung der Regierung übernehmen soll. Jeder wisse, dass in vielen Behörden Verschwendung herrsche. Jemanden mit Musks Erfahrung und seiner Fähigkeit, Dinge schnell zu realisieren, zu engagieren, sei eine ausgezeichnete Idee.
Winand von Petersdorff ist seit zehn Jahren Wirtschaftskorrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in den Vereinigten Staaten. Davor gehörte er zu den Entwicklern und leitenden Redakteuren der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.