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"Was steht auf Ihrem Wunschzettel ans Christkind?" - "Frieden!"
Bei Käthe Wohlfahrt in Rothenburg ob der Tauber ist das ganze Jahr über Weihnachten. Wir haben Senior-Chef Harald Wohlfahrt (RC Rothenburg ob der Tauber) gefragt: Was ist das eigentlich, die deutsche Weihnacht?
Es begann im Jahr 1956. Familie Wohlfahrt verlässt das erzgebirgische Vogtland und landet in Herrenberg bei Stuttgart. Mutter Käthe, 23 Jahre jung, Vater Wilhelm, 28, der zweijährige Sohn Harald und Birgitt, neun Monate, besaßen nicht viel und mussten sich durchbeißen. Am Weihnachtsabend 1963 hatte die Familie Besuch von einer amerikanischen Offiziers-Familie, die großes Interesse an einer traditionellen hölzernen Spieluhr mit dem Jesuskind zeigte. Schon im folgenden Jahr verkaufen die Wohlfahrts ihre Weihnachtsartikel auf amerikanischen Wohltätigkeitsbasaren, 1964 wird das Unternehmen Käthe Wohlfahrt gegründet. Die Kinder sind von Anfang an mittendrin, packen Kisten und beladen Autos. 1977 eröffnet die Familie ihr Geschäft in Rothenburg ob der Tauber.
Herr Wohlfahrt, eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stellt fest: Wir leben in einer globalen Ära der Unzufriedenheit. In Ihrem Ladengeschäft gibt es auf 1000 Quadratmetern heile Welt. Suchen Ihre Kunden bei Ihnen ein Stück Frieden und Geborgenheit?
Das weiß ich nicht. Vielleicht bringen unsere Produkte Erinnerungen an eine heile Welt zurück. Ich kann sicher sagen, dass viele bei uns ihre Sorgen vergessen. Da geht es auch um Glücksgefühle, Harmonie, schöne Erinnerungen und um die Familie.
Jetzt beginnt für Ihr Geschäft die wichtigste Zeit des Jahres. Woher kommen Ihre Kunden und was kaufen sie?
Die Mehrzahl der Kunden, über das Jahr gesehen, kommt aus dem deutschsprachigen Raum. Und die Mehrzahl unserer Kunden aus dem Ausland hat irgendeinen Bezug zu Deutschland. Viele hatten deutsche Vorfahren, die dann sagen, sie möchten ein Stück Familiengeschichte wieder mit nach Hause nehmen in die USA oder nach Australien. Die internationalen Gäste besuchen uns aber nicht nur in der Weihnachtszeit, sondern auch im Sommer. Früher kamen sehr viele Amerikaner, dann Japaner, mittlerweile auch viele Europäer, obwohl es auch Verkaufsstellen in Frankreich, Belgien und England gibt. Auch Südamerikaner kommen zu uns.
Und die US-Amerikaner geben am meisten Geld aus?
In der Tat. Das Kaufverhalten ist aber ganz unterschiedlich. Italiener mögen es eher bunt, manche suchen nette, lustige Kleinigkeiten, andere kaufen erzgebirgische Klassiker.
Rothenburg ob der Tauber ist die vielleicht deutscheste aller Städte. Ein mittelalterliches Postkartenidyll, ein begehbares Museum. Ist das vielen Deutschen zu kitschig und kommen darum so viele Kunden aus dem Ausland?
Rothenburg und Käthe Wohlfahrt haben auch sehr viele Besucher aus Deutschland. Manche Touristen zieht es in die Großstädte wie Hamburg und München, andere suchen genau diese Fachwerkromantik von Rothenburg ob der Tauber. Für uns ist das der perfekte Ort.
War früher mehr Lametta?
Natürlich war früher mehr Lametta! Das sieht man an einem Baum aus den 1920er Jahren bei uns im Deutschen Weihnachtsmuseum. Es gab sogar einige Menschen, die das klassische Lametta nach Weihnachten wieder aufgebügelt haben.
Und wohin gehen die Trends beim Baumschmuck?
Es geht zurück zum Naturbezug, zu helleren Farbtönen, klassische Kugeln in Rot und Gold sind immer ein Thema. Es gab Phasen, da waren es Grautöne, es gab auch mal eine Lila-Phase. Ich empfehle meinen Kunden eher traditionelle, zeitlose Dekorationen. Beim Weihnachtsbaum als Teil des Familienfests, bei dem man auch an die Zeit mit den Eltern und Großeltern denkt und Traditionen an die Kinder weitergibt, sollte man sich nicht an Trends orientieren.
Sie werden auch als "Botschafter der deutschen Weihnacht" bezeichnet. Was ist das, deutsche Weihnacht?
Ja, so hat es sich im Laufe der Zeit bei uns entwickelt. Als meine Eltern damals Weihnachtsartikel an amerikanische Offiziersgattinnen verkauften, waren wir davon weit entfernt. Das kam erst, als wir das ganzjährige Geschäft in Rothenburg eröffneten. Da kamen zum Beispiel Kunden aus Australien, die überhaupt keine Vorstellung davon hatten, dass viele international bekannte Weihnachtstraditionen und -dekorationen aus dem deutschsprachigen Raum kommen: zum Beispiel Adventskalender, Adventskranz, das Schmücken des Baumes. Die deutsche Weihnacht kommt immer stärker ins Bewusstsein, wenn man das Gegenstück betrachtet: Was ist nicht die deutsche Weihnacht? Wir sehen ja immer öfter diese Santa-Claus-Figuren in den Schaufenstern, kurze Röckchen und Rentiere. Da hat mich der Ehrgeiz gepackt, den Besuchern die deutsche Weihnacht zu vermitteln, sprich: Weihnachtsbaum, erzgebirgische Dekoration, traditioneller Christbaumschmuck aus Glas und anderes.
Interessieren sich die Deutschen noch für ihre Traditionen? Für viele ist Weihnachten längst ein kommerzielles Wettrüsten. Herrnhuter Stern, Lebkuchen, fertig. Oder?
Absolut richtig. Unser Museum muss auch deutschen Besuchern erst ins Bewusstsein bringen, dass es eine deutsche Weihnachtstradition gibt. 1981 war ich auf der ersten Tourismusveranstaltung, die die deutsche Zentrale für Tourismus in Japan veranstaltet hat. Es waren 23 Teilnehmer aus Deutschland und ich habe als einziger über die deutsche Weihnacht gesprochen. Damals gab es zirka 350 Weihnachtsmärkte im deutschsprachigen Raum, heute sind es etwa 3000. Die steigende Zahl der Weihnachtsmärkte lockt ein internationales Publikum in unsere Länder.
Vor 30 Jahren, auch noch vor 20 Jahren, bin ich lieber als heute auf Weihnachtsmärkte gegangen. Ich beobachte, dass die Verkäufer in den immer seltener werdenden Kunsthandwerkständen frierend auf Kundschaft warten, während sich die Besucher an den Glühweinständen drängen. Den zweithöchsten Umsatz macht die Bratwurstbude.
Da haben Sie recht, aber man kann nicht alle Weihnachtsmärkte über einen Kamm scheren. Die Entwicklung hat auch damit zu tun, dass viele Städte ihre Weihnachtsmärkte nicht mehr selbst veranstalten, sondern sie ausschreiben. Wenn sich dann ein Unternehmen bewirbt, das selbst Glühweinstände und Bratwurstbuden mitbringt, dann haben wir diesen Effekt. Und man muss ja auch sehen, dass dieses Angebot von den Kunden sehr gern wahrgenommen wird.
Da sind wir wieder bei der Tradition: Sie werden mir doch recht geben, dass die allermeisten Deutschen Krampus, Hutscheklos, Hörnersnickel, die eiserne Berta, die Hollerfrau und den Pelzmärtel gar nicht kennen.
Das stimmt leider. Es gab darüber hinaus auch früher viel mehr Kunsthandwerk auf den Weihnachtsmärkten, vor allem aus deutschsprachigen Ländern. Mittlerweile finden Sie relativ viele Pyramiden und Nussknacker aus Fernost. Tja, das ist so. Das ist der Gang der Zeit.
Für die beiden großen christlichen Kirchen war 2024 das nächste schlimme Jahr mit gewaltigen Austrittszahlen. Versuchen Sie da etwas zu retten, was nicht zu retten ist?
Ich hoffe es zu retten. Ich bin sehr eng verbunden mit dem Rothenburger Dekanat und halte die Kirche gerade heute für einen ganz wichtigen gesellschaftlichen Anker. Sie war einmal viel stärker ein Ort der persönlichen Begegnung, des Austauschs. Ähnliches gilt übrigens für Rotary. Aber die sozialen Medien machen die persönliche Begegnung für manche Menschen überflüssig. Man trifft sich lieber online. Weihnachten ist aber eines der wichtigsten Kirchenfeste, es lebt von der persönlichen Begegnung. Und ich hoffe, dass die Menschen nicht nur zu Weihnachten in die Kirche gehen.
Sie sagten selbst: die Welt verändert sich. Auch in Österreich und Deutschland werden zu Weihnachten immer mehr amerikanische Einflüsse sichtbar. In den Schaufenstern hängen riesige "Merry-X-mas-Schilder".
Genau das hat uns dazu veranlasst zu sagen, wir vermitteln den Besuchern den Wert der deutschen Weihnacht. Bei uns gibt es das Christkind und den Weihnachtsmann, aber nicht Santa Claus. Mehr können wir nicht machen. Der Einfluss amerikanischer Weihnachtsdekorationen kommt letztlich auch über die Importeure und die Messebesucher in Fernost. Daran orientieren sich die asiatischen Hersteller. Weihnachtsartikel werden dort produziert, wo es am günstigsten ist, und die Hersteller orientieren sich am größten Markt – das ist der amerikanische. Und die Importeure aus Deutschland kaufen die Dinge, die sie auf den Messen sehen und die sie zum Teil billig einkaufen können. Das ist so, daran können wir nichts ändern.
Inwiefern ist Weihnachten identitätsstiftend?
Für jemanden, der es beiläufig mitnimmt, gar nicht. Jemand, der Familientraditionen schätzt, dem ist es wahrscheinlich auch wichtiger, die deutsche Weihnacht zu pflegen. Es wäre ja unser Wunsch, dass mehr Menschen diese Traditionen wertschätzen.
Sie betreiben den Weihnachtsmarkt in Leipzig am Alten Rathaus und sind auf vielen Weihnachtsmärkten mit begehbaren Verkaufshäuschen präsent, auch in England, Frankreich, Belgien, Italien, Schweiz, Österreich. Möchten die Menschen in England etwas anderes als in Frankreich?
Auf jeden Fall. Das Schmücken des Weihnachtsbaums hat eine tiefe Tradition, erstmals belegt im Elsass. Das spüren wir dort auf den Weihnachtsmärkten, dort gibt es ein ausgeprägtes Bewusstsein für traditionelle Weihnachtsdekoration. Viele unserer Artikel sind dort sehr beliebt. In England sind die amerikanischen Einflüsse schon größer, aber auch dort gibt es viele Menschen, die unsere klassischen Weihnachtsartikel schätzen. Wir haben überall das gleiche Sortiment, aber die Artikel werden unterschiedlich stark gekauft.
Was steht eigentlich auf Ihrem Wunschzettel ans Christkind?
Frieden. Das Weihnachtsfest ist eng mit dem Frieden verbunden. Was nützen all die materiellen Geschenke, wenn es keinen Frieden gibt. Es besteht eine Partnerschaft seit 1988 zwischen Rothenburg ob der Tauber und der russischen Kleinstadt Susdal, einer der bedeutendsten historischen Städte in Russland. Im Jahr 2022 wurden einige Städte mit Partnerschaften in Russland von der ukrainischen Botschaft aufgefordert, diese zu überdenken. Ich freue mich sehr, dass die Partnerschaft mit Susdal weiterhin Bestand hat, und sogar eine Delegation im August zur 1000-Jahr-Feier dorthin gereist ist. Zwischenmenschlichkeit ist eine wichtige Basis für ein friedliches Miteinander. Ich habe mich übrigens auch angemeldet für die Friedenskonferenz in Istanbul im Februar. Ich hoffe, dort viele, viele Rotarier zu treffen, um gemeinsam ein Zeichen zu setzen.
Was bedeutet Ihnen Rotary?
Zunächst mal ist es eine Gelegenheit, mit anderen Menschen zu unterschiedlichen Themen ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Projektarbeit zu leisten. Leider schaffe ich es nur unregelmäßig zu unseren Treffen, aber ich halte das rotarische Wirken in die Gesellschaft durch Dialog und Projekte für extrem wichtig. Da spielt Rotary eine herausragende Rolle.
Das Gespräch führte Björn Lange.
Harald Wohlfahrt (RC Rothenburg ob der Tauber) ist der Senior-Chef des Familienunternehmens Käthe Wohlfahrt, das nach seiner Mutter benannt ist. Kurz vor Heiligabend 2021 begab sich das Unternehmen in ein Schutzschirmverfahren und entkam so der Insolvenz. Heute hat Käthe Wohlfahrt etwa 350 Mitarbeiter in Deutschland und Europa, die saisonal auf bis zu 1500 weltweit anwachsen.
kaethe-wohlfahrt.com