Titelthema
Wege zurück in die Normalität
Gedanken über eine Annäherung zwischen Russland und Europa
Die gewohnte Weltordnung ist in den letzten Jahren in einer sich beschleunigenden Dynamik in Unordnung geraten. Die reale und gefühlte Stabilität, gerade aus Sicht Europas und der Bundesrepublik, ist durch einen Prozess wirtschaftlicher, militärischer und politischer Interventionen in Unordnung geraten. Der von uns allen als Folge des II. Weltkriegs geschätzte Friedensprozess ist offenbar instabil geworden. Dies wird auch deutlich in einer Aussage des UN-Generalsekretärs António Guterres, der am 13. April 2018 vor den Vereinten Nationen geklagt hatte, dass der „Kalte Krieg mit voller Kraft zurückgekommen ist“.
Russland und seine in den letzten Jahren verfolgte Politik mit wachsenden politischen und militärischen Ansprüchen spielt hierbei eine wichtige Rolle. Dabei ist aber offen, ob dies Ursache oder Wirkung vielfacher Verwerfungen im Verhältnis zu seinen wichtigsten Verbündeten ist.
Die Folgen der Konfrontation
Es geht heute insbesondere um zwei große Bereiche: Zum einen um die gesellschaftliche und militärische Dimension und zum anderen um die wirtschaftlichen Folgen.
Man muss jetzt nach vorne schauen und sich die Frage stellen, wie wir wieder zu einer gesicherten Politik friedvoller Zusammenarbeit mit Russland kommen können. Dabei spielen natürlich Syrien und die Ukraine eine zentrale Rolle.
Was die Ukraine anbetrifft, muss Russland entscheidende Schritte nach vorn tun, um die völlig inakzeptable Situation vor Ort zu befrieden. Hier ist aber auch die Ukraine selbst gefordert. Es müsste versucht werden, gemeinsam mit den Vereinten Nationen einen Friedensplan zu entwickeln, der – unter Einbeziehung der USA – vor allem einen nachhaltigen Waffenstillstand ermöglicht und der das Blutvergießen auch unter der Zivilbevölkerung stoppt. Die Ukraine ist gefordert, endlich Wahlen durchzuführen und humanitär eine Ordnung zu schaffen, die den Menschen die Angst vor weiteren Eskalationen nimmt. Die Minsker Vereinbarungen haben sich als nicht tragfähig herausgestellt, und wir müssen die Konsequenz daraus ziehen durch einen völligen Neubeginn der Verhandlungen. Der Zeitpunkt für eine neue Gestaltung von Verhandlungen ist nach den russischen Wahlen eher leichter geworden, als schwieriger. Die Europäische Kommission und vor allem die Bundesregierung sollten sich an die Spitze neuer Verhandlungen setzen.
Die Verhältnisse in Europa können ohne die Mitwirkung Russlands nicht zu einer neuen Form von Stabilität führen. Russland braucht die EU und die EU braucht Russland. Dies umso mehr, als das amerikanische Schutzschild für Europa eher brüchiger als stabiler geworden ist. Dies gilt aber vor allem auch, um der wachsenden Stärke Chinas eine neue europäische Ordnung unter Einbeziehung Russlands entgegenzusetzen. Die Bundesregierung sollte hier eine treibende Kraft sein, wie dies z.B. der französische Präsident übernommen hat im Hinblick auf die Europa-Strategie. Solidarität hat in der EU einen hohen Stellenwert, schließt aber eine koordinierte Führungsrolle der Bundesrepublik nicht aus. Die auch von Bundespräsident Steinmeier beklagte Entfremdung zwischen Russland und der EU kann nur durch schnelles und beherztes Handeln repariert werden. Je tiefer der Graben, desto schwieriger seine Überwindung.
In der wirtschaftlichen Dimension haben die Sanktionen in den entscheidenden Punkten die Ziele nicht erreicht. Schon das amerikanische Patterson Institute hatte in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass Sanktionen nur in wenigen Fällen zu einer nachhaltigen Politikveränderung führen und eher ein stumpfes Schwert sind. Die deutsche und europäische Wirtschaft haben hier überproportional gelitten, weniger Russland. Während wir noch vor den Sanktionen (2012) Exporte nach Russland in Höhe von 38 Mrd. hatten, sind diese jetzt auf 26 Mrd. gefallen. Insgesamt haben wir in fünf Jahren ein Volumen von über 80 Mrd. Euro eingebüßt. Deutschland hat mehr unter den Sanktionen gelitten als andere europäische Länder, und Russland ist es gelungen, den Schaden über Kompensation mit anderen Ländern, z.B. China und Korea, gering zu halten.
Ohne eine deutliche Änderung außenwirtschaftlicher Beziehungen wird Russland eher eine verhaltene Entwicklung ausweisen, was dann erneut zu Verwerfungen im sozialen, gesellschaftlichen und politischen Bereich führen wird. Dies kann nicht im Interesse des Westens liegen.
Schritte zu einer Annäherung
Kurzfristig müsste es gelingen, mit einer großangelegten Friedenskonferenz die Probleme in Syrien und der Ukraine zu lösen. Dies geht aber nicht ohne Einbeziehung der USA, der OSZE und den Vereinten Nationen, aber es muss deutlich werden, dass Europa ein drängenderes Interesse daran hat, als z.B. die USA oder China.
Dem wachsenden kalten Krieg, den wir alle für beendet geglaubt haben, muss eine neue Friedenspolitik entgegengesetzt werden.
ost-ausschuss.de