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Zum Fest

Weihnachten, wo alles begann

Zum Fest - Weihnachten, wo alles begann
Abt Nikodemus Schnabel © Nikodemus Schnabel

Die Christen in Israel und Palästina feiern trotz des Krieges das Weihnachtsfest. Und senden damit ein Signal der Hoffnung.

22.12.2023

Feiert ihr Weihnachten in diesem Jahr? Diese Frage bekomme ich überraschend häufig gestellt. Und diese Frage stellt sich die kleine christliche Minderheit in Israel und Palästina schon seit Wochen – und hat sie in ökumenischer Einmütigkeit für sich klar beantwortet: Ja, Weihnachten wird gefeiert werden, aber ausschließlich in den Kirchen. Kein Gottesdienst wird ausfallen! Nein, Weihnachten wird nicht gefeiert werden, was Straßenbeleuchtung, weit sichtbar geschmückte Christbäume im öffentlichen Raum oder Adventsmärkte betrifft.

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In der Dormitio-Abtei © Nikodemus Schnabel

Übersetzt heißt diese Kompromisslösung, die ich selbst von Herzen mittrage: Ja, zu Weihnachten, zum Fest der Erlösung, der Hoffnung und des Friedens. Aber auch Ja zum Mitgefühl, zum Mitleiden und zur Trauer. Gerade aus der Perspektive der kleinen christlichen Minderheit ist der Krieg eine bittere Erfahrung: Am 7. Oktober wurden auch vier Christen ermordet: drei katholische Arbeitsmigrantinnen und ein katholischer Arbeitsmigrant aus den Philippinen, die hier, fern der Heimat, gehofft haben, ihren Kindern irgendwann eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Alle vier waren in der häuslichen Pflege tätig: Sie sind mit den ihnen anvertrauten älteren Menschen in den Tod gegangen. Der Mann, Paul Vincent Castelvi, hat eine schwangere Frau als Witwe hinterlassen: Deren gemeinsames Kind wurde vor ein paar Tagen in Tel Aviv getauft. Bis vor kurzem wäre das meine Aufgabe gewesen, da ich bis zu meiner Abtsbenediktion in diesem Jahr Lateinischer Patriarchalvikar für alle katholischen Migranten und Asylsuchende gewesen bin, wovon es in Israel fast 100.000 gibt. Einige von ihnen, in dem Fall Chinesen, die in der Landwirtschaft arbeiten, wurden am 7. Oktober auch schwer verletzt und gekidnappt. Ich würde mir wünschen, dass sich ihr Heimatland ähnlich engagiert für sie einsetzen würde, wie das Thailand für seine Landsleute (in diesem Fall Buddhisten) getan hat.

Aber nicht nur der 7. Oktober war für die Christen ein schwarzer Tag. Für die rund 1000 palästinensischen Christen in Gaza ist jeder Tag seit Wochen ein prekärer Tag. Mittlerweile beträgt die Zahl der getöteten Christen in Gaza 24. Allesamt Zivilisten, darunter Kinder, Alte, Frauen und Männer. Wie ihre vier getöteten Glaubensgeschwister in den Kibbuzim um Gaza herum haben sie noch nie eine Waffe in der Hand gehabt. Besonders der Tod von Elham Farah, der Organistin der Römisch-Katholischen Pfarrei zur Heiligen Familie in Gaza-Stadt rührt mich besonders an: eine vornehme ältere Dame, eine pensionierte Musiklehrerin, die kurz das Kirchengelände ihrer Pfarrei verlassen hat, wo alle Christen gerade Schutz suchen (wenn sie das nicht auf dem Kirchengelände der Griechisch-Orthodoxen St. Porphyrios-Pfarrei tun), um nachzusehen, ob ihr Wohnhaus überhaupt noch steht. Dieser kurze Gang endete für sie tödlich. "Kollateralschaden" nennt sich das, wie bei den anderen 23 auch.

Und dann gibt es das nicht so schreiende Leid: die schwindenden Zukunftsperspektiven, der ausbleibende Pilgertourismus, jetzt gerade zur so wichtigen weihnachtlichen Hochsaison, der gerade die christlichen Familien Betlehems in enorme ökonomische Schwierigkeiten stürzt: Das Tourimus- und Pilgergewerbe ist traditionell fest in christlicher Hand. Die Coronapandemie war schon eine enorme Herausforderung, nun der Krieg.

Meine jüdischen und muslimischen Freunde haben ähnlich Bitteres und Leidvolles zu berichten, ich wollte hier nur einen ganz kleinen Einblick anhand der betroffenen Christen geben.

In diesem Ozean an Leid feiern wir also nun Weihnachten. Wie in den vergangenen Wochen des Krieges sehe ich die Aufgabe meiner beiden Klöster in Jerusalem und in Tabgha am See Gennesaret darin, hier zu sein, offene Türen und ein offenes Ohr für alle Menschen zu haben und im Gebet für den Frieden auszuharren. Auch wenn wir zurzeit fast keine Einnahmen haben, da wir als Klöster an zwei Pilgerorten ebenfalls stark auf den Pilgerbetrieb ausgerichtet sind, haben wir keinem unserer Angestellten gekündigt: Sie halten die Kirchen und die Cafeteria offen, auch wenn nun statt 3000 Besucher nur zehn kommen. Wirtschaftlich gesehen ein Irrsinn, menschlich gesehen Ausdruck unserer sozialen Verantwortung für diese Menschen und ihre Familien, davon eben sehr viele christliche Palästinenser aus Betlehem und Umgebung. Zu unserer sozialen Verantwortung für die Menschen hier gehört aber auch, dass wir die ersten fünf Wochen des Krieges eine große Gruppe jüdischer Behinderter aus dem Süden mit ihren Betreuern bei uns in Tabgha, in unserem "Beit Noah" als Gäste aufgenommen haben: Aufgrund ihrer mangelnden Mobilität hätten sie, die im Grenzgebiet zum Gaza-Streifen wohnen, sonst ganze Tage im Schutzbunker wegen der Raketen verbringen müssen. Bei uns konnten sie angstfrei und geschützt sein.

Einige Menschen und ihre Schicksale durfte ich ihnen nun kurz vorstellen. All diese werden mit uns Weihnachten feiern, und zwar im Rahmen der Weihnachtsaktion der Dormitio-Abtei. Wie jedes Jahr werden wir auch dieses Jahr die zehn Kilometer in der Heiligen Nacht zu Fuß von Jerusalem nach Betlehem gehen, um eine große Rolle mit vielen Namen gegen 4.30 Uhr in der Frühe auf den Geburtsstern in der Geburtsbasilika niederzulegen und um am Geburtsort Jesu Christi für alle diese Menschen dort zu beten. Für die Lebenden und Verstorbenen, für die Menschen des Heiligen Landes, des deutschen Sprachraums und weit darüber hinaus. Dieser Krieg hat mich ziemlich sprachlos gemacht. Auch wenn ich schon seit über 20 Jahren hier lebe und ein politisch interessierter Mensch bin, verstehe ich wenig, was gerade um mich herum abläuft. Ich kann aber mein Gefühl vor Gott ins Gebet bringen – und all die verschiedenen Menschen mit ihren jeweiligen Biographien. Und darum geht es ja: Wir reden hier nicht von abstrakten Zahlen, sondern immer von konkreten menschlichen Schicksalen. Und Juden, Christen und Muslime glauben gemeinsam, dass jeder Mensch als Abbild Gottes geschaffen wurde und eine unverlierbare und unteilbare Würde hat.

Diese unantastbare Würde besitzen auch die Menschen, die gerne übersehen und an den Rand gedrängt werden: die Behinderten. Gerade für sie werden wir auch wieder zu Weihnachten um Spenden bitten. Durch unser "Beit Noah" spüren wir seit Jahrzehnten eine große Verantwortung für sie, noch mehr in diesen Tagen.

Das ist übrigens mein größter Weihnachtswunsch: Dass die Menschen ihren Mitmenschen wieder ins Gesicht schauen und sie als Mitmenschen mit einer unantastbaren Würde wahrnehmen. Dann wird auch Frieden werden! Wie das übrigens geht, kann man am besten von den so genannten "behinderten" Menschen lernen, die hierin meist völlig unbehindert sind!

Nikodemus C. Schnabel ist Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem.

Dieser Text ist zuerst erschienen am 23. Dezember 2023 in der Schwäbischen Zeitung.

Mehr Informationen: www.dormitio.net/abtei/weihnachtsaktion/index.html