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Titelthema

Weiter positiv denken

Titelthema - Weiter positiv denken
Soldaten rollen im „Leopard 2“ durchs Ausbildungszentrum in Munster. © Jörg Gläscher

Es steht nicht gut um die Einsatzbereitschaft der Truppe. Soll die Bundeswehr für Sicherheit garantieren, braucht sie deutlich mehr Geld.

André Wüstner01.04.2021

Wann immer dieser Tage die Rede auf die Truppe kommt, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit eines von zwei Themen, das die Bundeswehr in die Schlagzeilen bringt. Möglichkeit eins: Die Nachrichten kommen aus dem Bereich unserer schwer gebeutelten Spezialkräfte. Presse, Politik und Öffentlichkeit sind dann nur zu gerne bereit, jede unerfreuliche Einzelheit als Skandal zu werten und den Fortbestand des Kommandos Spezialkräfte infrage zu stellen. Dass man damit die Mehrheit der Angehörigen des Verbandes unter Generalverdacht stellt und die grundsätzliche Bedeutung der Spezialkräfte für unser Land verkennt, spielt offenbar keine Rolle. Niemand scheint bereit zu sein, diesen Männern und Frauen Vertrauen entgegenzubringen, von Dankbarkeit ganz zu schweigen.

Das sieht bei der zweiten Möglichkeit etwas anders aus: Hier geht’s um die Coronahilfe, für die die Truppe ein Kontingent von 25.000 Soldatinnen und Soldaten bereithält, auch wenn dieser Hilfseinsatz weder strukturbegründet noch finanziell hinterlegt ist. Sie helfen in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Gesundheitsämtern, Impfzentren und sogar in Portugal, wo die Not besonders groß ist. Hier gibt es eine gute Berichterstattung, überall Freude und Dankbarkeit über Organisationsvermögen und Stressresistenz unserer Soldatinnen und Soldaten.

Weil es andere nicht hinbekommen

Das ist natürlich Balsam für die Soldaten-Seele, geht aber ebenso wie Möglichkeit eins an der Sache vorbei. Im ersten Fall, weil die überwiegende Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten tagtäglich einen ganz hervorragenden Dienst leistet, im zweiten, weil der Einsatz in der Corona-Amtshilfe zwar wichtig und richtig ist, aber davon ablenkt, dass die Bundeswehr eigentlich einen ganz anderen Kernauftrag hat: Die Sicherstellung der Landes- und Bündnisverteidigung, die Teilnahme an Einsätzen im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit.

Natürlich ist die Bundeswehr faktisch eine Eingreifreserve, wenn die Kräfte von Bund und Ländern überfordert sind. Dass wir aber als nicht zuständige Organisation jetzt schon mehr als ein Jahr lang ununterbrochen Amtshilfe im Innern leisten, weil es andere nicht hinbekommen, ist innerhalb der Truppe kaum noch zu vermitteln. Unter anderem auch, weil die Soldatinnen und Soldaten wissen, wie viele zivile Freiwillige seit Monaten ihren Dienst anbieten, aber aufgrund von Verwaltungs-, Haftungs- oder Organisationsproblemen kaum eingesetzt werden und enttäuscht sind.

Vor allem aber kann es nicht ewig so weiter gehen, weil Amtshilfe in dieser Dimension tatsächlich auch zunehmend zu Lasten der Einsatzbereitschaft geht. Es liegt auf der Hand: Wer hilft, kann nicht gleichzeitig üben oder ausbilden. In Zeiten, in denen die Bundeswehr wegen der Hygiene- und Schutzauflagen ohnehin schon im Grundbetrieb eingeschränkt ist, wiegt das doppelt schwer. Spätestens im Sommer sollte daher in der Pandemiebekämpfung wieder nahezu vollständig auf zivile Helfer gesetzt werden.

Übergreifend geht es jedoch um weit mehr: Wir brauchen wieder einen strukturell und personell deutlich verbesserten länderübergreifenden Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Das muss wieder Teil dergesamtstaatlichenSicherheitsvorsorge werden. Die potenziellen Herausforderungen liegen auf der Hand: Der Umgang mit Pandemien beispielsweise, die Abwehr von Cyber-Angriffen auf kritische Infrastruktur oder die Terrorismusabwehr.

Die Truppe fühlt sich veralbert

Deutliche Verbesserungen sind auch andernorts vonnöten. Eine Grundvoraussetzung für leistungsfähige Streitkräfte ist neben motiviertem und gut ausgebildetem Personal ganz klar modernes, einsatzfähiges Material. Seit einiger Zeit hat auch die politische Führung erkannt, dass die Bundeswehr angesichts der Risiken und Bedrohungen wieder zu 100 Prozent ausgestattet werden muss. Leider ein wunder Punkt: Auch wenn die offiziellen Zahlen ein anderes Bild zeichnen sollen, liegen wir allen gut klingenden Trendwenden zum Trotz bei maximal 50 Prozent. Bei einigen Systemen wie Hubschraubern oder den alten Tornado-Jets ist die Lage noch schlimmer.

Das hat auch verheerende Konsequenzen für die Motivation der Frauen und Männer, die täglich den Mangel verwalten. Sie sehen, dass die Dinge allen Bekundungen zum Trotz kaum besser werden, und sie fühlen sich veralbert, wenn sie auf den Seiten des Verteidigungsministeriums aufgrund von Statistik-Tricks von 74 Prozent Klarstand der Hauptwaffensysteme lesen.

Ist wenigstens Besserung in Sicht? Man darf skeptisch sein. Wenn wir sehen, dass die Versprechen, die zu ihrer Zeit Verteidigungsministerin von der Leyen für die schnelle Nato-Speerspitze gegeben hat – dass 2022 bis 2024 eine Brigade aus sich heraus führungsfähig und einsatzbereit sein soll – absehbar nicht erreicht wird, wie soll es dann gelingen, bis 2031 die drei voll ausgerüsteten Heeresdivisionen, die Deutschland der Nato zugesagt hat, samt Luftwaffen- und Marine-Paketen zusammenzubekommen?

Worauf wollen wir hoffen, wenn der Verteidigungshaushalt nicht so erhöht wird, wie er müsste, damit wir die Ausgaben zur Modernisierung in den kommenden Jahren stemmen können? Wenn wir keine ernsthaften Anstrengungen unternehmen, unser Versprechen innerhalb der Nato zu halten, zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für Verteidigung sowie mindestens 20 Prozent des Verteidigungshaushaltes rüstungsinvestiv auszugeben, statt nahezu alles in immer weiter steigenden Betriebskosten zu versenken? Wenn unser Beschaffungswesen wegen politisch vorgegebener Rahmenbedingungen katastrophal ineffizient ist? Wenn aus parteipolitischen Gründen wesentliche Rüstungsvorhaben blockiert werden – ich denke an die Tornado-Nachfolge oder die bewaffneten Drohnen? Was ist davon zu halten, wenn Jahre vergehen, ohne dass die Entscheidung für einen von zwei möglichen Transporthubschraubern fällt? Gleich, woran es im Einzelfall scheitert, die Soldatinnen und Soldaten sind die Leidtragenden.

Die Politik hat verstanden, sagt sie

Dass es nicht so weitergehen kann wie bisher, das hat der Deutsche Bundeswehrverband wiederholt geäußert – und im wahrsten Sinne des Wortes auch erklärt. Immerhin hat sich diese Erkenntnis jetzt auch an der Spitze des Verteidigungsministeriums durchgesetzt. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, haben im Februar dieses Jahres ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie versprechen, die aktuellen Herausforderungen anzugehen. Was möglich ist, soll schnell entschieden werden. Die Fragen, die mehr Zeit brauchen, sollen zu Beginn der nächsten Legislaturperiode beantwortet werden. Und ganz konkret: Im zweiten Quartal soll tatsächlich endlich die Hubschrauber-Entscheidung fallen.

Nun, wer weiß, wie die Karten nach der Wahl gemischt sein werden und ob Frau Kramp-Karrenbauer dazu kommen wird, ihre Versprechen einzulösen? Aber grundsätzlich begrüße ich ihre Initiative.

Absolut kein Spielraum!

Mit Blick auf die Zeit nach der Bundestagswahl kann ich nur heute schon davor warnen, nach dem Coronakassensturz an der Sicherheit zu sparen. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass 2022 harte Einschnitte anstehen. Innere und äußere Sicherheit sind allerdings Kernaufgabe staatlichen Handelns – hier ist kein Spielraum mit Blick auf die unzähligen Risiken und Bedrohungen. Absolut keiner!

Die Zeiten werden absehbar nicht leichter. Dennoch bin ich weit davon entfernt, den Glauben zu verlieren. Nicht an die Politik und erst recht nicht an unsere Bundeswehr – allein schon wegen der vielen großartigen Frauen und Männer mit und ohne Uniform, die unserem Land dienen. Sie sind es, die in den Auslandseinsätzen oder der Amtshilfe tagtäglich überzeugen und, anders als manchem Ideologen im Parlament oder anderswo, ist das der Mehrheit unserer Gesellschaft auch sehr bewusst.

André Wüstner

André Wüstner, RC Montabaur, ist Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes. Er vertritt über 205.000 Mitglieder, hat als Kampftruppenoffizier an Auslandseinsätzen im Kosovo und Afghanistan teilgenommen. Seit 2013 steht er an der Spitze des DBwV.

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