Standpunkt
Wir brauchen eine Frage fünf: „Ist es nachhaltig?“
Die Ethik rotarischen Handelns ist nicht in Stein gemeißelt, sondern wurde immer wieder den Herausforderungen der Zeit angepasst.
Vor ziemlich genau zehn Jahren hat sich Timo Meynhardt an dieser Stelle mit der „Vier-Fragen-Probe als Kompass in bewegten Zeiten“ auseinandergesetzt. Damals war kaum vorstellbar, dass wir heute bereits über ein Jahr schon im Schatten der Coronapandemie leben. Der Klimawandel, das zuvor dominierende Thema, ist in den Hintergrund gerückt. Mitterweile sind die Zusammenhänge zwischen Corona und Umwelt- und Klimaveränderungen offenkundig und auch die Folgen des Klimawandels deutlich zu spüren. Dass wir handeln müssen, ist breiter Konsens in der Gesellschaft. Auch die Finanzwelt richtet ihre Anlagestrategien daran aus. Diskutiert wird nur die Geschwindigkeit, mit der die Transformation der Wirtschaft erfolgen soll. Einige Forscher fordern nun, bis 2035 weltweit nur noch erneuerbare Energien zu nutzen, da ansonsten Kipppunkte mit irreversiblen Veränderungen des Klimas überschritten würden. Die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise sollte für eine konsequente Weichenstellung in Richtung nachhaltiges Wachstum genutzt werden.
Haben wir Rotarier hier nicht eine besondere Verantwortung? Als Serviceclub vereinen wir engagierte Persönlichkeiten aus allen Kontinenten, Kulturen und Berufen, um weltweit Dienst an der Gemeinschaft zu leisten. Das „Vision Statement“ von Rotary International sieht eine gemeinsame Welt, in der sich Menschen vereinen und nachhaltige Veränderung schaffen. Als konsequenter nächster Schritt gilt es nun, die um Nachhaltigkeit erweiterten Ziele in der rotarischen Ethik zu verankern.
Ethischer Leitfaden und Entscheidungshilfe unseres Handelns bis heute ist die 1932 von Herbert J. Taylor formulierte Vier-Fragen-Probe, die RI 1943 als Leitlinien übernahm. Aber: Werden die vier Fragen – 1) Ist es wahr? 2) Ist es fair für alle Beteiligten? 3) Wird es Freundschaft und guten Willen fördern? 4) Wird es dem Wohl aller Beteiligten dienen? – noch den heutigen Herausforderungen gerecht? Die rotarische Ethik ist nicht sakrosankt und wurde immer wieder den Herausforderungen der Zeit angepasst. Wir bewegen uns durch unsere Formen des globalen Wirtschaftens längst außerhalb der ökologischen Leitplanken des Planeten. Bemühen wir uns nicht mit aller Kraft, den Verfall der Erde aufzuhalten, stehen auch wir Menschen auf der Verliererseite. Die notwendigen Veränderungen erfordern kollektives und systemisches Handeln. Aber auch jeder Einzelne ist gefragt. Diesen Anspruch an unser Handeln würden wir durch eine fünfte Frage – 5) Ist es nachhaltig? – unterstreichen.
Ursprünglich wurde der Nachhaltigkeitsbegriff 1713 von Hans Carl von Carlowitz in der Forstwirtschaft als Handlungsprinzip der Ressourcennutzung eingeführt, um die dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme zu sichern. Bekannt wurde das Konzept der Nachhaltigkeit 1983 durch die von den UN eingesetzte (Brundtland-)Kommission für Umwelt und Entwicklung. Nachhaltigkeit wird seitdem als Zielbündel ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele dargestellt, die politisch und gesellschaftlich ausgehandelt werden müssen. Diese Definition wurde vom Club of Rome erweitert, 2015 hat sich die Weltgemeinschaft den „Sustainable Development Goals“ verpflichtet.
Zur Unterstützung des inneren Kompasses
Warum sollte RI einen weiteren Begriff als Prüfkriterium aufnehmen? Auch heute geht es wieder darum, ein Umdenken in der Geschäftswelt zu gestalten. Ist nicht gerade Rotary dazu aufgerufen, den Wandel aktiv zu gestalten und unsere weltweiten Netzwerke und Kompetenzen für diesen Dienst an der Gemeinschaft einzusetzen? Rotarier können einen zentralen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Dazu braucht es einen Diskurs über unsere Rolle in den Clubs und eine Stimulierung, sich mit dem eigenen, persönlichen Beitrag für eine nachhaltigere Welt auseinanderzusetzen.
Die Aufnahme einer fünften Frage unterstützt diese Befassungen. Natürlich kann man Nachhaltigkeit auch implizit über die beiden Fragen abgedeckt sehen: 2) Ist es fair? und 3) Wird es dem Wohl aller Beteiligten dienen? Auch sind Veränderungen an zentralen Gedankengebäuden gut abzuwägen. Dennoch eine Erweiterung vorzunehmen, lässt sich durch die Größenordnung der anzustrebenden Veränderung und der Dringlichkeit des Handelns begründen. Nachhaltigkeit ist das aktuelle ethische Thema der Gegenwart oder – wie der Arzt und Theologe Albert Schweitzer es formulierte – eine Frage der Ehrfurcht vor dem Leben: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Die fünfte Frage „Ist es nachhaltig?“ verdeutlicht den Handlungsbedarf unserer Zeit, und gerade die Auseinandersetzung und die Abwägung der drei Zieldimensionen wird den inneren Kompass bei der Entscheidungsfindung unterstützen.
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