Wo ist die Reform der öffentlichen Verwaltung?
Warteschlangen, ungünstige Öffnungszeiten, unverständliche Formulare: Die öffentliche Verwaltung hat hierzulande einen miserablen Ruf – zu Recht. Es muss sich endlich etwas ändern, und das ist nicht unmöglich.
An der Straßenbahnhaltestelle warte ich 20 Minuten länger – wieder fällt eine Bahn aus. Für syrische Freunde fülle ich dreimal Anträge auf Bildung und Teilhabe aus – Name, Geburtsdatum, Adresse des Antragstellers, genaue Angaben zu jedem Kind und zum besonderen Aufwand, für den der Zuschuss beantragt wird. Alle Basisdaten sind längst gespeichert, müssen aber Mal um Mal von Hand eingetragen werden. Mit einer ukrainischen Flüchtlingsfamilie gehe ich aufs Rathaus. Schnelle Anmeldung im Bürgeramt. Da bin ich stolz auf meine Stadt. Für die Impfung ihres zweijährigen Sohnes brauchen die Eltern einen Berechtigungsschein für den Arztbesuch, den sie auch im Rathaus bekommen – ein von Hand ausgefülltes Papier. Schon bin ich weniger stolz auf meine Stadt. Baugenehmigungen in zumutbarer Zeit? Fehlanzeige. Papierkörbe geleert? Nein, sie quellen in meiner Stadt über. Terminvereinbarung während der Pandemie? Ja, nach wiederholten Anrufen und Warteschleifen und in mehreren Wochen. Viel Ineffizienz, viele kleine Fehlleistungen.
Die großen Fehlleistungen will ich nur anreißen: Flughafen Berlin-Brandenburg, Elbphilharmonie, Sanierung der Kölner Oper, Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Große Fehlleistungen sind des Weiteren aufwändige Planungen, die mangels Geld in Aktenschränken oder Datenbänken verschwinden. Es sind aber auch Windräder, Stromleitungen, Pipelines, Brücken und Fabriken, die Jahre brauchen, bis sie bestandssicher genehmigt sind. LNG-Terminals an Nord- und Ostsee machen noch kein Deutschland-Tempo.
Bekanntlich gilt: Wer sich nicht zu helfen weiß, gründet einen Arbeitskreis – oder schaltet ein Beratungsunternehmen ein. In Köln wird ein Beratungsunternehmen eingeschaltet, um die in großer Zahl vorhandenen Planungen nach Dringlichkeit und nach vorhandenen Mitteln zu ordnen. Denn mangels Geld lässt sich nur ein Bruchteil verwirklichen. Die Wunschliste wächst in der Zwischenzeit weiter. Verschleppte Sanierungen werden akut und kommen zur Liste hinzu. Anders als im privaten Bereich planen öffentliche Hände – losgelöst von den zu erwartenden Kosten – nach dem olympischen Prinzip des "schneller, höher, weiter". Die Kluft zwischen Wünschen und Können wird immer größer, ausgearbeitete Pläne landen notgedrungen im Aktenschrank, Computergrab oder Reißwolf.
Ich bin frustriert, weil ich die Verwaltung nicht als leistungsbereit, bürgerorientiert, helfend und sparsam, sondern als gleichgültig, abweisend, inkompetent und verschwenderisch erlebe. Woran liegt es? Beamte zeigen auf die Politik, die entweder keine oder die falschen Entscheidungen trifft. Und die Politiker zeigen auf die Verwaltung, die man zum Jagen tragen muss.
Realitätscheck und Nostalgie
Vielleicht bin ich nostalgisch. Vielleicht war es immer so. Aber stimmt es, dass es immer so war?
Seit vielen Jahren ist eine gut funktionierende, den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtete Verwaltung mein Anliegen, in der Gemeinde, im Kreis, in der Universität, beim Staat, in der Beratung, in der Wissenschaft und jetzt im Ehrenamt. Wir sind dienstleistungsorientiert, geben Steuereinnahmen vernünftig aus, sorgen uns um genügend und um qualifiziertes Personal. Darauf habe ich mit Gleichgesinnten, und die gibt es in beachtlicher Zahl, hingearbeitet.
Die Verwaltungsreform war ab den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts die Herausforderung für die Kommune, weil sich damals die Kluft zwischen Ansprüchen und Realisierung vergrößerte und die üblichen Regulierungsmechanismen nicht mehr taugten. Unsere Antwort war Effizienzsteigerung. Wir wollten damals jede Steuermark, heute jeden Steuereuro strecken und so der öffentlichen Hand wieder Luft verschaffen. Das Neue Steuerungsmodell der KGSt (Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement) Anfang der Neunzigerjahre war bald in aller Munde. Reformen wurden angestoßen, viele auch umgesetzt. Die erste Bestandsaufnahme nach zehn Jahren Reform war ernüchternd. Man hatte zwar budgetiert und ein modernes Rechnungswesen eingeführt, aber doch Bäder schließen, Öffnungszeiten kürzen und Standards heruntersetzen müssen. Doch war die Bilanz nicht ganz negativ: Steuermittel wurden tatsächlich besser eingesetzt, der Steuereuro ließ sich strecken, der Zusammenbruch vieler Kommunalverwaltungen wurde abgewendet. Und die Bevölkerung hat es honoriert: Meinungsumfragen wiesen vor 20 Jahren eine größere Zufriedenheit der Einwohner mit ihrer Gemeinde nach, während Länder und Bund in der Bürgergunst nachhinkten. Hinzu kommt die Erfolgsgeschichte der Deutschen Einheit, die auch eine Erfolgsgeschichte der öffentlichen Verwaltungen ist. Ich erinnere mich an beherzte Leute ohne Verwaltungserfahrung, die Unmögliches möglich machten.
Man schien also auf gutem Weg. Und heute? Ich kenne im Freundes- und Bekanntenkreis keine Person, die noch ein gutes Haar an der Verwaltung ließe. Ich würde die Verwaltung gerne verteidigen, kann es aber nicht, weil mir die Klagen berechtigt erscheinen
Unterschiedliche Dimensionen des Problems
Im Folgenden versuche ich, die gegenwärtige Misere in einer Mischung aus Beschreibung und Ursachenforschung zu umreißen, Fragen zu stellen und hoffentlich in Ansätzen auch zu erklären. In loser Reihenfolge sind das:
- Digitalisierung
Spätestens seit der Coronapandemie ist klar, dass Deutschland die Digitalisierung verschlafen hat. Dass Gesundheitsämter der ständig wachsenden Aktenberge nicht mehr Herr wurden, Impfzentren Einträge händisch vornahmen, Patientenakten in Karteikästen geführt wurden, Schulen am Distanzunterricht scheiterten, schrie zum Himmel. Dass andere Länder viel weiter sind und auch in Deutschland einige Einrichtungen aus der Not eine Tugend gemacht haben, zeigt nur, was insgesamt möglich gewesen wäre. Der Nachholbedarf ist enorm, das Tempo wird hoch sein müssen – und doch mag im Status der "verspäteten Digitalnation Deutschland" auch eine Chance liegen: "Best practice" kann von Pionierländern wie Estland, Ukraine, Dänemark oder Costa Rica übernommen werden, Fehler lassen sich vermeiden, Holzwege nicht erst beschreiten.
- Killer-Argumente
Killer-Argumente gibt es überall – von "Da könnte jeder kommen" bis hin zum "Datenschutz". In öffentlichen Einrichtungen haben diese Argumente eine fatale Wirkung: nichts geschieht. Vor allem die Führungskräfte in öffentlichen Einrichtungen scheinen zu schwach, um von Killer-Argumenten unbeeindruckt zu bleiben. Wie lässt sich die Widerstandskraft gegen Killer-Argumente stärken? Warum werden in anderen Teilbereichen unserer Gesellschaft, etwa der Wirtschaft, aber auch der Familie, Aus- und Umwege zur schnellen Lösung von Problemen gefunden? Warum sind Länder wie Estland, Finnland oder Dänemark so viel besser im Killen von Killer-Argumenten?
- Führung in der öffentlichen Verwaltung
In den 1980er Jahren untersuchte der Speyerer Soziologe Helmut Klages das Führungsverhalten in Verwaltungen und kam zu verheerenden Ergebnissen: Es gab hauptsächlich Falsch- beziehungsweise Nichtführung. Die gerne propagierte kooperative Führung erwies sich allenthalben als Nichtführung. Dies zum Gesprächsgegenstand in Führungsrunden zu machen, schien unmöglich. Dabei gibt es gutes, empirisch belegtes Führungsverhalten, das das Leistungsvermögen steigert. Hier gilt es anzusetzen.
- Veto-Player
In einer Demokratie entscheidet die Mehrheit – denken wir. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Auf Konsens bedacht, geben wir beziehungsweise nehmen sich einzelne Institutionen, manchmal auch einzelne Personen so viel Macht, dass sie zwar nicht die Mehrheit gestalten, aber Entwicklungen verhindern können. In der Fachliteratur heißen sie Veto-Player – ein Industrieverband, eine Kammer, eine Gewerkschaft, eine Religionsgemeinschaft, der Eigentümer des größten Arbeitgebers am Ort, aber auch alle Lobbyisten, die sich in Brüssel, Berlin oder den Landeshauptstädten tummeln. Wir wundern uns, dass nichts vorangeht, und erkennen die dies bewirkenden Kräfte nicht. Wie lässt sich die Macht der Veto-Player aushebeln? Oder zumindest lähmen?
- Resilienz
Gesundheitsämter waren jahrzehntelang des fünfte Rad am Wagen. Sie mussten sein, doch vernachlässigte man sie. Dann kam Corona. Nicht anders erging es Einrichtungen des Katastrophenschutzes, die wir in der Flutkatastrophe 2021 so schmerzlich vermisst haben. Dass Menschen in ihrer Hilfsbereitschaft eingesprungen sind und fast Übermenschliches geleistet haben, darf uns nicht dazu verleiten, Resilienz zu vernachlässigen. Es ist wie bei einer Versicherung: Wenn ich die Prämie nicht entrichte, fällt sie aus.
- Politik lässt Verwaltung nicht machen
Vor allem in der Kommunalpolitik gibt es seit Jahrzehnten die Tendenz, dass die Politik, sprich der Gemeinde-, Stadtrat oder Kreistag, immer mehr Entscheidungen an sich zieht und sich an die Stelle der Verwaltung setzt. Dies hat verheerende Konsequenzen. Das Verwaltungspersonal schleicht sich aus der Verantwortung und entscheidet nicht mehr. Die Politik springt gerne ein, braucht aber zu lange, weil Ausschüsse, Fraktionen und zum Schluss das Plenum entscheiden. Es ist fast müßig, nach Henne und Ei zu fragen.
- Gewollte Bürokratie
Das gibt es auch: Die Verwaltung möchte ablehnen, was sich manchmal nur schwer begründen lässt, Ärger verursacht, die Öffentlichkeit auf die Palme bringt oder unangenehme Konsequenzen nach sich zieht. Dann tut man zunächst nichts, tut so, als prüfe man genau, bringt Personalmangel ins Spiel und – entscheidet nicht. Die Bürgerinnen und Bürger geben frustriert auf und verfolgen ihr Anliegen nicht weiter. Mission accomplished! Wenn man partout nicht ums Entscheiden herumkommt, lehnt man ab. Die Gerichte sollen es richten. Doch sind Gerichte nicht die Ausputzer für Politik und Verwaltung.
- Ideologische Scheuklappen
Die Demokratie bringt es bisweilen mit sich, dass politische Strömungen ihre ideologischen Rösser in den Abgrund reiten. Man beharrt auf einer Politik, die nicht zielführend ist oder an der Bevölkerung vorbeigeht. Wie den Balanceakt zwischen Demokratie und pragmatischer, ideologiefreier Kompetenz hinbekommen?
- Ämterpatronage
Der Tübinger Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg sprach 1961 von "Richtung oder Leistung" bei Einstellung und Beförderung – beides ginge nicht. Richtung steht für ideologische Nähe, für Verwandtschaft, für Bevorzugung eines Geschlechtes, während Leistung diese Erwägungen unberücksichtigt lässt. Artikel 31 Absatz 2 Grundgesetz: "Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte" wird immer öfter mit Füßen getreten und betrifft nicht nur die Führungsebene. Heute erscheint auch die Verwaltungsspitze ohnmächtig, Leistung zum alleinigen Maßstab zu machen, machen doch Fraktionen Personalentscheidungen unter sich aus und greifen immer tiefer in die Verwaltung hinein. Dies hat bereits Konsequenzen für Bewerbende. Ich bewerbe mich doch nicht, wenn ich davon ausgehen muss, nicht genommen zu werden, weil ich der falschen oder keiner Partei angehöre.
- Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!
Dieses Wort Erich Kästners wird in der Politik leicht vergessen. Man stellt ein Wahlprogramm auf, hat mehr oder weniger Erfolg und fasst entsprechende Beschlüsse zum Bau einer Turnhalle, zur Subvention einer sozialen Einrichtung. Man geht gleich an die Presse und verkündet stolz: "Wahlversprechen erfüllt". Was geschieht? Weil das Geld fehlt, Fachleute für die Planung fehlen, Aufträge oder Personaleinstellungen nicht vollzogen werden, da nicht berücksichtige Mitbewerber den Rechtsweg beschreiten oder der Arbeitsmarkt nichts hergibt, ist das Wahlversprechen noch lange nicht erfüllt. Für mich galt, unser Job wäre erst erledigt, wenn ein Vorschlag umgesetzt ist und die gewünschte Wirkung entfaltet. Gutes Management heißt: Making things happen.
- Der Gleichheitssatz bürokratisiert
Die Politik sagt gerne "schnelle und unbürokratische Hilfe" zu. Warum überhaupt handeln Verwaltungsleute "bürokratisch"? Vieles liegt an dem von uns allen eingeforderten Gleichheitssatz. Völlig zurecht wollen wir ohne Ansehen der Person, ohne Diskriminierung behandelt werden. Der hehre Ansatz hat aber Konsequenzen, wenn Konkurrenten auftreten – Nachbarn bei Bauvorhaben, Mitbewerbende bei Stellenbesetzungen, Konkurrenten bei Ausschreibungen oder beim Erhalt von Subventionen. Mitbewerbende, Nachbarn, Konkurrenten können gegen die Auswahl vorgehen und den Fall bis zu den obersten Gerichten treiben. So lange dürfen laut Bundesverfassungsgericht keine Fakten geschaffen werden: Jahrelang bleiben Stellen unbesetzt, Bauplätze unbebaut, werden Anschaffungen hinausgezögert, dringend benötigte Zuschüsse nicht ausbezahlt. Dies bringt die Verwaltung in eine Zwickmühle. Sie muss jeweils ausführlich begründen, um eine Entscheidung "gleichheitsgerichtsfest" zu machen. Bürokratie ist die Folge. Der bequem erscheinende Ausweg ist nicht besser: Wir nehmen den genehmen, jedoch weniger geeigneten Kandidaten, vergeben den Auftrag an den billigsten wenn auch weniger leistungsfähigen Bieter oder verteilen mit der Streubüchse.
Außerdem "verfeinern" wir den Gleichheitssatz immer mehr, indem wir um seinetwillen weiter differenzieren. "Alle 18 Jahre alten ..." geht nicht, weil es sicher weitere Kategorien gibt, die man "gerechterweise" dazuzählen muss. Sicher gibt es auch Leute in dieser Altersgruppe, die eine Vergünstigung "gerechterweise" nicht verdienen. Also macht man Ausnahmen. Schon verlängert sich das Formular um mehrere Seiten. Mehr Bürokratie! Ein aktuelles Beispiel ist der gefundene Kompromiss der Ampelkoalition mit der CDU/CSU beim im Januar 2023 eingeführten Bürgergeld. Zusätzliche Kriterien verlangen längere Formulare und führen zu zusätzlichem Prüfaufwand mit längeren Bearbeitungszeiten. Wie lässt sich Widerstand formieren? Auch der betroffenen Verwaltungsleute? Wie lässt sich der Widerspruch zwischen Gleichheitssatz und Effizienz besser austarieren?
- Wir schlagen alle über einen Leisten
Im direkten Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern vergessen Verwaltungen leicht, dass Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben und nicht alles gleich gut können. Sie benötigen Unterstützung aufgrund eines Handicaps, des Alters, der Herkunft, der Geschlechtsidentität, des sozioökonomischen Status. Dem widerspricht der Gleichberechtigungsgrundsatz in keiner Weise. Juristen lernen früh, dass dieser Grundsatz von der öffentlichen Hand verlangt, Gleiches gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln, und beides zu begründen sein muss.
Möglichst viele Vorgänge zu digitalisieren, ist insoweit hilfreich, als es Stellen gibt, die Behinderten den "Verwaltungskram" abnehmen. Es muss stets unterschiedliche Kommunikationskanäle geben, nur in einer echten Krise darf man einen Kommunikationskanal vorübergehend schließen. In der Coronapandemie waren Bürogebäude geschlossen, schriftliche (auch E-Mail) oder telefonische Absprachen erforderlich – Warteschleifen, keine Antwort, kein Termin, keine Erledigung! Eine still stehende Verwaltung trifft die Verletzlichsten unserer Gesellschaft am stärksten – so werden wir noch viele Jahre an den Folgen der Pandemie laborieren.
- Was heißt Fehlerkultur?
Ja, es gibt einen Zusammenhang zwischen Zeitaufwand und der Zahl der Fehler. Das Modewort Fehlerkultur ist aber dann unangebracht, wenn etwas lange dauert dazu noch fehlerhaft ist. Als Ziel muss gelten: Eine Angelegenheit wird in möglichst kurzer Zeit möglichst ohne Fehler erledigt! Dies im Interesse der Bürgerinnen und Bürger auszutarieren, ist eine wichtige Führungsaufgabe. Der Gebrauch des Wortes Fehlerkultur ist nur angebracht, wenn ein Optimum erreicht wird und insgesamt die Qualität der Verwaltung steigt.
- Das Mehrebenen-Wirrwarr
Wir kennen Bund, Länder und die kommunale Ebene mit Gemeinden, Städten, Kreisen und kommunalen Verbänden. Im Normalfall regelt der Bund mehr, aber nur im Rahmen der ihm ausdrücklich durch das Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben, während die Länder die Gesetze auch mithilfe der Kommunen ausführen und die Kommunen alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wahrnehmen. So steht es in Artikel 28 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz. Wir nennen das Föderalismus, ein Mehrebenensystem. Hinzu kommt die Europäische Union mit ihren Aufgaben und Einwirkungsmöglichkeiten. Verständlich, wenn Kindertagesstätten kommunale Angelegenheiten, Landesverteidigung eine Bundesangelegenheit und Zollfragen eine europäische Angelegenheit sind. Darin steckt der Grundsatz der Subsidiarität aus der katholischen Soziallehre, der Eingang in die Europäischen Verträge gefunden hat – ein allgemeingültiger Grundsatz, Aufgaben dort zu platzieren, wo sie am besten wahrgenommen werden können. Auf deutscher Ebene gibt es wegen der unterschiedlichen Finanzkraft Länderangelegenheiten, an denen sich auch der Bund beteiligt, und Gemeindeangelegenheiten, an denen sich auch das Land beteiligt. In der Finanzwissenschaft sprechen wir dann von Externalitäten, die besser auf höherer Ebene behandelt werden. Mittlerweile gibt aber der Bund Zuschüsse zu Kindertagesstätten. Die Gemeinden verlangen vom Bund auch Unterstützung bei der Flüchtlingshilfe und die Ministerpräsidenten applaudieren, sehen sie doch ihr Land außer Obligo. Das widerspricht aber dem finanzwissenschaftlichen Grundsatz des "fiskalischen Föderalismus": Für die ausreichende Finanzierung der Kommunen sind die Länder, für die der Länder ist der Bund verantwortlich.
Eine andere Handhabe zeitigt schlimme Nebenwirkungen: Wer zahlt, will auch mitreden. Die tieferen halten bei den höheren Ebenen die Hand auf – Folge: Die höheren Ebenen können in allem mitreden. Antragsverfahren über Antragsverfahren, von denen Bürgerinnen und Bürger nie etwas erfahren. Bewilligungsbescheide über Bewilligungsbescheide mit unzähligen Bedingungen. Der deutsche Föderalismus ist aus historischen und intrinsischen Gründen eine große Errungenschaft – wie lassen sich aber seine "Risiken und Nebenwirkungen", vor allem das Mehrebenen-Wirrwarr und die zunehmende Bürokratisierung vermeiden?
- Nehmen Politik und Verwaltung Management-Theorien ernst?
Nicht nur von Managern erwartet man, dass sie betriebswirtschaftliche Theorien kennen und auch ernst nehmen. Eine Erfolgsgarantie ist damit nicht gegeben, doch Totalversagen weniger wahrscheinlich. Aufsichtsräte in Privatunternehmen werden aufgrund ihrer Managementkompetenz rekrutiert. Ganz anders sieht es in der kommunalen Landschaft aus: Schon führende Verwaltungsleute (Bürgermeister, Beigeordnete) brauchen Management-Prinzipien nicht zu kennen, die politischen Kräfte erst recht nicht. Man berät und entscheidet drauf los, ohne darauf zu achten, ob Nebenwirkungen zu erwarten sind oder ob die Verwaltung das Gewünschte überhaupt leisten kann. Man bringt Leute in Spitzenpositionen, die vielleicht die gewünschte politische Einstellung vorweisen können, aber in Fragen des Managements und der Führung blank sind. Wie lässt sich das ändern?
Ausblick
Eines weiß ich: Wenn sich etwas ändern soll, müssen alle Akteure ins Boot. Dass sich Akteure zurücklehnen, weil sie andere in der Verantwortung sehen, bringt jede Verbesserung zum Scheitern. Eine zweite, schon schwierigere Antwort lautet: Weil Menschen lernfähig sind, helfen Ausbildung, Fort- und Weiterbildung. Obwohl Politikerinnen und Politiker als vom Volk gewählte Mandatsträger nur ungern in die Schule gehen, sollten auch sie noch lernen wollen.
Dass die Lage prekär ist, weil der Mangel an Arbeitskräften Privatwirtschaft und öffentliche Hände gleichermaßen trifft und letztere leicht ins Hintertreffen geraten, wissen wir. Dies darf nicht dazu führen, die Hände in den Schoß zu legen. Für eine funktionierende Verwaltung gibt es keinen Ersatz in Gestalt der Privatwirtschaft.
Dann aber gilt: Beherztes Zupacken, Ausdauer! Strecken wir den Steuereuro weiter! Da ist noch viel drin, wie uns andere Länder, andere Verwaltungen zeigen. Auch in Deutschland lassen sich Verwaltungen ausfindig machen, die als Vorbilder dienen können. Dann füge ich gerne einen Spruch hinzu, den ich italienischen Studierenden nahegebracht habe: "Non coppiare, ma adaddare! Nicht kopieren, sondern anpassen! Sprich: aus Fremden etwas Eigenes machen!"
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