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Zur Erhaltung der Krone

Forum - Zur Erhaltung der Krone
Beim großen internationalen Sachsentreffen 2017 in Hermannstadt war auch eine Trachtengruppe aus Kleinschenk vertreten. © Fred Nuss

Die deutschen Minderheiten in Rumänien blicken auf eine lange Geschichte und eine reiche Kultur zurück. Lebendige Traditionen stiften bis heute Identität.

Beatrice Ungar01.03.2020

Seit wann leben Sie in Rumänien?“; „Sie sprechen aber sehr gut Deutsch!“; „Wie kommt es, dass diese Siedler nach mehr als 800 Jahren immer noch Deutsch sprechen?“; „Wieso gibt es deutschsprachigen Gottesdienst?“ Solche Fragen beziehungsweise Feststellungen gehören sozusagen zum Standard, wenn Reisegruppen aus Deutschland die Redaktion der Hermannstädter Zeitung besuchen. Manche angemeldet, manche aber auch einfach spontan aus Neugier, da sie beim Stadtrundgang das Schild gelesen haben und nachsehen wollen, was dahintersteckt. Selbst Anrufer aus Deutschland fragen zuerst: „Sprechen Sie Deutsch?“

„Die Verleihung des Literaturnobelpreises 2009 an die rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller hat eine deutsche Minderheit aus dem östlichen Europa mit ihrer Kultur und Geschichte in das Bewusstsein der Öffentlichkeit geholt“, kann man auf der Homepage der Bundesregierung zum Stichwort „Deutsche Kultur und Geschichte in Rumänien” lesen. 2014 wurde der ebenfalls in Rumänien, in Arad, geborene Physiker Stefan Hell mit einem Nobelpreis ausgezeichnet, für Chemie. Rockfans hätten aber schon durch Peter Maffay die Gelegenheit gehabt, etwas von den Deutschen in Rumänien zu erfahren, denn dieser stammt ebenfalls aus Rumänien, genauer aus Kronstadt/ Brasov. Wer sich für die Raumfahrt interessiert, kommt auch nicht an Dr. Hermann Oberth vorbei, dem Pionier der Raumfahrt, der in Hermannstadt/Sibiu geboren ist. Noch früher hatte sich der Gubernator von Siebenbürgen, Baron Sa- muel von Brukenthal (1721–1803), einen Namen gemacht, als er sein Palais und seine Sammlungen der evangelischen Kirchengemeinde und dem evangelischen Gymnasium in Hermannstadt stiftete und damit den Grundstein legte für das 1817 eröffnete älteste Museum in Südosteuropa.

Wer sie sind und was sie wollen

Vor 100 Jahren, als nach dem Ersten Weltkrieg Großrumänien entstanden ist, mussten die Siebenbürger Sachsen zum Beispiel erklären, „Wer sie sind und was sie wollen“, wie der Titel eines Bändchens lautet, das 1919 in rumänischer Sprache in Bukarest herausgegeben worden ist, mit einem Vorwort des bekannten rumänischen Historikers Nicolae Iorga (1871–1940).

Zu einer nationalen Minderheit wurden die Deutschen auf dem Gebiet des heutigen Rumänien nämlich erst nach dem Ersten Weltkrieg. Dazu schreibt der Historiker Matthias Beer in seinem Vorwort zu Vasile Ciobanus Buch „Die Deutschen in Rumänien 1918–1919“, das aus Anlass der Jahrhundertfeier Rumäniens 2019 in deutscher Sprache erschienen ist: „Mit rund 750.000 Personen bildeten Deutsche nach den Madjaren (Anmerkung der Autorin: im Jahr 1918) die zweitgrößte Minderheit in Rumänien. Aber lediglich bezogen auf das Merkmal ‚deutsch‘ handelte es sich um eine Minderheit. Der Sammelbegriff ‚deutsche Minderheit‘ fasste mehrere Gruppen zusammen, die sich durch ihre Geschichte, Wirtschafts- und Sozialstruktur, kulturellen Eigenheiten und auch das jeweilige Siedlungsgebiet deutlich voneinander unterschieden. Man wird daher eher von mehreren deutschen Minderheiten in Rumänien sprechen und das sowohl bezogen auf die Selbstwahrnehmung der einzelnen Gruppen als auch auf deren Fremdwahrnehmung. Im Unterschied zu den anderen großen Minderheiten Rumäniens, die allesamt Grenzminderheiten waren, handelte es sich bei den größeren deutschen Minderheiten (Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben) um Inselminderheiten oder Sprachinseln, bei den kleineren um Streuminderheiten (Sathmar, Bukowina, Bessarabien) oder Diasporaminderheiten (Dobrudscha, rumänisches Altreich). Anders als andere Einschätzungen läutete dieses Kapitel, wie der Autor zu Recht unterstreicht, obwohl Rumänien nicht alle den deutschen Minderheiten gemachten Versprechen einlöste, keineswegs den Anfang vom Ende der deutschen Minderheiten in Rumänien ein. Im Gegenteil, vieles sprach damals für ihre gedeihliche Entwicklung. Erst in den 1930er Jahren, im Zweiten Weltkrieg und in der Zeit nach 1945 bahnten sich Entwicklungen und damit Migrationsprozesse an, die dazu führten, dass der Anteil der Angehörigen der deutschen Minderheit in Rumänien mit knapp 0,2 Prozent heute verschwindend klein ist.“

Tatsächlich zählt diese Minderheit heute knapp 36.000 Angehörige. Allerdings stellen die 19 nationalen Minderheiten in Rumänien rund zehn Prozent der Bevölkerung dar. Rumänien ist demnach ein Land der Vielfalt. Dieser trägt auch die Minder- heitenpolitik Rechnung. Es gibt ein dem Generalsekretariat der rumänischen Regierung angeschlossenes Departement für interethnische Beziehungen, aus dessen Mittel alle 19 nationalen Minderheiten finanzielle Unterstützung für Publikationen, Verwaltungskosten und mehr abrufen können. Voraussetzung ist, sie verfügen über eine dementsprechende politische Vertretung. Desgleichen sind alle Minder- heiten im Parlament vertreten, in der Fraktion der sogenannten „kleinen Minderheiten“ 18, und die ungarische Minderheit verfügt sogar über eine eigene Fraktion in der Abgeordnetenkammer und einige Vertreter im Senat.

Die deutsche Minderheit wird von dem Abgeordneten des im Zuge der Rumänischen Revolution im Dezember 1989 gegründeten Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, kurz DFDR, im rumänischen Parlament vertreten. Dieser Abgeordnete vertritt alle Gruppen Deut- scher in Rumänien, sowohl die Siebenbürger Sachsen als auch die Banater Schwaben, die Sathmarschwaben, die Buchenlanddeutschen, die Dobrudschadeutschen, die Deutschen im Altreich.

Erste Siedler auf Königsboden

Die älteste Siedlergruppe ist die der Sie- benbürger Sachsen, deren Vorfahren ab Mitte des 12. Jahrhunderts in das damals zum Königreich Ungarn gehörende Siebenbürgen einwanderten. Die Bezeichnung „Sachsen“ sagt nichts über ihr Herkunftsgebiet aus, sondern taucht erst lange nach der Ansiedlung in der Kanzlei des ungari- schen Königs auf. Zu ihren Aufgaben zählten die militärische Sicherung und die wirtschaftliche Entwicklung Siebenbürgens. Die persönlich freien Siedler durften sich selbst verwalten und unterstanden direkt dem König, weswegen das Gebiet auch Königsboden genannt wurde.

Die Banater Schwaben stammen aus unterschiedlichen Regionen des Deutschen Reiches, doch wurden sie von den Kolonisatoren als „Schwaben“ bezeichnet. In drei Wellen, den sogenannten Schwabenzügen, wurde zwischen 1722 und 1787 die von Wien aus geplante und organisier- te Ansiedlung durchgeführt.

Die Vorfahren der Sathmarschwaben kamen ab dem Jahre 1712 in das Gebiet um Großkarol/Carei in Nordwest-Siebenbürgen. Graf Alexander Károlyi rief Bauern aus Oberschwaben ins Land, um infolge von Kriegen, Naturkatastrophen und Epidemien entvölkerte Dörfer zu besiedeln.

Die Landler sind Nachkommen der Österreicher, die wegen ihrer evangelischen Konfession zwischen 1734 und 1776 zwangsweise nach Siebenbürgen umgesiedelt wurden. Sie stammten mehrheitlich aus einem Gebiet Oberösterreichs, das man „das Landl“ nennt. Nur in drei Ortschaften des Kreises Hermannstadt (Neppendorf, Großau und Großpold) blieben die österreichische Mundart, das „Landlerische“, und eine eigene Tracht erhalten.

Von 1776 bis 1812 kamen Siedler deutscher Mundart in das Gebiet entlang des Wasserflusses im Maramurescher Gebiet in Nordsiebenbürgen, vor allem nach Oberwischau. Es waren mehrheitlich Waldarbeiter, die aus der Gegend von Gmunden (Oberösterreich) und der Zips (Slowakei) stammten. Sie wurden Zipser genannt.

Die Vorfahren der Buchenlanddeutschen kamen ab 1782 aus weiten Teilen des deutschen Sprachraumes in die ab 1775 vom Habsburger Reich besetzte Bukowina.

Die Vorfahren der Dobrudschadeutschen wanderten im Verlauf des 19. Jahrhunderts in mehreren Schüben aus dem Russischen Reich in die zum Osmanischen Reich gehörende Dobrudscha ein.

Rückblickend muss festgestellt werden, dass Vielfalt zumindest in Siebenbürgen, damals ein Teil des Königreichs Ungarn, schon im 10. Jahrhundert gewollt war. So jedenfalls lautete ein Ratschlag von Stefan dem Heiligen (997–1038) an seinen Sohn, er solle westliche „hospites“ (wie die Siedler genannt wurden) in sein Land rufen, denn „ein Reich, das nur eine Sprache und eine einzige Tradition hat, ist schwach und zerbrechlich, wogegen eine Vielfalt an Sprachen und Traditionen Erfahrung mit sich bringt und somit zum Wohlerge- hen des Landes und dem Ruhm des Reiches beiträgt“. So rief König Geisa II. (1141–1161) Siedler aus dem Westen des mittelalterlichen Deutschen Reiches – aus flämischen und fränkischen Territorien, aus Luxemburg, von Mosel und Rhein – nach Südsiebenbürgen, „nicht nur, damit die das Gebiet gegen äußere Feinde be- schützen sollten, sondern auch, um die wirtschaftliche Kraft der Krone durch geschickte Bauern und Handwerker zu stärken und um sie ‚ad retinendam co- ronam‘ (zur Erhaltung der Krone) gegen mögliche interne Gegner einzusetzen“, wie der Historiker und Theologe Paul Philippi (1923–2018, übrigens der Grün- dervater des Rotary Clubs Hermannstadt) in „Siebenbürgen. Eine kurze Geschichte der deutschen und ungarischen Minderheit“ schreibt.

Laut dem Historiker Harald Zimmermann sei damals, 1302, mit dem Wahl- spruch „ad retinendam coronam“ sicher eine Königskrone gemeint gewesen, „zu deren Schutz die deutschen Siedler nach Siebenbürgen gerufen worden waren. Unter dem Wort Krone versteht man aber in der deutschen Sprache auch den höchsten Wert, den zu erhalten es sich wirklich lohnt. Mit dieser Aufgabe steht die Geschichte der Siebenbürger Sachsen und aller Siebenbürger noch nicht an ihrem Ende.“

Lebendige Kultur

Die 2014 erfolgte Wahl eines Siebenbürger Sachsen, Klaus Johannis, zum Staatspräsidenten Rumäniens und dessen Wiederwahl im November 2019 geben Zimmer- mann recht. Auch die Tatsache, dass heute in Rumänien eine deutsche Tageszeitung – die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (mit den wöchentlichen Beilagen Banater Zeitung und Karpatenrundschau) – und eine deutsche Wochen- zeitung, die Hermannstädter Zeitung, regelmäßig erscheinen, spricht für sich. Dazu gibt es eine deutsche Fernsehsendung im rumänischen Staatsfernsehen, die am 29. November 2019 ihr 50. Jubiläum gefeiert hat, mehrere staatlich unterstützte Radiosendungen in deutscher Sprache, ein Deutsches Staatstheater in Temeswar und je eine deutsche Abteilung an zwei Thea- tern in Hermannstadt: am Radu-Stanca-Nationaltheater und am Gong-Theater für Kinder und Jugendliche. Ganz zu schweigen von dem Zulauf, dessen sich die 61 deutschen Schulen und Abteilungen in ganz Rumänien erfreuen, an denen 20.000 Schülerinnen und Schüler lernen.

Beatrice Ungar

Beatrice Ungar ist Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung und seit 2004 Mitglied des Rotary Clubs Hermannstadt, der in diesem Jahr sein 25. Gründungsjubiläum begeht.

 

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