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Rotary Aktuell

Zwischen angepasst und aussortiert

Rotary Aktuell - Zwischen angepasst und aussortiert
September 1944: Carl Friedrich Goerdeler (Ehrenmitglied des RC Leipzig 1936/37) vor dem Volksgerichtshof in Berlin … © Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Rotary unter dem Nationalsozialismus war alles andere als widerständig. „Unerwünschte“ Mitglieder wurden von Clubs ausgeschlossen

Hermann Schäfer01.09.2024

Die RI-Präsidenten bemühten sich bei ihren Deutschlandbesuchen um Termine bei hochrangigen Vertretern von Staat und Partei. Diese zeigten ihnen allerdings die „kalte Schulter“. Denn Rotary war den Nazis als internationale Organisation suspekt und wurde schon vor 1933 als internationale Organisation diffamierend und antisemitisch bekämpft.

2024, Zwischen angepasst und aussortiert,
… genauso wie Franz Kempner (Mitglied des RC Berlin 1929 bis 1935) im Januar 1945 und … © Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Die Clubs drängten nach der Machtübernahme – mal liberaler, mal rigoroser – ihre jüdischen und politisch „unerwünschten“ Mitglieder hinaus. Rotary bot dem Regime seit dem Frühjahr 1933 seine „Dienste“ an, rief 1936 zur Wahl der NSDAP auf und bemühte sich noch bis kurz vor der Selbstauflösung im Oktober 1937 im „Braunen Haus“ um Anerkennung. In der Rotary-Zentrale in den USA notierte man im Oktober 1937, dass die Rotarier in Deutschland sich noch mehr hätten anpassen müssen, um ihre Organisation zu retten. Deren Erhalt war wichtiger als der Schutz jüdischer oder politisch missliebiger Mitglieder. Der spätere RI-Präsident (1965/66), der niederländische Arzt C. P. H. Teenstra, notierte Mitte der 1960er Jahre völlig richtig, dass eine „ablehnende Haltung“ von RI gegenüber dem Nationalsozialismus es den deutschen Rotariern leichter gemacht hätte, sich früher aufzulösen. Dies wäre im Rückblick die richtige Entscheidung gewesen. Nur zwei Clubs lösten sich tatsächlich 1933 auf, Mainz und Heidelberg, doch weniger im Sinne eines widerständigen Verhaltens gegenüber dem Regime, als um weiteren Auseinandersetzungen im Club aus dem Wege zu gehen.

Die deutschen Rotarier reagierten ähnlich wie vergleichbare Vereinigungen in einer Mischung aus Opportunismus, Furcht und Faszination, passten sich an und versuchten, so viel wie möglich an Normalität im Clubleben aufrechtzuerhalten. Viele Rotarier waren keine bedingungslosen Befürworter des NS-Systems, wohl aber nicht selten Sympathisanten der politischen Entwicklung. Umso mehr ragen jene heraus, die Widerstand leisteten.

Verlust der „rotarischen Klassifikation“

So jene Oberbürgermeister oder Kommunalpolitiker, die sich nach der Machtübernahme weigerten, die Hakenkreuzfahne auf den Rathäusern zu hissen, oder die als Gegner der Nationalsozialisten bekannt waren. Sie wurden entlassen, erhielten Berufsverbot, manche kamen in „Schutzhaft“. Nun, ohne „rotarische Klassifikation“, mussten sie fast ausnahmslos die Clubs verlassen: Konrad Adenauer in Köln, Walter Arlart in Chemnitz, Karl Bender in Freiburg, Hans Charbonnier in Liegnitz, Wilhelm Ehrhard in Mainz, Julius Finter in Karlsruhe, Hermann Heimerich in Mannheim, Wilhelm Külz in Dresden, Ludwig Landmann in Frankfurt, Robert Lehr in Düsseldorf, Emil Lueken in Kiel, Carl Petersen in Hamburg, Wilhelm Rombach in Aachen, Karl Scharnagl in München, Otto Wagner in Breslau. Eine „Altmitgliedschaft“ wurde ihnen fast nie angeboten.

Neben diesem politischen Widerstand machten einige gläubige Christen schon früh keinen Hehl aus ihrer Ablehnung des Nationalsozialismus: Heinrich Kappes (RC Karlsruhe), der wegen dieser Haltung schon 1933 von seiner Kirche in den Ruhestand geschickt wurde, Arndt von Kirchbach (RC Dresden), der sich gegen die Überführung kirchlicher Jugendgruppen in die Hitlerjugend stellte, Kurt Lindner (RC Zwickau-Glauchau), Mitglied der Bekennenden Kirche, und Hanns Georg Francken-Schwann (RC Düsseldorf), der die katholische Ausrichtung seines Verlages nicht aufgeben wollte.

Der Journalist Arnold Nagel schrieb schon früh gegen die Nationalsozialisten an und wurde nach der Angliederung des Saarlandes in Saarbrücken als Chefredakteur entlassen; er konnte Mitglied des RC Saarbrücken bleiben und schloss sich dem Widerstand an. Der Versicherungsunternehmer Otto Hübener (RC Berlin) fand zum Widerstand und wurde von der Gestapo ermordet. Ebenso gab es „stille Helden“ wie beispielsweise die Ärzte Otto Jüngling (RC Stuttgart) und Wilhelm Bopp (RC Pforzheim), die jüdische Patienten behandelten und damit Repressalien der Nationalsozialisten in Kauf nahmen.

Zu den wichtigsten Akteuren des deutschen Widerstands gegen Hitler zählt Carl Goerdeler, Oberbürgermeister von Leipzig. Zwar plädierte er 1932 für die Beteiligung der NSDAP an einer Koalitionsregierung und kooperierte bis 1936 mit den Nationalsozialisten, aber er sah deren antijüdische Politik als ungerecht und in der Wirkung auf das Ausland als verhängnisvoll an. Als am 1. April 1933 Schlägertrupps der SA in Leipzig Juden misshandelten, versuchte er gemeinsam mit seinem Vertreter Ewald Loeser, seit 1934 Mitglied des RC Leipzig, die Juden zu schützen.

Goerdeler zögerte einige Jahre, Mitglied des RC Leipzig zu werden, und nahm lediglich an einzelnen Veranstaltungen teil. Bis der Club im Juli 1936 beschloss, ihn als Ehrenmitglied aufzunehmen. Auf seinen ersten Vortrag im Club folgte tags darauf seine Rücktrittsankündigung als Oberbürgermeister. Aus seiner gewachsenen Distanz zum Nationalsozialismus wurde zunehmend Opposition. Ab 1938 stand er in engem Kontakt zum militärischen Widerstand um Ludwig Beck, wurde zu einem der führenden Köpfe des Widerstands und zog auch manche seiner früheren rotarischen Freunde ins Vertrauen.

Im Netzwerk der Verschwörer

Widerständiges Verhalten war eine individuelle Entscheidung. Nicht Rotary oder die Clubs zeigten widerständiges Verhalten, sondern einzelne Persönlichkeiten. Inwieweit rotarisches Engagement Einzelne dabei zusammengebracht haben mag, lässt sich nicht sagen und ist weniger wahrscheinlich.

Im Netzwerk der wichtigsten Verschwörer um Goerdeler und Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die sich aktiv am Umsturzversuch beteiligten, eingeweiht waren oder sich für Ämter zur Verfügung gestellt hatten, sind vor allem vier Personen zu nennen, die Rotarier waren: Carl Goerdeler als wichtigste. Daneben Franz Kempner (RC Berlin), der den Club wegen seiner jüdischen Herkunft 1935 verlassen musste und der als Staatssekretär der Reichskanzlei in einer neuen Regierung vorgesehen war. Ewald Löser, der als möglicher Finanzminister auf Goerdelers Kabinettsliste stand. Der Gutsbesitzer und Agrarunternehmer Carl Wentzel, Mitglied des RC Halle (Saale), der mehrfach Gastgeber für Goerdelers Gesprächsrunden war. Von ihnen überlebte nur Löser mit Glück. Goerdeler, Kempner und Wentzel wurden vom „Volksgerichtshof“ unter Roland Freisler zum Tode verurteilt und hingerichtet. 


Buchtipp

 

Hermann Schäfer

Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus. Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder. Ein Gedenkbuch

Wallstein-Verlag 2024, 880 Seiten.

Erscheinungstermin: September 2024. Für Rotary-Mitglieder gibt es bis zum 1. Oktober 2024 bei Sammelbestellung über die Clubs ein Subskriptionsangebot für 25 Euro – statt später im Buchhandel 38 Euro (Österreich: 39 Euro).

 

Hermann Schäfer
Prof. Dr. Hermann Schäfer (RC Bonn Süd-Bad Godesberg) ist Gründungspräsident der Stiftung Haus der Geschichte der BRD. Zu seinen Werken gehört unter anderem „Deutsche Geschichte in 100 Objekten“ (Piper-Verlag, 2015).