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Ordnung schaffen: Die Krankenhausreform will die Patientenversorgung in Deutschland neu strukturieren und für die Zukunft sichern. Eine Sterilgutassistentin im Universitätsklinikum in Mannheim überprüft Operationsklammern auf ihre Funktion. © Wolfram Kastl/picture alliance/dpa

Gesundheit ist kein normales Konsumgut, sondern sollte allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein. Dafür ist die kürzlich begonnene und bereits auf vollen Touren laufende Krankenhausreform ein enorm wichtiger Schritt.

Wolfgang Holzgreve01.09.2023

Das Gesundheitswesen in Deutschland kann trotz aller nach Umfragen zunehmenden Unzufriedenheit von Patienten so schlecht nicht sein, weil sich etwa die meisten Deutschen bei plötzlich im Ausland auftretenden schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen gerne in ein einheimisches Krankenhaus zurückverlegen lassen. Trotzdem liegen wir im internationalen Vergleich der Kosten im Verhältnis zu den objektiv messbaren Ergebnissen (Lebenserwartung, Häufigkeit von Krankheiten wie Diabetes et cetera) nicht in einer Spitzenposition. Die Gesundheitskosten in Deutschland betrugen im Jahre 2021 schon 474 Milliarden Euro, und in diesem Jahr werden es wohl über 500 Milliarden sein, sie entsprechen inzwischen 12,7 Prozent des Bruttosozialprodukts. Noch haben alle gesetzlich Versicherten in Deutschland gleichermaßen den Anspruch auf das breite Angebot von Leistungen, die „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind sowie das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ (Wirtschaftlichkeitsgebot nach Paragraf 12 des Sozialgesetzbuches), aber diese Garantie gilt es für die Zukunft abzusichern.

Die finanzielle Lage der Krankenhäuser in Deutschland ist prekärer, als viele wissen, und nach der jüngsten Roland-Berger-Krankenhausstudie 2023 schrieben im Jahr 2022 mehr als die Hälfte der Kliniken Verluste, wobei vor allem solche in öffentlicher Trägerschaft einschließlich vieler Universitätskliniken betroffen sind. Die Ursachen sind vielfältig, liegen aber vor allem am in Deutschland auch in anderen Bereichen leider vorhandenen Investitionsstau, dem (vorhersehbaren) allgemeinen Fachkräftemangel insbesondere im Pflegebereich aufgrund der veränderten Demografie und an den aktuellen allgemeinen Preissteigerungen durch die Inflation. Ein Weiter-so kann es also nicht geben. Um ein unkontrolliertes Kliniksterben zu verhindern, ist jetzt eine mutige und gut zwischen Bund und Ländern koordinierte Krankenhausreform gefragt.

Eckpunkte für die Reform

Vorreiter einer solchen nötigen und die Zukunft unseres Gesundheitswesens sichernden Planung sind auf Landesebene der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Bundeslandes NordrheinWestfalen, Karl-Josef Laumann, sowie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, wobei dieser auch schon davon gesprochen hat, dass eine „Revolution“ auf den Weg gebracht worden sei. Einige Journalisten hätten sicher gern gehabt, wenn der Gesundheitsminister des größten deutschen Bundeslandes Laumann (CDU) und der SPD-Bundesgesundheitsminister sich in einen medienwirksamen, langen und offenen Streit bei ihrer schwierigen Aufgabe begeben hätten, aber die beiden hohen Verantwortungsträger mit ihrem exekutiven Mandat kennen sich wohl seit über 30 Jahren und haben einen wesentlichen Anteil daran, dass wir parteiübergreifend in diesem wichtigen Bereich des öffentlichen Lebens inzwischen eine „Alea iacta est“-Situation für die unmittelbar anstehende Krankenhausreform haben – mit folgenden Eckpunkten:

Um eine höchstmögliche Qualität zu fördern, muss eine Zentralisierung besonders aufwendiger Leistungen in Spezialzentren höchster Versorgungsstufe gefördert werden, damit sich kleinere Kliniken auf das konzentrieren, was sie besonders gut können, nämlich die Versorgung einfacherer Fälle, die in Wohnortnähe idealerweise in weniger als 30 Minuten Anfahrtszeit behandelt werden können – quasi als Daseinsfürsoge in der Fläche.

Die bisher im stationären Bereich stark dominierende Vergütung allein nach der Fallzahl und der Diagnose-Gruppe soll modifiziert werden, um eine dringend notwendige Entbürokratisierung sowie eine Minderung des ökonomischen Drucks zu erreichen und um den durch das jetzige Vergütungssystem teilweise geförderten „Hamsterrad-Effekt“ abzubauen, indem in Zukunft auch für die in den Kliniken je nach Versorgungsstufe anfallenden Vorhaltungen von Personal und Ausstattung gezahlt wird. Hier kommt den 35 Universitätskliniken in Deutschland natürlich als Versorgungsstufe eine besondere Bedeutung zu, wie dies auch gerade durch die von der Sars-CoV-2-Pandemie verursachte Zusatzbelastungszeit sehr deutlich wurde. In Zukunft werden ähnlich wie bei der Weiterbildungsordnung der Ärztekammern Leistungsbereiche und Leistungsgruppen definiert, in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel 30 beziehungsweise 60, für die alle Kliniken ihre Versorgungsaufträge neu beauftragen mussten, wobei am Ende nicht alle Kliniken das behalten können, was sie heute anbieten. So wird es etwa in der Kardiologie, der Endoprothetik, der spezialisierten Viszeralchirurgie oder der Thoraxchirurgie zur Konzentration auf weniger Leistungserbringer kommen. Nach Schätzung des Gesundheitsökonomen Boris Augurzky würden zum Beispiel in Berlin Hüft-Endoprothesen statt in 34 nur noch in 21 Häusern geleistet werden.

Ein innovatives Element der Krankenhausreform ist auch das Konzept der Level-1i-Krankenhäuser mit ärztlicher und pflegerischer Vor-Ort-Versorgung in umgewandelten kleineren Krankenhäusern als zukünftig dann ambulante/stationäre Einrichtungen. Hierdurch sollen wohnortnahe Leistungen mittels Bündelung interprofessioneller und interdisziplinärer Angebote gesichert werden.

Über allem steht die Förderung der Qualität, und die Transparenz soll für die Patienten ab 2024 ausgebaut werden, indem diese bessere Einsicht in das Leistungsangebot der jeweiligen Kliniken nehmen können.

Selbst wenn in Städten und auf dem Land einzelne Kliniken im Zuge der jetzt definierten Krankenhausplanung sogar ganz schließen oder sich in ein Ambulatorium umwandeln müssen, ist ein solcher kontrollierter Prozess besser als der im Moment nicht gesteuerte, welcher schon lange vor der jetzt anstehenden Krankenhausreform begonnen hat: So standen in Deutschland 1991 noch 665.565 Betten in 2411 Krankenhäusern zur Verfügung, aber bis 2021 ging die Zahl der Krankenhäuser bereits um 524 auf 1887 mit 483.606 Betten zurück. Auf die Bevölkerungszahl bezogen, sank damit die Quote von 832 auf 581 Betten pro 100.000 Einwohner, was aber im OECD-Vergleich immer noch ein hoher Wert ist.

Abbau der Überkapazität

Die Coronazeit hat dabei wegen ihrer besonderen Herausforderungen wie ein Brennglas gewirkt, welches Stärken und Schwächen unseres Gesundheitswesens besonders deutlich gemacht hat. So kann der Rückgang der Bettenauslastung schon im ersten Coronajahr 2020 von 13 Prozent gegenüber 2019 und im Jahr 2021 von fünf Prozent entsprechend 20 Prozent gegenüber dem letzten Vor-Coronajahr 2019 als zusätzlicher Anhalt für eine gewisse Überkapazität an Krankenhausbetten in Deutschland gewertet werden. Dabei war der Rückgang der Bettenauslastung in den durch die Sars-CoV-2-Pandemie belasteten drei Jahren verständlicherweise bei dringenden Behandlungen wesentlich weniger ausgeprägt als bei den weniger dringenden. Diese Konzentration der Leistungserbringungen war auch eine Erklärung dafür, dass zum Beispiel bereits im ersten Co rona jahr 2020 das Universitätsklinikum Bonn (UKB) mit seinem dritthöchsten durchschnittlichen Fallschweregrad (sogenannter Case Mix Index) in Deutschland als einziges von 35 Universitätskliniken sogar einen Leistungsanstieg hatte – weil trotz der im UKB bis zum Ende der Pandemie mehr als 3000 stationär behandelten Fälle mit Covid-19 die Patienten mit anderen Diagnosen (Herzinfarkt, Krebs, Schlaganfall et cetera) wie üblich behandelt wurden und wegen der hohen Fallschwere kaum Eingriffe verschoben werden konnten.

Für die Universitätskliniken in Deutschland sind bei der Krankenhausreform zusätzlich zur Krankenversorgung auch die von den jeweiligen Wissenschaftsministerien finanzierten Aufgaben in Forschung und Lehre und somit die Zukunftssicherung von großer Bedeutung. So weist etwa auch die gemeinsame Stellungnahme der acht universitätsmedizinischen Standorte in NRW zum Bund-Länder-Eckpunktepapier der Krankenhausreform darauf hin, dass von den universitätsmedizinischen Zentren auch die Systemaufgaben jenseits der jederzeit stattfindenden Krankenversorgung berücksichtigt werden müssen – mit den Beispielen Pandemievorsorge, Notfallversorgung inklusive Massenanfall von Patienten, Entwicklung präventiver Medizin et cetera, die eine Vorhaltfinanzierung verlangen. Auch die deutsche Wissenschaftsakademie Leopoldina hat im Juni 2023 dazu festgestellt: „Die Bildung von Netzwerkstrukturen mit anderen Leistungserbringern mit einer zentralen koordinierenden Rolle der Universitätskliniken ist besonders wichtig.“

Das perfekte System gibt es nicht

Bei großen Reformaufgaben muss es in Staaten mit föderaler Struktur gelingen – auch wenn zum Beispiel im Gesundheitswesen in Deutschland die Bundesländer bei der Krankenhausplanung eine hohe Selbständigkeit haben –, einen über Ländergrenzen hinausgehenden Konsens zu erreichen, weil gegenseitige Blockaden gerade in einem zentralen Bereich der Daseinsfürsorge der großen Verantwortung nicht gerecht würden. Deswegen ist es positiv, dass in dem intensiven Abstimmungsprozess zwischen Bund und Ländern gerade erreicht werden konnte, dass 14 der 16 Bundesländer sich schließlich auf die Reform-Eckpunkte einigen konnten. Und wenn sich dann bei einer Abstimmung nur ein Bundesland enthält und ein anderes, welches gerade kurz vor einer Landtagswahl steht, dagegen stimmt, ist das in einem demokratischen Prozess nicht nur normal, sondern auch gut nachvollziehbar.

Insgesamt fällt mir als Mediziner mit 14 Jahren Leitungserfahrung in einem großen Universitätsklinikum in der Schweiz auf, dass in Deutschland Diskussionen oft viel mehr von Vereinigungen und Verbänden dominiert werden, die natürlich selektiver die Interessen ihrer Mitglieder vertreten und deswegen wohl häufiger vorhersagbar antagonistisch argumentieren.

Die Krankenhausreform ist nun in Nordrhein-Westfalen als Vorreiterland schon relativ weit, in anderen Bundesländern gestartet und vom Bund in beeindruckend kurzer Zeit gemeinsam mit den Ländern über die ersten Hürden gebracht worden – mit ehrgeizigen „Deadlines“, die aber für die große Aufgabe angemessen sind. Der berühmte US-amerikanische Arzt, Gesundheitswissenschaftler und Präsidentenberater Professor Ezekiel J. Emanuel hat in seinem bemerkenswerten Buch mit dem Titel Which Country Has the World’s Best Health Care ausführlich die Vor- und Nachteile der Gesundheitssysteme vieler Länder untersucht. Er kommt dabei zu der Schlussfolgerung, dass es das ideale Gesundheitswesen nirgendwo in der Welt gibt: So ist etwa das in den USA größtenteils privat organisierte Gesundheitswesen mit seinem im internationalen Vergleich höchsten prozentualen Anteil des Bruttosozialprodukts viel zu teuer – es gibt zwar Spitzenmedizin in bestimmten Universitätskliniken, aber auch eine große Ungleichheit im Zugang für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Demgegenüber gibt es in Großbritannien mit seinem National Health Service eine gute Breitenversorgung mit günstigem Preis-Leistungs-Verhältnis, aber leider oft kritischen Wartezeiten für medizinische Eingriffe und andere Behandlungen.

Deutschland hat aufbauend auf den von Otto von Bismarck 1883 inaugurierten Prinzipien der Solidargemeinschaft der Krankenkassenzahler noch immer ein im internationalen Vergleich relativ gutes Gesundheitswesen. Dieses müssen wir jetzt allerdings gründlich reformieren, um es zu erhalten und zukunftsfähig zu machen. Gesundheit ist kein normales Konsumgut, sondern allen Menschen sollte eine gute Versorgung gleichermaßen zugänglich sein. Dafür ist die kürzlich begonnene und bereits auf vollen Touren laufende Krankenhausplanung zwar sicher nicht der einzige, aber neben Digitalisierung, Ambulantisierung, Personalakquise und anderen Aufgaben ein wichtiger Schritt, den es zu begleiten, zu modifizieren und vor allem zu unterstützen gilt.

Wolfgang Holzgreve

Prof. Dr. Wolfgang Holzgreve (RC Bonn) studierte Medizin und Genetik in Münster und Berkeley und erwarb einen MBA. Er war 14 Jahre Ordinarius für Gynäkologie und Geburtshilfe am Universitätsspital Basel und ist seit 2012 Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender am Universitätsklinikum Bonn. Er hat 14 Ehrendoktortitel und hält zwei Patente.