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Titelthema

Alles so schön sanft hier

Titelthema - Alles so schön sanft hier
© Illustrationen: Andrea Ucini

Komplementärmedizin ist populär. Doch die Fachwelt reagiert skeptisch: Soll man Heilverfahren wie die Homöopathie akademisch aufwerten, wenn es für deren Nutzen keine seriöse Evidenz gibt?

Werner Bartens01.02.2020

Es ist ein Dilemma. In Umfragen geben zwar mehr als 60 Prozent der Befragten an, alternativen Behandlungsmethoden gegenüber „aufgeschlossen“ zu sein. Aber in der Fachwelt gibt es Widerstand gegen Verfahren, die für sich das diffuse Etikett „ganzheitlich“ in Anspruch nehmen, aber einen Nutzen über den Placebo-Effekt hinaus nicht nachweisen können.

Ärzte und Wissenschaftler, die Patienten nur das zumuten wollen, was sich nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin als vorteilhaft belegen lässt, kritisieren das falsche Spiel mit der Hoffnung: Besonders wenn Schwerkranken unhaltbare Versprechungen gemacht werden, reagieren Kritiker empört. „Ich kenne kein alternatives Heilverfahren, das den Verlauf einer Krebserkrankung positiv beeinflusst, auch wenn dies Vertreter von Homöopathie & Co. gebetsmühlenartig behaupten“, empört sich beispielsweise Norbert Schmacke, Gesundheitswissenschaftler aus Bremen. „Dass alternative Heiler schaden, indem sie zum Teil von wirksamen Therapien abraten, ist bitter bis kriminell.“

Neuer Lehrstuhl an Uni Tübingen
In den vergangenen Jahren haben die fragwürdigen Therapien öfter eine prominente Bühne bekommen. Floskeln wie sanft, natürlich und alternativ machen auch vor Politik und Universitäten nicht halt. Die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg hatte 2018 die Einrichtung einer entsprechenden Professur für „Naturheilkunde und Integrative Medizin“ beschlossen. An der Universität Tübingen sollten alternative Heilmethoden beforscht und auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit geprüft werden. Die Robert-Bosch-Stiftung beteiligt sich an der Finanzierung.

Norbert Schmacke, der in seinem Buch „Der Glaube an die Globuli“ (Suhrkamp, 2015) die Argumentation der Homöopathie-Anhänger entlarvt, findet deutliche Worte. „Dass auch die Universität Tübingen glaubt, zu Standardverfahren der Alternativmedizin forschen zu müssen, nachdem dieses Kapitel wirklich abgeschlossen ist, spricht leider dafür, dass die akademische Welt auf die Rutschbahn der Esoterik gelangt ist“, so der Mediziner.

Unter den Uni-Medizinern in Tübingen war die Skepsis ebenfalls groß. Die Erforschung nicht seriös belegter Verfahren unter dem Dach der ehrwürdigen Universität wurde kontrovers diskutiert, wie aus Professorenkreisen zu erfahren war. Schließlich wird die Kritik an Homöopathie und Co. nicht nur von starrköpfigen „Schulmedizinern“ geteilt – diese Bezeichnung ist übrigens ein 1876 erfundener Kampfbegriff der Homöopathen. Vielmehr kommen alle, die sich rational-wissenschaftlichen Kriterien in der Medizin verpflichtet fühlen, zu einem ähnlichen Ergebnis.

Kleine und große Gefahren
Im „Mayo Clinic Book of Alternative Medicine“ heißt es, Homöopathie sei zwar populär, „aber es fehlen gute Studien, die ihren Nutzen belegen“. Zudem gebe es das Risiko, „Geld für etwas auszugeben, das nicht funktionieren könnte, und auf bewährte Behandlungen zugunsten der Homöopathie zu verzichten“. NHS Choices, die britische Informationsseite über das Gesundheitssystem, betont, es gebe „keinen Beleg für die Idee, dass Verdünnen und Verschütteln von Substanzen in Wasser diese in Medizin verwandeln können.“ Und Gesundheitsbehörden in Australien warnen: „Homöopathie sollte nicht verwendet werden, um chronische oder ernste Probleme zu behandeln. Wer Homöopathie anwendet, kann die Gesundheit gefährden, wenn Behandlungen abgelehnt oder verzögert werden, für die es gute Nutzen- und Sicherheitsbelege gibt.“ Kein Wunder, dass der Medizinkritiker Ben Goldacre in seinem Buch Bad Science“ fragt: „Warum glauben eigentlich so viele kluge Menschen an so dumme Sachen?“

Bisher konnten Wissenschaftler nicht seriös belegen, dass die oft pauschal als „sanft“ titulierten Behandlungen in ihrer Wirkung über den Placeboeffekt hinausgehen. Und die verbreitete Haltung, „schaden kann es aber auch nicht“, hat sich insofern als gefährlich erwiesen, als oft wirksame Therapien unterlassen werden, wenn die Skepsis gegenüber der herkömmlichen Medizin ausgeprägt und der Vertrauensvorschuss in alternative Verfahren groß ist.

Unter dem Motto „stört nicht weiter“ wird die Homöopathie oft toleriert, auch wenn da vom Gedächtnis des Wassers, von Quantenphänomenen und NanoEffekten schwadroniert wird. Die Schattenseiten der Magie mit dem Nichts sind jedoch sehr wohl vorhanden, denn anders als die Mehrzahl der Homöopathen behauptet, geben etliche von ihnen vor, auch bei schweren Leiden Hilfe und Heilung zu bieten.

Homöopathie gegen Krebs
So versprechen Homöopathen manchmal Schwerkranken Heilung, sogar die Heilung von Krebs – bei ausschließlicher Anwendung der Homöopathie. Dass sie ergänzend zu Chemotherapie und Bestrahlung die Lebensqualität verbessern, davon sind sie sowieso überzeugt. So behauptet die Clinica Santa Croce im Tessin Heilerfolge bei Tumoren vorweisen zu können. Analysen der Daten haben aber gezeigt, wie dilettantisch die Fälle dokumentiert sind und dass sich ein Therapieerfolg daraus nicht ableiten lässt. Macht aber nichts, in der deutschsprachigen Zeitschrift Natur & Heilen fand sich 2015 der Beitrag „Sanfte Medizin. Homöopathie und Krebs“, der ohne Belege behauptete: „Die Heilung von Krebs durch homöopathische Behandlung ist nichts Neues.“

Kritik perlt ab. Entweder wird die Wissenschaft als unzulänglich erklärt, um das komplexe Gefüge der Homöopathie erfassen zu können. Oder die Forschung ist noch nicht so weit. Schon oft habe sich ja gezeigt, dass große Geister, anfangs unverstanden, am Ende recht behielten. Ein wasserdichtes System. 2018 hat eine Untersuchung in Fachblatt JAMA Oncology gezeigt, was Krebspatienten tun, die auf alternative Verfahren setzen. Von den Tumorkranken, die komplementäre Behandlungen zuließen, verweigerten sieben Prozent eine empfohlene Operation, 34 Prozent eine Chemotherapie und 53 Prozent eine Bestrahlung. „Patienten mit heilbaren Tumoren können wichtige Behandlungen versäumen, wenn sie auf komplementäre Verfahren setzen“, so die Autoren um Skyler Johnson. „Das geht mit einer schlechteren Prognose einher, Ärzte sollten eindringlich davon abraten.“

Doch trotz der erdrückenden Beweise für die Nichtigkeit der Methode steht die Homöopathie – wie auch die anthroposophische Medizin und die Phytotherapie – unter Schutz. Der Gesetzgeber räumt den Verfahren einen Sonderstatus als „besondere Therapierichtung“ ein. Derartige Arzneimittel müssen nicht – wie konventionelle Pharmaka – in klinischen Studien ihren Nutzen beweisen, um erstattet zu werden. Ihre Bewertung erfolgt stattdessen im „Binnenkonsens“ von Vertretern der jeweiligen Therapierichtung. „Es ist absurd, in Gesundheitsfragen mit zweierlei Maß zu messen. Die Politik blendet die doppelte Buchführung aus“, sagt Schmacke. „Man stelle sich vor, Orthopäden befinden unter sich über die meist nutzlose Kniespiegelung und heißen sie verbindlich für die Kassen gut. Es gäbe einen Aufschrei!“

Schmacke ist es leid, dass zwischen „Schulmedizin“ und „Komplementärmedizin“ unterschieden wird. „Es gibt gute und schlechte Medizin, und die sollte nach denselben Kriterien beurteilt werden“, so der Arzt. Zudem sei es fatal, dass immer mehr Medizinfakultäten Nischeninstitute für „alternative“ Verfahren einrichten. „Diese populistische Bewegung adelt nur die Homöopathie, und der Laie denkt sich: Muss ja was dran sein, wenn die Unis sich damit beschäftigen.“

Der Widerstand wächst
Doch mittlerweile wächst der Widerstand: Die Universität Wien strich die Vorlesung des umstrittenen Homöopathen Michael Frass. Studenten hatten sich über seine unkritische Darstellung beschwert. 2016 bildete sich der „Münsteraner Kreis“, ein Zusammenschluss renommierter Ärzte, Wissenschaftler und Ethiker, um „den gegenwärtigen Irrsinn nicht länger hinzunehmen“. Die Forscher und Mediziner wehrten sich gegen die gefährliche Pseudowissenschaft, die von der Homöopathie, Heilpraktikern und anderen komplementären Verfahren ausgeht. Die Ärztekammer Bremen strich im September 2019 die Zusatzbezeichnung Homöopathie, „da wissenschaftliche Nachweise ihrer Wirksamkeit fehlen“.

Bayern dreht eine neue Runde
Allerdings sind die Zweifel an der Pseudolehre noch nicht überall angekommen. 2019 stimmte der Bayerische Landtag mit den Stimmen von CSU, Freien Wählern sowie der meisten Grünen für die Finanzierung einer Studie, die untersuchen soll, ob durch homöopathische Mittel der Einsatz von Antibiotika reduziert werden kann.


Robert Bosch Stiftung Finanziert Tübinger Lehrstuhl mit 2 Mio.
„Wir zahlen fünf Jahre lang 400.000 Euro als Anschub“, sagt Joachim Rogall (RC Sinsheim), Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch Stiftung. „Danach führt das Land Baden-Württemberg die Finanzierung alleine weiter.“ Geplant ist es, den neuen Lehrstuhl nicht der Homöopathie, sondern der Komplementärmedizin allgemein zu widmen und eng mit dem Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin des Robert Bosch Krankenhauses in Stuttgart zu verzahnen. „Homöopathie kann aber in der Lehre und in der Patientenversorgung Gegenstand sein, schließlich fördert die Robert Bosch Stiftung über ihr Institut für Geschichte der Medizin auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Homöopathie, der Robert Bosch selbst sehr verbunden war“, so Rogall.

Werner Bartens
Dr. Werner Bartens ist Leitender Redakteur im Wissenschaftsressort der Süddeutschen Zeitung und Autor für das SZ-Magazin. Seine Bücher haben eine Auflage von rund einer Million Exemplaren erreicht und wurden bisher in 14 Sprachen übersetzt. werner-bartens.de