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Interview

"Die Impfpflicht ist nur eine Notlösung"

Interview - "Die Impfpflicht ist nur eine Notlösung"
© Roland Mühlanger

Mit 1. Februar gilt in Österreich eine allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19. Für den Wiener Virologen Christoph Steininger (RC Wien-Marc Aurel) ist sie das Resultat von Versäumnissen, aber durchaus ein Mittel zur Vorbereitung auf sicher kommende weitere Corona-Wellen im Herbst.

Christoph Steininger24.01.2022

Ist die Impfpflicht jetzt der große Gamechanger, von dem wir schon so lange sprechen?

(lacht) Die Impfpflicht ist nur die zweit- oder drittbeste Möglichkeit. Aber sie ist zumindest ein klares Zeichen. Es wird nicht so einfach sein, sie zu exekutieren.

Was wäre die beste Möglichkeit?

Man hätte schon im letzten Sommer intensiver aufklären und informieren müssen. Ich habe für Firmen Fortbildungsveranstaltungen gemacht, wo direkt Fragen gestellt und Sorgen geäußert wurden, und wir konnten da zum Beispiel in einer Immobilienfirma die Impfquote von 80 auf 98 Prozent erhöhen.

Sie glauben also, dass die Impfpflicht nicht rasend viel bewirken wird bei denen, die sich bis jetzt nicht haben impfen lassen?

Ich befürchte, dass es eine so starke Erstarrung der Fronten gibt, dass die Impfpflicht diese Fronten nicht aufbrechen wird. Wichtiger wäre, dass man die Zweifler überzeugt und mit anderen Mitteln bewegt, sich impfen zu lassen. Man könnte durchaus bei Betrieben ansetzen. Die haben ja ein vitales Interesse daran, die Belegschaft nicht geschlossen krank zu haben und dass dann alles stillsteht. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, zum Beispiel im Gesundheitssystem eine Impfpflicht einzuführen. Das hat bei Influenza-Epidemien im Ausland gut funktioniert. In Kanada hat man gesagt, man muss sich nicht impfen lassen, aber dann kann man nicht in einem kritischen Bereich arbeiten. Also, man hätte schon noch an kleineren Schräubchen drehen können.

Hätte man sich damit die allgemeine Impfpflicht jetzt ersparen können?

Ja, mit einer Impfpflicht im Medizinsystem, bei der Exekutive, den Verkehrsbetrieben und der kritischen Infrastruktur hätte man schon einen sehr großen Teil der Bevölkerung erreicht. Zusammen mit Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit in den Betrieben hätte man schon viele Menschen eingefangen.

Manche sagen, dass die Impfpflicht für die Omikron-Variante ohnedies zu spät kommt. Was ist denn dann das Kalkül, dass man es trotzdem macht?

Dass man diesmal für nächsten Herbst nicht zu spät dran ist. Es stimmt, dass wir für die Omikron-Variante spät dran sind, sodass wir jetzt nur noch versuchen können, schon für die nächste große Welle die Schotten dicht zu machen.

Aber würde nicht auch die viel besprochene Durchseuchung mit Omikron das gleiche bewirken?

Nein. Wenn wir eine Durchseuchung von 95 Prozent erreichen, dann haben wir zwar eine Immunität gegen Omikron, aber sehr wahrscheinlich keine oder nur eine geringe Immunität gegen andere Varianten, die ziemlich sicher nachkommen werden.

… gegen die die Impfung aber schützen wird?

Genau, dagegen wird die Impfung schützen. Christian Drosten hat ja vor einigen Tagen das Gespenst an die Wand projiziert, dass Delta und Omikron sich genetisch verbinden, und dann hat man ein sehr infektiöses und gefährliches Virus. Omikron wird in einigen Wochen wahrscheinlich abgeflaut sein, aber was sich bis dahin noch abspielen wird, wage ich nicht abzuschätzen. Ich erwarte, dass wir noch massive Ausfälle in der Infrastruktur haben werden.

Weil es zu viele Krankenstände geben wird?

Ja, in zu kurzer Zeit. Wir sehen, wie die Kurven nach oben gehen. In Deutschland wurde schon gewarnt, dass die Ausfälle massivst sein werden. Einige Städte, ich glaube auch Wien, bereiten sich schon auf Ausfälle im öffentlichen Verkehr vor, indem sie etwa die Taktfrequenz im öffentlichen Verkehr reduzieren werden.

Sie haben zuvor gesagt, dass sich viele Impfgegner trotz der Androhung von Strafen nicht zur Impfung zwingen lassen werden, weil die Fronten so verhärtet sind. Das heißt, eine hundertprozentige Durchimpfung wird man nicht erreichen. Das weiß die Politik ja wohl auch. Welche Impfquote braucht man denn für eine Immunisierung der Bevölkerung?

Das kann man so nicht sagen. Wenn wir in einer idealen Welt wären, wären 100 Prozent aller Europäer geimpft und trotzdem hätten wir wegen der hohen Infektiosität und Immunflucht von Omikron immer noch viele Fälle. Aber die wären sehr milde. Das bedeutet für kommenden Herbst, wenn wir es nicht schaffen, 100 Prozent Immunität zu erreichen, entweder durch Impfung oder durch Genesung, dann wird es wieder schwierig werden.

Viele begründen ihr Zögern bei einer Impfung auch mit dem Warten auf einen sogenannten Totimpfstoff, auch wenn der Begriff nur teilweise richtig ist. Solche Impfstoffe kommen jetzt. Werden die eine stärkere Durchimpfungsquote bewirken?

Nein. Man kann sich ja schon lange dafür voranmelden, aber die Anmeldungen sind sehr gering.

In Deutschland zögert man mit einer allgemeinen Impfpflicht, die kommt frühestens im April oder Mai. Sind das nur politische Gründe durch den starken Föderalismus, der ja noch stärker ist als in Österreich, oder ist man doch nicht so überzeugt davon?

Ich glaube, dass allen Politikern bewusst ist, dass die Impfpflicht nicht das Allheilmittel ist, sondern nur eine Notlösung, genauso wie Lockdowns nur eine Notlösung sind. Bei uns ist jedenfalls einiges schiefgegangen in der Kommunikation. Wenn man letzten Sommer die Pandemie für beendet erklärt hat, darf man nicht überrascht sein, dass sich viele dann nicht mehr impfen lassen.

Österreich ist bisher das erste und einzige Land in Europa mit einer Impfpflicht. Wir stehen damit weltweit unter ganz besonderer Beobachtung. Lehnt sich da die Politik zu weit aus dem Fenster?

Ja, die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht war definitiv ein mutiger Schritt. Es gibt einige Länder mit einer Impfpflicht in speziellen Bereichen, zum Beispiel im Gesundheitswesen, wie in Italien. Das wäre auch für Österreich eine Möglichkeit gewesen und ich kritisiere schon, dass man das in den kritischen Bereichen nicht schon mit Verfügbarkeit der Impfstoffe eingeführt hat. Aber jetzt muss man das Beste draus machen und trotzdem die Lehren daraus ziehen und sich auf den Herbst vorbereiten.

Das Gespräch führte Hubert Nowak.

Christoph Steininger

Dr. Christoph Steininger (PhD, geb. 1973) , RC Wien-Marc Aurel, ist Virologe und Professor für Innere Medizin an der Medizinischen Universität Wien. Seit 2018 ist er Rotary-Mitglied in Wien.

Copyright: Roland Mühlanger