Titelthema
Die Kraft des weißen Nichts
Über die Frage, ob und wie Homöopathie wirkt, wird leidenschaftlich gestritten. Seit Kurzem breitet sich die Diskussion in der Gesellschaft weiter aus, und auch die Politik schaltet sich ein. Wer hat recht?
Am Anfang und am Ende geht es in der Medizin immer um die eine Frage: Macht mich das gesund? Oft ist die Antwort unumstritten. Aspirin hilft gegen Kopfschmerzen – klar. Ein Pflaster gehört auf eine Schürfwunde, damit alles in Ruhe wieder ausheilen kann – was sonst? Wer eine Grippe mit Fieber hat, kann ruhig ins Büro gehen – Blödsinn, körperliche Ruhe ist in solch einem Fall wichtig. Auch bei der Homöopathie – das sind kleine weiße Kügelchen, Globuli genannt, von denen jeweils bestimmte Sorten gegen bestimmte Erkrankungen helfen sollen – erscheint die Antwort auf die Frage nach der Wirkung für viele Menschen auf der Hand zu liegen. Doch anders als etwa bei Aspirin gibt es bei der Homöopathie unter Experten und Wissenschaftlern, Ärzten und Patienten nicht die eine Wahrheit, auf die sich alle einigen können. Im Gegenteil: Die Meinungen könnten sich kaum mehr voneinander unterscheiden.
Natürlich wirke Homöopathie, sagen die einen. Unzählige Erfahrungsberichte und selbst erlebte Verbesserungen ließen daran gar keinen Zweifel offen. Wenn Homöopathie nichts taugen würde, dann wäre die rund 200 Jahre alte Lehre schon längst von der Bildfläche verschwunden. Stattdessen wächst der Markt für homöopathische Arzneimittel. Nicht nur, weil Homöopathie von Patienten als sanfte Medizin geschätzt wird, die im Grunde bei fast allen Krankheiten eingesetzt werden kann, vor allem bei Symptomen wie Atemwegsbeschwerden, Allergien und Erkältungen. Auch bei vielen Ärzten ist die Anwendung von Homöopathie beliebt, im Deutschen Zentralverein Homöopathischer Ärzte sind fast 10.000 Ärzte organisiert. Ein Glück, so sagen viele, dass wenigstens die Krankenkassen Homöopathie unterstützen und verschreiben lassen.
Natürlich wirke Homöopathie nicht, sagen die anderen. Wer das Ganze mit gesundem Menschenverstand betrachte, dem werde schnell klar, dass die kleinen Kügelchen ja gar keine Wirkstoffe enthielten, es seien letztlich nur Zuckerkügelchen. Von der Mehrzahl der Ärzte wird Homöopathie als unwirksam abgelehnt. Und auch viele Patienten werden argwöhnisch, wenn ihr Arzt ihnen ein homöopathisches Mittel verschreibt. Ein Wahnsinn, so sagen viele, dass die Krankenkassen solch einen Humbug immer noch bezahlen.
Die Frage, ob Homöopathie wirksam ist oder nicht, wird nicht nur in der Medizin hitzig diskutiert. Auch in Familien, unter Arbeitskollegen und Freunden sorgt das Thema für manche leidenschaftliche Auseinandersetzung. In jüngster Zeit hat sich die Debatte noch weiter gesteigert und die Politik auf den Plan gerufen.
Kügelchen als Antibiotika-Ersatz?
Die Grünen etwa haben im vergangenen November beschlossen, die politische Position bei der Homöopathie in die Hände einer Fachkommission zu geben. Im Januar aber wurde die Idee schon wieder einkassiert: Die Partei gab bekannt, die Globuli-Kommission werde doch nicht zustande kommen. Anfang November hatte der bayerische Landtag vor allem mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern beschlossen, eine Studie in Auftrag zu geben, die feststellen sollte, ob mithilfe homöopathischer Medikamente der Einsatz von Antibiotika verringert werden kann. Opposition, viele Ärzte und Wissenschaftler reagierten empört und verwundert. Aus ihrer Sicht gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Homöopathie bei bakteriellen Infektionen wirksam sei. Die Befürworter hingegen sagen: Wartet die Studie ab, Homöopathie wirkt bei vielen Krankheitsbildern, vielleicht kann sie ja auch helfen, den übermäßigen Antibiotika-Einsatz zu verringern.
Wer hat nun recht? Macht Homöopathie wirklicfür Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und Professor für Medizinische Biometrie und Klinische Epidemiologie, ist die Sache eigentlich schon seit einiger Zeit entschieden. „Die Wissenschaft hat sich über viele Jahre mit Homöopathie beschäftigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Wirkung nachgewiesen werden kann“, sagt Jürgen Windeler.
Im renommierten Fachmagazin Lancet kam man tatsächlich schon 1997 in einer umfangreichen Metastudie zum gleichen Schluss wie Windeler. Eine Metastudie ist eine Untersuchung, die die Ergebnisse vieler größerer und relevanter Studien zu einem Thema untersucht und dann eine Art Fazit zieht. Die Autoren der Metastudie zur Wirksamkeit von Homöopathie kamen zu dem eindeutigen Schluss: In den vorliegenden Studien gibt es keine hinreichenden Hinweise darauf, dass Homöopathie bei irgendeinem Beschwerdebild wirksam ist.
Alles begann mit Hahnemann
Im Jahr 2017 erschien im Fachmagazin Systematic Reviews wieder eine Meta studie zur Wirksamkeit von Homöopathie. Dieses Mal konzentrierten sich die Forscher in der Flut neuer Studien auf die sogenannten Doppelblindstudien. Dabei wissen weder der Arzt noch der Patient, ob gerade der Wirkstoff eingesetzt wird oder nicht, daher der Name. Doppelblindstudien gelten als besonders zuverlässig und aussagekräftig. Wie im Lancet 20 Jahre zuvor war auch hier das Ergebnis: Es gebe keine Krankheit, gegen die mit Homöopathie eine Wirkung nachgewiesen werden könne, schrieben die Autoren.
Diese Ergebnisse sind für Windeler nicht weiter verwunderlich, er hält das Konzept von Homöopathie für unvereinbar mit unserem Wissen darüber, wie die Welt aufgebaut ist. Tatsächlich ist das, worauf die Idee von Homöopathie aufbaut, mit den heutigen Erkenntnissen von Chemie und Physik betrachtet etwas befremdlich.
Angefangen hat es mit dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann im 18. Jahrhundert. Im Jahr 1796 und danach veröffentlichte er die Grundgedanken, auf denen die Homöopathie heute aufgebaut ist: Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden (similia similibus curentur). Hahnemann zufolge sollten Arzneistoffe, die Ähnliches wie die Erkrankung auslösen, hochverdünnt verabreicht werden, in Globuli, den kleinen weißen Kügelchen, die süß schmecken. So empfehlen homöopathische Ärzte zum Beispiel nach einem Abend mit viel Alkoholkonsum eine Globuli-Sorte namens Nux Vomica. Hier sind hochverdünnt Bestandteile der Brechnuss enthalten. Die Brechnuss ist ein Gewächs, das Brechreiz hervorruft. In homöopathischer Dosierung soll Nux Vomica genau dieses Erbrechen verhindern.
Mängel der Schulmedizin
Die Verdünnung der Brechnuss in den Globuli ist allerdings so hoch, dass auf molekularer Ebene praktisch keine Substanzen mehr vorhanden sind. Hahnemann glaubte, dass sich die Arznei-Substanzen „zuletzt gänzlich in ihr individuelles geistartiges Wesen“ auflösen. Was dieses geistartige Wesen nun genau sein soll, ist unklar.
Für Windeler ist daher schon die Idee hinter der Homöopathie haltlos. „Homöopathie zu untersuchen, das ist vor dem Hintergrund unseres heutigen Wissens fast so, als wollte man sicherstellen, dass sich hinter dem Mond kein Pumuckl versteckt“, sagt Windeler.
Die promovierte Ärztin Michaela Geiger, Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins Homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), sieht das anders: „Es stimmt: Wir kennen den Wirkmechanismus von homöopathischen Mitteln nicht genau. Aber das trifft auch für eine Vielzahl konventioneller Medikamente zu.“ Zum Beispiel für Inhalationsnarkotika oder für Kortison bei der Behandlung von Hörstürzen. Bei Paracetamol könne man sich wissenschaftlich bislang nicht erklären, warum es schmerzlindernd wirke. „Aufgabe der Wissenschaft ist es doch, dort weiter zu forschen, wo die Wirkung erkennbar und unbestreitbar ist, man aber noch keine schlüssige Erklärung dafür hat“, sagt Geiger.
Denn im Gegensatz zum Wirkmechanismus könne eine Wirkung – also eine Besserung der Beschwerden – bei homöopathischen Behandlungen sehr wohl nachgewiesen werden, sagt Geiger. Sie verweist dazu auf die bislang größte Versorgungsforschungsstudie zur ambulanten homöopathischen Versorgung im deutschsprachigen Raum, die von 2005 bis 2008 von der Berliner Charité durchgeführt wurde. Darin haben die Forscher 3981 Patienten beobachtet, die nach den Regeln der klassischen Homöopathie behandelt wurden. Die häufigsten Krankheiten waren Kopfschmerzen und Migräne bei Frauen, allergische Rhinitis und Bluthochdruck bei Männern sowie Neurodermitis und Infektanfälligkeit bei Kindern. Die Betroffenen litten im Schnitt bereits 8,8 Jahre unter ihrer Erkrankung, 95 Prozent hatten sich zuvor konventionell behandeln lassen – ohne Erfolg. Die homöopathische Behandlung hingegen führte bei etwa der Hälfte der Patienten zu einer Reduktion der klinischen Symptome sowie zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität. Nach 24 Monaten waren bei einem Viertel der Patienten die Beschwerden sogar vollständig behoben. In anderen Studien, die Geiger zitiert, konnten Schlafstörungen und Depressionen menopausaler Frauen erfolgreich mit Homöopathie behandelt werden.
Windeler und Geiger sind sinnbildlich für den Diskurs über die Wirkung der Homöopathie. Beide vertreten ihre Meinungen vehement und unnachgiebig. Studie steht gegen Studie, Überzeugung gegen Überzeugung.
Mehr als ein Placebo-Effekt?
Betrachtet man allerdings die Gesamtzahl aller wissenschaftlichen Studien, so kommt die überwiegende Zahl der Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Homöopathie nicht besser wirkt als der sogenannte Placebo-Effekt. Als Placebo-Effekt wird die in konkreten Stoffwechselvorgängen umgesetzte Kraft des Glaubens an die eigene Heilung bezeichnet: Wenn man glaubt, dass diese Globuli, die man schluckt, einen von der Erkältung befreien, dann setzen das Gehirn und der Körper über Botenstoffe entsprechende Mechanismen im Körper in Gang, die etwa die Wundheilung verbessern oder das Immunsystem aktivieren.
Und wenn sich dann die positive Wirkung einstellt, werde sie nicht selten den Globuli zugeschrieben, sagt Windeler. „Es gibt viele Gründe, krank zu werden, es gibt aber auch viele Gründe, gesund zu werden. Das muss nicht immer mit dem zu tun haben, was man vom Arzt bekommt“, sagt Windeler. Wenn beim Kindergartenkind der Schnupfen zurückgeht, könne das auch daran liegen, dass die Erreger vom Immunsystem besiegt wurden. Wenn der Student morgens ohne Kater aufwache, dann läge es vielleicht daran, dass er zusätzlich zu den Globuli abends auch noch einmal einen halben Liter Wasser getrunken habe.
Aber die Betroffenen sind nicht selten überzeugt, dass sie es den Globuli zu verdanken haben. „So entstehen die Erfolgsgeschichten, die unter Homöopathie-Anhängern kursieren“, sagt Windeler. Aber die Homöopathie besteht nicht nur aus Globuli. Bei der Behandlung soll laut dem Begründer Hahnemann auch der „gemütliche und geistige Charakter“ des Patienten berücksichtigt werden. Für die Ärzte ist das eine versteckte Anweisung: Bitte kümmert Euch gut um Eure Patienten, geht auf ihre Sorgen ein und behandelt sie individuell. Homöopathen führen mit neuen Patienten ein ausführliches Gespräch, das manchmal mehr als eine Stunde dauert.
Wenn ein Patient an Homöopathie glaubt, dann verstärkt der Homöopath diesen Glauben durch Zuwendung, durch gewidmete Zeit, durch den Eindruck von Systematik und Wissenschaftlichkeit. Homöopathie ist dieser Argumentation zufolge also eine Art besonders starker Placebo-Effekt.
Das macht die Antwort auf die entscheidende Frage – macht mich das gesund? – bei der Homöopathie nicht leichter.
Nach strengen wissenschaftlichen Kriterien überwiegt zwar die Beweislage, dass die Globuli selbst im Körper nichts bewirken. Aber am Ende zählt ja das Ergebnis. „Wer heilt, hat Recht“, so sagte schon Hippokrates, der Begründer der Medizin als Wissenschaft. Den Patienten, die auf Homöopathie zurückgreifen und denen es damit gut geht, dürfte das egal sein. Ob die Homöopathie ihnen hilft oder der Glaube daran, spielt für sie keine große Rolle – Hauptsache, sie werden gesund.