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Titelthema

„Glauben oder Nichtglauben“

Titelthema - „Glauben oder Nichtglauben“
© Illustrationen: Andrea Ucini

Iris Hundertmark verzichtet seit dem Sommer 2018 als erste Apothekerin auf den Verkauf von Homöopathika.

01.02.2020

Wenn jemand weiß, wie heftig die Diskussion um die Frage „Wie hältst du es mit der Homöopathie?“ verlaufen kann, dann ist es Iris Hundertmark. Als sie vor 18 Monaten sämtliche Homöopathie-Produkte aus den Regalen nahm, gab es viel aufgeregte Resonanz – von den Kunden, der lokalen Konkurrenz, Kollegen aus ganz Deutschland sowie der lokalen und überregionalen Presse.

Ihre Idee fanden andere Apotheker nicht so gut – zumindest bislang ist Ihnen keiner gefolgt. Wie kam es zu der Entscheidung?
Ich bin Apothekerin – also Fachfrau für Arzneimittel. Um diesen Beruf zu erlernen, bedarf es eines naturwissenschaftlichen Studiums. Das Studium der Pharmazie hat nichts, aber auch gar nichts mit der Lehre der Homöopathie gemein. Im Gegenteil. Eigentlich müsste jeder Pharmazeut beim Gedanken an die Homöopathie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, um all sein gelerntes Wissen nicht zu verleugnen. Nachdem ich mich 2016 mit einer eigenen Apotheke selbstständig gemacht hatte, machte ich mir lange Gedanken darüber, ob ich den bisher noch nicht da gewesenen Schritt wagen sollte, als Apothekerin aktiv der Homöopathie den Rücken zu kehren, indem ich sie in meiner Apotheke nicht mehr anbiete. Es gab kein auslösendes Moment. Irgendwann war ich einfach mutig genug.


Iris Hundertmark
ist seit 2016 selbstständige Apothekerin in Weilheim (Oberbayern). Sie beschäftigt fünf Pharmazeutisch-technische Assistentinnen sowie zwei weitere Apothekerinnen.


bahnhof-apotheke-weilheim.de


Sie hatten Angst vor Umsatzverlust?
Ja, schon. Allerdings ging es hier nicht alleine um den Verlust meines Homöopathie-Umsatzes, sondern vor allem auch darum, wie meine Kunden – egal ob Homöopathen oder nicht – auf meine Entscheidung reagieren würden. Das Thema Homöopathie ist ein sehr explosives, emotionsgeladenes Thema. Es geht um Glauben oder Nichtglauben.

Welche Folgen hatte der Schritt dann tatsächlich für Sie?
Zunächst waren die Reaktionen auf meine Entscheidung heftig. Zeitungen, Radio, Fernsehen, Leserbriefe und unschöne Reaktionen von Kollegen anderer Apotheken. Ich glaube, ich bin für den einen oder anderen zur Persona non grata geworden. Damit muss man umgehen können und unerschütterlich hinter seiner Überzeugung stehen. Das gilt für mich und für mein Team.

Und wie waren die Reaktionen Ihrer Kunden?
Ganz unterschiedlich. Viele homöopathisch orientierte Kunden haben mich natürlich verlassen, um sich neue Stammapotheken zu suchen. Das war mir von vornerein klar gewesen. Andere sind geblieben, weil sie trotz Differenzen meine Ehrlichkeit sehr schätzen und gerne weiterhin zu mir kommen möchten. In einer Apotheke baut sich ja meist über die Jahre hinweg ein Vertrauensverhältnis zwischen Kunde und Apotheker auf. Man geht gemeinsam durch gute und durch schlechte Zeiten. In den unendlich vielen Gesprächen, die ich seitdem mit meinen Kunden geführt habe, sind mir deren mangelnde Aufgeklärtheit, ihre vielen Fehlinformationen und eine große Unwissenheit darüber, was es denn nun mit der Homöopathie genau auf sich hat, sehr deutlich geworden. Ich denke, die Homöopathie lebt in ganz großen Stücken davon, dass die Leute gar nicht wissen, dass es sich hier um reine Placebotherapie handelt und dass die Globuli keinen Wirkstoff enthalten. Dass zum Beispiel in Arnika-Kügelchen gar keine Arnika enthalten ist. Wenn die Leute das verstanden haben, dann verstehen sie auch, dass ich ihnen als Apothekerin ein Homöopathikum nicht ohne Bedenken abgeben kann.

Nachgewiesenermaßen existiert der sogenannte Placeboeffekt, und manche Menschen schwören auf ihn.
Der Placeboeffekt ist anerkannt – das stimmt. Ich fühle mich allerdings dazu verpflichtet, dem Kunden gegenüber zu erwähnen, dass es sich um ein reines Placebo handelt und eine pharmakologische Wirkung ausgeschlossen ist. Ich kann auf den Eintritt des Placeboeffekts ja nicht bauen. Vielleicht werden erforderliche medizinische Maßnahmen in akuten oder chronischen Situationen unterlassen, die unbedingt erforderlich gewesen wären. Das ist für einen Apotheker unverantwortlich. Ich kenne Patienten, die bei Krebserkrankungen homöopathisch therapiert haben. Dramatisch.

Bei einer Abstimmung des Weltapothekerverbands FIP stimmte 2018 die Mehrheit der internationalen Pharmazeuten gegen Homöopathika, auch in Deutschland sind die Apotheker bei diesem Thema gespalten. Liegen deren Gründe eher bei wirtschaftlichen Interessen oder im Glauben an die Wirksamkeit?
Wir haben alle dasselbe naturwissenschaftliche Studium absolviert und uns jahrelang mit Biologie, Chemie und Physik beschäftigt. Homöopathie kam gar nicht vor. Aber auch Apotheker sind nicht davor gefeit, im Berufsleben betriebsblind zu werden, sie akzeptieren den Verkauf einfach, so nach dem Motto „Haupt sache, die Kunden sind glücklich“. Dabei ist es unser Job, optimal zu beraten und über Wirkung, Nebenwirkung oder Nichtwirkung aufzuklären. Die Patienten bringen uns ihr Vertrauen entgegen. Dieser Verantwortung möchten meine Mitarbeiterinnen und ich gerecht werden. Wenn wir das nicht tun, haben wir unsere Berufe verfehlt.

Eine andere Umfrage besagt, dass PTAs, also Pharmazeutischtechnische Assistenten, eher als Apotheker dazu neigen, Homöopathika zu empfehlen, was könnte der Grund dafür sein?
Auch PTAs werden in der Ausbildung nicht mit Homöopathie konfrontiert. Das erfolgt erst später im Berufsleben. Vielleicht liegt es daran, das PTAs häufig zu Fortbildungen von HomöopathieHerstellern eingeladen werden.

Haben Sie Ihre Entscheidung je bereut?
Nein, sie war absolut richtig, denn so können sich meine Kunden sicher sein, dass ich ihnen niemals Produkte aufschwatzen werde. 

Das Gespräch führte Frauke Eichenauer