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Virologie – im Schatten der Forschung

Forum - Virologie – im Schatten der Forschung
Coronavirus in Falschfarben, aufgenommen mit einem hochauflösenden Elektronenmikroskop. Mit einem Durchmesser, der nur dem Tausendstel eines menschlichen Haars entspricht, gehören Viren zu den kleinsten sich vermehrenden Einheiten des Planeten. Da sie keinen eigenen Stoffwechsel haben, sind sie zur Vermehrung auf Zellen angewiesen. © Michèle Aymard / ism / xxx pool / agentur focus

Diabetes, Herzkreislauferkrankungen, Krebs – im Fokus der wichtigsten Verteiler von Forschungsmitteln stehen derzeit eher die Krankheiten menschlicher Dekadenz als Infektionskrankheiten.

Michael Schindler01.03.2020

SARS-CoV-2 hat das Potential, eine Pandemie zu verursachen und erst die kommenden Wochen werden zeigen, ob das neue Coronavirus in China einzudämmen und weltweit in Schach zu halten ist. Derzeit sind die Mittel der Bekämpfung leider sehr beschränkt, sie reichen kaum über Quarantänemaßnahmen und Schutzanzüge hinaus. Unglücklicherweise ist es nicht das einzige Virus, das der Virologie im Moment Sorgen bereitet. Mal abgesehen von Influenza, Hepatitisviren, HIV, Herpesviren, Papillomaviren und vielen anderen alten Bekannten, bedroht aktuell die Afrikanische Schweinepest den Viehbestand der heimischen Schweinezüchter. Ein weiteres, noch unbekanntes Virus, macht den Kakaopflanzen in Westafrika zu schaffen, so dass manche schon das Ende der Schokolade prophezeien. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet grassiert seit Mitte 2018 im Kongo erneut das Ebolavirus mit mittlerweile über 2200 Toten. Ganz zu schweigen vom fast schon wieder aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit entschwundenen Zika-Virus.

In der Warteschlange

Trotz all dieser Umstände von globaler Tragweite ist es keineswegs so, dass Virologen mit Forschungsgeldern überhäuft werden. Selbstverständlich würde ich junge Forscher weiterhin ermutigen sich für die virologische Forschung zu entscheiden, allerdings scheint die Agenda der wichtigsten Verteiler von Forschungsgeldern im Moment auf andere Themenfelder fokussiert. Liest man die Ausschrei- bungen der Deutschen Forschungsgemein- schaft, des Bundesministeriums für Bil- dung und Forschung sowie der EU, sind hier vor allem Schlagwörter wie Neurodegenerative Erkrankungen, Diabe- tes und Herzkreislauferkrankungen sowie Onkologie vertreten – die sogenannten non-communicable diseases. Und selbst bei den communicable diseases, also den Infektionskrankheiten, ist vorwiegend von Malaria, Tuberkulose und vor allem Antibiotikaresistenzen die Rede, die in Deutschland allerdings für weniger Todesfälle verantwortlich sind als die saisonale Influenza. Woran liegt es also, dass diesen ohne Frage ebenso wichtigen Themenfeldern offensichtlich einiges mehr an Aufmerksamkeit zu Teil wird als der Virologie?

Akutereignisse haben Vorrang

Die Antwort ist leicht zu finden und liegt – wie so oft – in der menschlichen Natur. Die Evolution hat den Homosapiens darauf getrimmt, auf Akutereignisse und ständige Bedrohungen zu reagieren. Prophylaxe und vorausschauendes Handeln diktiert uns zwar die Vernunft, nicht aber die Emotion. Zur Zeit meiner ersten virologischen Stehversuche war HIV/AIDS noch allgegenwärtig, Hepatitis C in vielen Fällen unheilbar und die erste SARS-Pandemie hielt die Welt in Atem. Auch wegen der Erfolge der virologischen Forschung haben sich die Plagen der Menschheit so schnell geändert wie das Smartphone zum Alltagsgegenstand wurde und die Spanische Grippe ist genauso Geschichte wie Polio (fast) und Pocken; letztere unglaubliche Erfolge einer konsequenten und erfolgreichen Impfstrategie. Und so wird die Virologie trotz aller Appelle wieder in den Elfenbeintürmen der Gelehrten verschwinden, sobald das aktuelle Coronavirus unter Kontrolle ist.

Selbstkritisch reflektierend, nach der Devise „Tu Gutes und rede darüber“, haben es die Virologen in Deutschland vielleicht verpasst, die Erfolge und die Bedeutung der Virologie auch in einer Gesellschaft, die hauptsächlich von Krankheiten der Dekadenz geplagt wird, offensiver zu kommunizieren. Und so müssen wir uns nicht wundern, dass die Bakteriologen im Kanon der Antibiotikaresistenzen und des allgegenwärtigen Mikrobioms vor Glück nicht wissen, wohin mit den ganzen Forschungsmitteln, und jeder noch so unrealistische pseudo-therapeutische Ansatz für die „Fett-Weg-Pille“ mit Millionen gesponsert wird.

Dabei hat die Virologie viel mehr zu bieten, als das ständig über uns schwebende Damoklesschwert einer neuen Influenza-Pandemie oder die Verbreitung tropischer Infektionskrankheiten wie Ebola-, Dengue- oder Chikungunyaviren. Letztere werden unter anderem durch Stechmücken übertragen, die mittlerweile aufgrund der klimatischen Bedingungen in Mitteleuropa heimisch sind und früher oder später zur Etablierung dieser Infektionskrankheiten in Deutschland führen werden.

Wir alle sind Virus

Wussten Sie, dass wir zum Großteil Virus sind? Ein wesentlicher Teil an Nukleinsäure-Sequenzen, den Bausteinen des Lebens, die uns zu dem machen, was wir sind, sind viralen Ursprungs und darauf zurückzuführen, dass sich Viren im Laufe der Evolution in unser Genom eingenistet haben. Dabei haben sie die Fähigkeit verloren, infektiöse Nachkommenviren zu bilden. Nach wie vor vorhanden sind aber regulatorische Elemente, die dafür verantwortlich sind, dass zum Beispiel nur Menschen und Menschenaffen Stärke-spaltende Enzyme im Mundspeichel haben und sich somit vermutlich ein viel weiteres Spektrum an Nahrungsquellen erschließen konnten. Manche gehen sogar so weit zu behaupten, wir Säugetiere würden unsere Existenz nur den Viren verdanken. So wird spezifisch in der Plazenta ein Protein viralen Ursprungs gebildet, welches zur Entstehung dieses Zellverbundes essenziell sein soll und eine Immunreaktion zwischen dem Gewebe der Mutter und des Fötus verhindert. In diesem Kontext mehren sich die Erkenntnisse, dass manche virale Elemente wichtig für die Embryonalentwicklung, Zelldifferenzierung, die Immunantwort und viele andere elementare Prozesse der menschlichen Existenz sind.

Da Viren zu den „ältesten“ sich replizierenden Einheiten auf diesem Planeten gehören und sie sich als Parasiten laufend weiter- und mit ihren Wirtszellen koentwickelt haben, bietet ihr Studium Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens. Unter anderem wurden an Viren Prinzipien der Vervielfältigung von Nukleinsäuren, die Reverse Transkription und die „onkogene Transformation“ entdeckt; also erste Antworten darauf wie Tumore entstehen. Auch die Bedeutung der „Immuncheckpoint“-Rezeptoren, die aktuell die Tumortherapie revolutionieren, wurden zum ersten Mal im Kontext einer Virusinfektion beschrieben, genauso wie die MHC-Restriktion, die den Grundstein für die moderne Immunologie legte.

Ohne Viren keine Forschung

Viren werden auch therapeutisch genutzt, um Krebszellen gezielt zu zerstören. In der angewandten Medizin sind Viren hightech-synthetisch designte Nanopartikel, die als Genfähren fungieren oder Proteine in Organismen einschleusen. Ohne sie wäre die moderne Medizin und Forschung undenkbar – in diesem Sinne entschuldigen Sie mich bitte, ich habe zu tun!