Rotary Aktuell
Mit Vielfalt in die Zukunft
Wenn Rotary nachhaltig wachsen will, müssen die Clubs möglichst viele Lebenswirklichkeiten integrieren. Neue Clubformen können dabei helfen.
Mindestens um einen Club pro Jahr müsste jeder Distrikt wachsen, wenn Rotary in Deutschland die bescheidenen Wachstumsraten der letzten Jahre halten wollte. Dieses Ziel ist im Rotary-Jahr 2019/20 glatt verfehlt worden – mit gerade einmal acht neuen Clubs in 15 Distrikten. Der Distrikt 1910 in Österreich hat dagegen gleich vier hinzugewonnen. Das Beispiel zeigt, was möglich ist, wenn das Thema zur Chefsache wird, wie Melitta Becker-Unger es in ihrem Governor-Jahr getan hat. „Wir sind das Thema strategisch angegangen, mit einem Komitee aus Assistant Governors und Mitgliedschaftsbeauftragten. Dann haben wir uns zunächst einmal die weißen Flecken auf der Distriktkarte angeschaut.“
Prägung durch das Gründungsteam
Mit 141 neuen Mitgliedern allein durch die vier Clubs sieht sich die Hochschullehrerin vom RC Fürstenfeld bestätigt: Rotary weiterzuentwickeln sei eine permanente Führungsaufgabe. Dazu müsse man eingefahrene Wege verlassen. Zum Beispiel mit Partnerschaften wie mit der Diplomatischen Akademie in Wien. Das Ergebnis ist der RC Vienna Maria Theresia, der als dritter englischsprachiger Club in der Hauptstadt dazukam.
Über nachhaltigen Erfolg entscheiden indes andere Faktoren, zuallererst die Binnenkräfte, die den neuen Club prägen. Das beginnt schon bei der Zusammenstellung des Gründungsteams. Christian Roos, RC Bad Oldesloe Stormarn, schaut aus doppelter Perspektive auf diese Fragen. Er ist Fachmann für Persönlichkeitsentwicklung und Eignungsdiagnostik, und er ist Gründungspräsident seines Clubs, der vor zwei Jahren aus einer Abspaltung hervorging.
Intrinsische Motivation
„Ein neuer Club kann nur Erfolg haben, wenn ich Menschen zusammenbringe, die aktiv gestalten wollen“, heißt die erste Erfolgsregel. „Am Anfang brauchen Sie fünf bis sieben Macher, die nicht warten, dass ihnen jemand eine Aufgabe zuweist. Ohne intrinsische Motivation kann ein Club nicht in die Spur kommen.“ Also wäre ein Rotaract Club mit dem bekannt hohen Engagement seiner Mitglieder der ideale junge Rotary Club? „So einfach ist das nicht“, entgegnet Roos. „Abgesehen vom Gründungskern müssen Sie möglichst viele verschiedene Lebenswirklichkeiten in den Club integrieren. Das ist für die Profilbildung wichtig, aber auch als Signal nach außen: Eine altersmäßig geschlossene Gruppe wie ein ehemaliger Rotaract Club läuft Gefahr, wieder nur nach jungen Kandidaten zu schauen bzw. für diese interessant zu sein. Damit würde die Alterungsproblematik aber nur verschoben. Eine hohe Diversifizierung erst macht den Club in der Breite attraktiv.“
Das klingt vielleicht banal, ist aber noch keineswegs konsensfähig. Es gibt nicht wenige Clubs mit einer klaren Vorstellung vom Profil seiner künftigen Mitglieder. Das Top-Kriterium ist Qualität. „Vielfalt“, etwa durch unkonventionelle Kandidaten, ist nicht per se erstrebenswert, erscheint weniger als Chance denn als Risiko, die Rotary immanente Forderung nach Spitzenniveau zu verwässern.
Zwei Clubkulturen
Wenn man sich bei Mitgliedschaftsbeauftragten der Distrikte umhört, wird Rotary in unseren Breiten derzeit von zwei unterschiedlichen Clubkulturen geprägt: von „alten“ Clubs, die stolz über ihre Warteliste wachen und gern auch neue Gründungsinitiativen unterlaufen, und „neuen“, die eine möglichst bunte Durchmischung ihrer Mitgliedschaft anstreben. Wenn wir Erfolg daran messen, dass es gelingt, neue Mitglieder dauerhaft zu binden, wird es darauf ankommen, das Rotary-Regelwerk bzw. überkommene Clubkonventionen aufzubrechen zugunsten individueller Angebote. Christian Roos beschreibt das an einem prägnanten Beispiel: „Wenn eins unserer Mitglieder verspätet zum Meeting erscheint, freuen wir uns, dass ihm unser Treffen so wichtig ist, dass er es trotz Zeitstress nicht verpassen will. In meinem alten Club hätte es dafür eine Strafgebühr gegeben.“
Solche alten Zöpfe sind für moderne Berufstätige eine Zumutung. Rotary International hat das Problem disparater Lebenswirklichkeiten erkannt und mit einer Liberalisierung beantwortet. Die Präsenzregeln wurden vom Council on Legislation ebenso angepasst wie Fragen der Cluborganisation. Neu sind zum Beispiel Satellitenclubs, die sich unter dem Dach eines etablierten Clubs ohne organisatorischen Druck entwickeln können, bevor sie als Rotary Clubs selbstständig werden. Ebenfalls neu sind Clubs, die mit einer ganz bestimmten thematischen Ausrichtung gegründet werden. Hier ist nicht die rotarische Idee der Ausgangspunkt für das Wirken in die Gesellschaft, sondern umgekehrt: Eine gesellschaftliche Idee sucht sich die geeignete Organisationsform, um ehrenamtliches Engagement mit einem Gruppenerlebnis zu verbinden.
Vom Satelliten- zum Rotary Club
Für beide Formen lassen sich gelungene Beispiele finden. Der 2019 gecharterte RC Friedensstadt Osnabrück ist als Satellitenclub unter den Fittichen des RC Osnabrück-Süd zwei Jahre lang herangewachsen. Der Vorteil liegt für den Gründungsbeauftragten Past-Gov. Erhard Mielenhausen darin, dass viele jüngere Talente für Rotary gewonnen wurden, „für die mein etablierter Club mit einem Durchschnittsalter von Mitte 60 nicht attraktiv gewesen wäre“. Er sieht das Grundproblem darin, dass viele Clubs inzwischen von Ruheständlern dominiert werden, deren Alltag von der Lebenswirklichkeit einer Managerin von Anfang 40 mit Kindern meilenweit entfernt ist.
Das ist genau das Profil von Carina Uhlen, die als Gründungspräsidentin den Satellitenclub zum „echten“ Rotary Club geführt hat. Sie schätzt an dem neuen Modell die Chance, als Gruppe ohne Druck zusammenfinden zu können, ein Profil zu bilden, bevor es rotarisch ernst wird. Sie ist dem Mutterclub für vielfältige Hilfestellung dankbar, zögert aber nicht mit klaren Aussagen über die Unterschiede: „Alter, Themen, Dynamik“.
„Wenn es den Club, der Dir gefällt, nicht gibt, gründe ihn doch selbst“ hieß es kürzlich im Rotarian (August 2020) über den englischen RC Maidenhead-Bridge, in dem sich ehemalige Rotaracter organisiert haben, die keinen Anschluss an einen Rotary Club finden konnten. Nein, so stimmt die Formulierung nicht. Richtig ist vielmehr, dass sie keinem der bestehenden Clubs beitreten wollten. Die Zwänge dort wären größer als die Befriedigung aus gemeinsamer ehrenamtlicher Arbeit. Der Club in Maidenhead folgt ganz eigenen Maßstäben bei seinen Hands-on-Aktivitäten, wobei sogar ein jährliches Ziel beziffert wird: 1700 Arbeitsstunden für 50 Mitglieder, heißt 34 pro Kopf, ohne Clubmeetings. Tatsächlich wurden es im vergangenen Jahr 2400 Stunden (48 pro Kopf). Viel Wert wird auf die Vermittlung der Expertise der Mitglieder gelegt, um soziale Initiativen wie etwa die lokale Lebensmitteltafel professionell zu stärken, durch Marketing-Konzepte, Pflege der Website usw.
Clubs mit Anliegen
Gov. Thomas A. Gump vom Distrikt 5950 in Minnesota/USA hat die Zahlen auf seiner Seite, wenn er sich für einen anderen innovativen Ansatz ausspricht. Sein Distrikt ist der einzige unter den anderen 16 in Zone 29, dessen Wachstumsrate im Plusbereich liegt. Er führt das auf vier Clubgründungen zurück, die nicht einfach neue Rotary Clubs sind, sondern sich einer bestimmten Aufgabe verschreiben, die schon im Namen deutlich wird. So besteht der RC Minnesota Veterans aus 46 ehemaligen Militärangehörigen, die speziell Serviceprojekte für andere Veteranen entwickeln wollen. Warum dieses Modell Erfolg hat, erklärt Gump so: „Freundschaft im Club ist zwar grundlegend für Rotary, aber ausschlaggebend für das Engagement ist das Anliegen, für das ein Mensch brennt.“ Das kann ein Umweltclub sein (RC Duluth Superior Eco, Distrikt 5580) oder der ebenfalls von Gump gegründete RC Ending Human Trafficking, der mit 21 Mitgliedern das Problem des Menschhandels angeht. In Südkorea hat sich gerade mit dem RC Tongyeong RMCH der erste Club gebildet, der seine Arbeit am Foundation-Schwerpunkt Gesundheit für Mutter und Kind ausrichtet.
Für Menschen, die sich einer speziellen Aufgabe verschreiben, ist von den drei Möglichkeiten, die Mitgliederentwicklung bei Rotary ins Plus zu drehen – 1. Neuaufnahmen in bestehende Clubs 2. Mitglieder in bestehenden Clubs halten 3. neue Clubs gründen –, die dritte Option die beste: „Wenn mich der Klimawandel umtreibt“, so Gump, „den anvisierten Club aber nicht, müsste ich dessen Clubkultur ändern, um meine Interessen nachhaltig verfolgen zu können. Bei neuen Clubs ist meine Ausrichtung entweder schon da oder ich präge sie mit.“ Dass Rotary für solche Enthusiasten das richtige Dach ist, erklärt sich für Gump aus der besonderen Förderstruktur durch District und Global Grants.
Und wer jetzt wissen will, wie man solche Kandidaten findet, dem hilft Gump mit einem guten Rat: „Ich höre mich um, was die Menschen bewegt. Es ist wichtig für Rotarier, ihre Zeit nicht nur mit Rotariern zu verbringen, sondern sich in öffentliche Belange einzumischen. Dort findet man auch neue Rotarier.“
Der Wettbewerb um kluge Köpfe
Und so schwinden die Zukunftschancen der „alten weißen Clubs“, die sich mit ihrem Anspruch an berufliche Spitzenqualität und Exklusivität selbst das Wasser abgraben und mangels Nachwuchs irgendwann an Überalterung eingehen. So einfach abschreiben sollte man sie aber nicht, fordert etwa Past-Gov. Wolfgang Kramer, der sich im Distrikt 1830 um die Mitgliederentwicklung kümmert. Für ihn ist der Wettbewerb um die klugen Köpfe neuer Generationen noch keineswegs verloren, zumal sich nicht immer und überall qualifizierte Kandidaten für neue Clubs finden lassen. Andererseits: Ohne Abschied von liebgewordenen Gewohnheiten wird es nicht gehen.
Besonders stört sich Kramer „am Mantra der idealen Clubgröße von ca. 60 Mitgliedern“, weil man sich angeblich sonst aus den Augen verlieren würde. Dieses Mantra sei umso ärgerlicher, als es auf dem Trugschluss basiert, die Mitgliederzahl mit der tatsächlichen Präsenz zu verwechseln. Erfahrungsgemäß träten große Clubs nur zur Weihnachtsfeier und eventuell noch zur Ämterübergabe in stattlicher Zahl zusammen, auch der Distrikt 1830 liegt bei normalen Präsenz „durchschnittlich bei deutlich unter 40 Prozent“.
Obergrenzen sind obsolet
Und so empfiehlt Kramer, für eine vorwärts gerichtete Aufnahmepolitik kühl zu kalkulieren: Wenn ein etablierter Club seine Obergrenze für die nächsten drei, vier Jahre um mindestens zehn Mitglieder ausweitet und darauf achtet, die unter Vierzigjährigen in stärkerem Maße zu berücksichtigen, „dann gewinnt man sehr viel schneller und effektiver neue Freunde, die dem Club Zukunft garantieren“.
Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit, das gilt auf jeden Fall für Clubs, die vor diesen Fragen die Ohren verschließen. Von einem neuen Mitglied zu erwarten, dass es sich einer überkommenen Clubkultur unterwirft, ist jedenfalls weltfremd. Hier müssen die Clubs anpassungsfähig werden. Past-Gov. Marianne Broska, Beauftragte des Deutschen Govenorrates für Clubausbreitung und Mitgliedschaft, beklagt die „Sorglosigkeit“, mit der manche Clubs ihre Neuen sich selbst überlassen, statt die Chance auf frischen Durchzug zu nutzen. Wer davor nicht zurückscheut, signalisiert die Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln. Wer daran scheitert, hat seine beste Zeit hinter sich.
Wissenswertes zum Thema Satellitenclub
Wer einen Satellitenclub (SC) gründen will, muss...
• offen sein, für neue Impulse, auch im eigenen Club
• bereit sein, die Forderung „Rotary muss jünger und weiblicher werden“ konkret umzusetzen
• gut im Distrikt und darüber hinaus vernetzt sein, um möglichst viele geeignete Kandidatinnen und Kandidaten zu finden
• die Geduld haben, die Satellitenclub-Mitglieder über ein, zwei Jahre intensiv zu begleiten und rotarisch zu motivieren
• bereit sein, am Anfang Vorstandsposten und Verwaltungsaufgaben im SC zu übernehmen
• bereit sein, die Mitgliedsgebühren der Mitglieder zu übernehmen und den SC bei entstehenden Kosten finanziell zu unterstützen
• konsequent darauf achten, dass der Satellitenclub ein „richtiger“ Rotary Club werden soll, also beizeiten abgenabelt werden muss.
Leitfäden zur Gründung von Rotary Clubs und Satellitenclubs:
my.rotary.org/en/learning-reference/learn-topic/start-club und rotary.de/pdf/guide_satellite_clubs_de.pdf
Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.
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