Buch des Monats
Angriff auf die Schöpfung
Entstellte Schönheitsköniginnen, tote Bienen, verseuchte Computer - der neue Thriller von Tibor Rode (RC Pinneberg) ist auch ein Stück Zeitkritik
Spätestens seit Schneewittchen steht fest: Wer schön ist, lebt des Öfteren gefährlich. Verkündet nämlich das „Spieglein an der Wand“, dass es in der Umgebung attraktivere Zeitgenossen gibt, erwacht der Neid. Nicht umsonst sind die Hässlichen in Mythen und Märchen böse und bemüht, das Gute (also die Schöneren) auszurotten.
Womit wir beim rasanten Prolog zu Tibor Rodes Thriller „Das Mona Lisa Virus“ wären, wo auf knapp zwei Seiten Folgendes passiert: Beauty-Queens der US-Bundesstaaten werden auf der Fahrt zur Miss-America-Wahl gekidnappt und Tage später entdeckt, allerdings entstellt.
Bald stellt sich heraus, dass diese Entführung mit weiteren kuriosen Begebenheiten zu tun hat: mit dem weltweiten Bienensterben, mit der Zerstörung einzigartiger Denkmäler wie einem Da-Vinci-Wandgemälde in Mailand. Ja sogar mit einem Computervirus, der alle Fotodateien auf dem Bildschirm zu Fratzen verzerrt. Wie hängt das alles überhaupt zusammen?
Das düstere Puzzle lichtet sich erst, als die Hirnforscherin Helen Morgan auftritt, die den Zauber der „Mona Lisa“ im Louvre entmythologisieren soll. Weil aber kurz vor Helens Paris-Reise ihre Tochter spurlos aus einer Klinik verschwindet, lässt die Hirnforscherin alles stehen, um ihr Kind zu finden – und zwar zusammen mit dem Anti-Virus-Spezialisten Patryk Weisz, dessen Vater, ein milliardenschwerer IT-Firmeninhaber, ebenfalls entführt wurde.
Spätestens jetzt drängt sich dem Leser die Frage auf, ob es dem Autor wirklich gelingt, eine veritable Auflösung für diese fraglos spannende, dennoch ziemlich komplizierte Story zu finden (findet er). Die Sogwirkung lässt nicht nach, wohl auch weil der Thriller in kurzen, beinahe filmisch „geschnittenen“ Szenen geschrieben ist. Ganz nebenbei straft der Autor sogar Goethe der Lüge. Glaubte doch der Großgeist, dass „Schönheit überall ein gar willkommener Gast ist“.
Das zentrale Thema ist in Zeiten, in denen die Optik regiert und die Kosmetikbranche boomt, perfekt gewählt: Macht und Ohnmacht der Schönheit. Wohlgemerkt: der äußeren Schönheit. So lange man diese Schönheit mit Güte und Güte mit der Schöpfung verbindet, gleicht ein Angriff auf Beauty-Queens, Bienen, Kunst und Computer, also auf die Perfektion in jeder Form, in der Natur wie Technik, einem Angriff auf die Schöpfung schlechthin. Und auf ihre in unserem Kulturkreis kodifizierten Spielregeln und Wertsysteme.
Erkenntnis in Geheimschrift
Übrigens: Meine Lieblingsszenen spielen im Florenz um 1500, im Haus eines Mannes, der die magische Kraft der Schönheit logisch erklären, sprich: in den Griff kriegen wollte; der den „Goldenen Schnitt“ erfand, die „Mona Lisa“ malte und seine wichtigsten Erkenntnisse in einer eigens kreierten Geheimschrift notierte: Leonardo da Vinci. Gefragt, was mit dem Hässlichen geschehen solle, erklärt der (fiktive) Leonardo: Verhüllen. Entsorgen. Das Schöne schützen. Und damit „der Natur ein Vorbild geben“.
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