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Festspiele 2023

Auf der Suche nach Außergewöhnlichem

Festspiele 2023 - Auf der Suche nach Außergewöhnlichem
Verdis „Aida“ im Amphitheater von Verona: ein definitiv spektakuläres Erlebnis. Hier eine Aufführung im Jahre 2018 © picture alliance/dumont bildarchiv/toni anzenberger

Festspiele bestimmen seit vielen Jahrzehnten die Kultursommer – vor allem, aber nicht nur im deutschsprachigen Raum. Aber was sind die Wurzeln dieses Booms? Eine kulturgeschichtliche Spurensuche.

Daniel Ender01.04.2023

Bayreuth und Bregenz, Salzburg und Schwetzingen – diese vier Städte haben eines gemeinsam. Wer ihre Namen im Internet sucht, bekommt – sehr weit oben – als Ergebnis genau diejenigen Veranstaltungen angeboten, die sie bekannt gemacht haben: ihre Festspiele, in den Jahren 1876, 1946, 1920 und 1952 ins Leben gerufen. Die Jahresangaben machen deutlich: Die Blütezeit der Festspiel-Gründungen lässt sich in der zweiten Hälfte des 19. sowie im 20. Jahrhundert verorten, und obwohl das Phänomen selbstverständlich international auftritt, besitzt es im deutschsprachigen Raum eine besondere Prägung und weist eine ungewöhnliche Häufigkeit auf.

Ein deutsches Wort

„,Festspiele‘ ist nicht nur ein deutsches Wort“, stellte Franz Willnauer fest, der von 1999 bis 2003 Intendant des Beethovenfests Bonn war, „Festspiele sind eine deutsche Erfindung.“ Diese Beobachtung ist nicht von der Hand zu weisen, und doch führen beide Teile des zusammengesetzten Hauptworts – das Fest und das Spiel – zu ganz grundsätzlichen Bestimmungen des Menschseins. In seiner epochalen Schrift Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel erkannte Johan Huizinga im Phänomen des Fests dieselben Merkmale wie in dem grundlegenden menschlichen Alleinstellungsmerkmal des Spielens, des Spiels: In beiden kulturellen Praktiken werden die Regeln des gewöhnlichen Lebens außer Kraft gesetzt, beide finden in überwiegend fröhlicher Atmosphäre statt. Beide sind räumlich und zeitlich begrenzt, verbinden miteinander genaue Regeln, unter denen Freiheit möglich ist, ebenso wie das Bewusstsein, „dass man nur bloß so tut“, dass man sich in einer Ausnahmesituation befindet.

Vom Wettkampf zum Konvent

2023, festspiele 2023
Der „Jedermann“ sei zentraler Bestandteil der DNA, heißt es auf der Webseite der Salzburger Festspiele, dessen Inszenierung sich jährlich neu erfinden muss, hier 2022. „Jedermann 2023“ wird Michael Maertens
© Matthias Horn/Salzburger Festspiele

Beide Facetten wirken in sämtliche Festspiele hinein, da sie sich gleichermaßen als anthropologische Konstanten begreifen lassen: Das Spiel und das Fest gibt es in allen Kulturen und zu allen Zeiten. In der westlichen Welt lassen sich ihre Spuren seit der griechischen Antike verfolgen, stand doch die Musik – beziehungsweise die „musiké“, verstanden als Einheit von Sprache, Musik und Tanz – im Zentrum von Wettkämpfen und anderen festlichen Spielen, ebenso wie im klassischen Drama, dem ebenfalls ein feierlicher Charakter innewohnte. Im Mittelalter wurden dann – entsprechend den bedeutsamen Phasen im Kirchenjahr – Oster-, Weihnachts- und Passionsspiele gepflegt, welche sich auch an die ungebildeten Teile der Bevölkerung richteten. Für die Gebildeten existierten eigene Festaufführungen mit antiken Theaterstücken und neueren Dramen, während bei den Musikern Spielleutekonvente als festliche Zusammenkünfte von Fachleuten fungierten. Von hier aus ließen sich durchaus Parallelen zu modernen Festivalformen ziehen.

Springbrunnen von Wein

Weltliche Aspekte traten in den fürstlichen und herzoglichen Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts in den Vordergrund, und insbesondere die Oper der Barockzeit atmete per se schon Festspielcharakter, waren ihre Aufführungen doch auf eine kurze Saison, meist während der Fastnacht, begrenzt. Von Begrenzung konnte hingegen bei den ausufernden Festen an den herrschaftlichen Häusern oft keine Rede sein. Ein zeitgenössischer Bericht über die Geburtstagsfeierlichkeiten für und von Herzog Carl Eugen von Württemberg in Stuttgart 1763, die ganz nach dem Vorbild des französischen Königs ausgerichtet waren, schildert den verschwenderischen Gestus der Feierlichkeiten, die nicht nur Musikdarbietungen und Pferderennen beinhalteten, sondern auch gemäß dem antiken Motto „Brot und Spiele“ mit großem Aufwand die Masse versorgte: „Das Volk, dessen Glück von dem Wohl seines Souveräns abhängt, hatte sich in dem Schlosshofe versammelt und ließ sein Freudengeschrei hören, als Seine Herzogliche Durchlaucht befahlen, dass man ihm eine beträchtliche Summe auswerfen sollte. Hierauf wurde ihm eine Menge gebratenen Fleisches preisgegeben, wobei zwei Springbrunnen von Wein ohne Aufhören flossen.“

Exemplarische Aufführungen bedeutender Werke

Bei der Schlacht am Pausenbuffet und nach dem Ende einer modernen Veranstaltung mag man vielleicht sogar bei den Wohlhabenden hier gewisse Ähnlichkeiten erkennen. Aber seitdem in England die ersten Festivals die Aufführung von Musik tatsächlich in das Zentrum rückten – vor allem mit Werken von Henry Purcell und Georg Friedrich Händel –, sind diese hehren, sachbezogenen Bemühungen nie wieder verschwunden. Einen ersten Höhepunkt erreichten diese in den seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgehaltenen Niederrheinischen Musikfesten, die sich um exemplarische Aufführungen bedeutender Werke bemühten – ein Grundsatz, der auch die großen Festivals der Gegenwart noch immer bewegt.

Nach Franz Willnauer sind es vier Kriterien, die die Bedeutung von Festspielen bestimmen: „die Herausgehobenheit des Angebots, die Musterhaftigkeit des Gebotenen, die spezifische Eigenart der Darbietung, die eigenständige Prägung durch Idee und/oder Aura“. Auch wenn gerade im Bereich der Sommerfestivals beobachtet werden kann, dass sehr wohl Orchester, Dirigentinnen und Solistinnen mit ihren Programmen von einem Ort zum nächsten reisen, dabei auch gewissermaßen „Festival-Tourneen“ entstehen können, ist das Besondere der Location, der Inhalte, des dramaturgischen Rahmens wohl für die meisten im Publikum nach wie vor ein wesentlicher Faktor für einen Festspielbesuch. Darin liegt nichts anderes als die Suche nach dem Exzeptionellen, dem Nicht-Alltäglichen, wobei hierzu ja bei einem urbanen Publikum mit womöglich mehreren Theater- und Konzertabonnements während der Saison auch durchaus qualitativ hochwertige Darbietungen beinhaltet sein können und somit die diesbezüglichen Erwartungen entsprechend hoch sein mögen.

Orte der Offenheit

Noch höher waren nur die Ideenflüge der Festivalgründer. Richard Wagner schwebte – neben der mustergültigen Aufführung seiner eigenen Werke, und nur diesen – zunächst auch eine breite Einbeziehung der Menschen unabhängig von ihrem Stand vor und wollte eigentlich auch „den weniger Bemittelten“ freien Eintritt ermöglichen. Diese Idee musste er allerdings schon vor den ersten Festspielen wieder aufgeben. Hugo von Hofmannsthal, einer der Gründerväter der Salzburger Festspiele, imaginierte das Festspielhaus als weltoffenen Ort: „Es soll, im Geiste Mozarts wirkend, den musikalischen, aber auch den gesprochenen darstellenden Meisterwerken aller Völker und aller Zeiten ein gastliches Heim gewähren.“ Diese globale Perspektive mag utopisch geblieben sein. Als grundsätzliche Offenheit – auch gegenüber neuen künstlerischen Perspektiven und interpretatorischen Ansätzen – zeichnet sie jedoch Festspiele bis heute aus. Und so wird das Publikum auch heuer wieder in froher Erwartung auf der Suche nach dem Besonderen, Einmaligen, Erhebenden, kurz: nach dem „Festspielwürdigen“ zu den alten und neuen Stätten der Festivals pilgern. Auf jeden Fall stimmen werden dabei jene Worte, die Goethe im „Vorspiel auf dem Theater“ in seinem Faust den Theaterdirektor sprechen lässt: „Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen, / Und jedermann erwartet sich ein Fest.“


Weitere Links und Termine:

rotary.de/services/festspielkalender

Hier finden Sie auch die Veranstaltungen von Rotary Clubs rund um die Festspielsaison 2023

Daniel Ender

Dr. Daniel Ender ist Musikwissenschaftler, Journalist und Generalsekretär der Alban Berg Stiftung. Er schrieb u. a. Bücher über Beat Furrer und Richard Strauss und publizierte den Bildband Zuhause bei Helene und Alban Berg (Wien 2020).

 


 

 

danielender.at

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