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Interview

Außen Kunst und innen Kunst – Wiens Belvedere wird 300

Interview - Außen Kunst und innen Kunst – Wiens Belvedere wird 300
Schloss Belvedere in Wien © Adobe Stock Photo

Ein Ort zum Flanieren durch 700 Jahre Kunstgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart

01.07.2023

Das Belvedere – Wiens vielleicht prachtvollstes Barockschloss – wird in diesem Jahr 300 Jahre alt. Erbaut für Habsburgs genialischen Feldherrn Prinz Eugen von Savoyen nach Entwürfen von Johann Lucas von Hildebrandt beherbergt es heute 800 Jahre Kunstgeschichte. Unser Mitarbeiter Michael Hametner wollte wissen, wie viel von dem Geist, der in dieser als UNESO-Weltkulturerbe geadelten Einrichtung steckt, von heute ist?    

Fragen an Frau Stella Rollig, Generaldirektorin und wissenschaftliche Geschäftsführerin Belvedere

 

Welche Bedeutung hat das Schloss Belvedere – und damit die 300-jährige Geschichte – als Ort für die Nutzung als Museum?

Die Strahlkraft des Belvedere verdankt sich seiner zweifachen Identität: als Weltkulturerbe und Wahrzeichen Wiens sowie als Kunstmuseum mit einer weltweit berühmten Sammlung. Diese Kombination ist Erfolgsfaktor und gleichzeitig Auftrag, unsere Geschichte und Kunstschätze einem sehr diversen Publikum aus aller Welt bestmöglich zu vermitteln.

 

Wie war von Maria Theresia und Joseph II. der Auftrag 1777 bei der Einrichtung als Museum formuliert?

 

Maria Theresias bahnbrechende Entscheidung stand im Zeichen des aufgeklärten Absolutismus: Die Sammlungen dienten nun nicht mehr nur höfischer Repräsentation, sondern wurden als Instrument zur Bildung des breiten Publikums eingesetzt. Ein schriftlich formulierter Auftrag zur Einrichtung der Galerie ist nicht bekannt. In der Bewilligung für Galeriedirektor Joseph Rosa von 1776 befindet sich als Teilinformation die Transferierung von Bildern aus der Stallburg, einem Teil der Hofburg in Wien. In einem späteren, nicht datierten Handbillet von Kaiser Joseph II. wird die ehestmögliche Überführung der Bilder ins obere Geschoß des Belvedere angeordnet.

 

Die 300-jährige Geschichte zeigt sich sehr wechselhaft, zeitweise war die Rolle als Museum aufgegeben: Wann war es kritisch für den Fortbestand?

 

1891 übersiedelte die kaiserliche Sammlung in das neueröffnete Kunsthistorische Museum und das Obere Belvedere wurde zur Residenz für den Thronfolger Franz Ferdinand. Bedingt durch die Ereignisse des Ersten Weltkrieges war nicht sicher, dass dieser Ort wieder zu einem Museum wird. 1903 wurde dann aber die Moderne Galerie im Unteren Belvedere eröffnet. Auch die enormen Bombenschäden des Zweiten Weltkriegs bedeuteten eine Zäsur der Museumsarbeit, stellten aber die Rolle des Hauses nicht in Frage. Die Kunstsammlung war während des Krieges und bis zur Wiedereröffnung 1953 ausgelagert.

 

Wie unterscheidet sich das Belvedere von den anderen Museen und großen Sammlungsorten in Wien, vor allem vom Kunsthistorischen Museum?

 

2023, gustav klimt, der kuss
Berühmtes Klimt-Gemälde: Der Kuss von 1908 © Giorgio Morara/Adobe Stock Photo

Die Alleinstellungsmerkmale des Belvedere sind begründet durch das Zusammenspiel aus der Rolle als ältestes Museum in Wien mit einer Sammlung über 700 Jahre Kunstgeschichte, als Ort der Staatsvertragsunterzeichnung und mit seiner barocken Gartenanlage als Kraftort im Herzen der Stadt. Zudem steht Gustav Klimt wie kein anderer Künstler für das Museum: Die Sammlung beinhaltet mit 24 Arbeiten die weltweit größte Sammlung von Ölgemälden Gustav Klimts, darunter die beiden Meisterwerke seiner Goldenen Periode "Der Kuss (Liebespaar)" und "Judith".

 

Als fünf Bilder von Klimt den Rechtsnachfolgern ihrer einstigen Besitzer zurückgegeben wurden – war das ein Verlust für die Identität österreichischer Kunst?

 

Restitution unrechtmäßig erworbener Kunstwerke – von Raubkunst – ist eine moralische Pflicht. Diese Gemälde sind als Teil der Kunstgeschichte weiterhin präsent und gehen der Identität daher nicht verloren. Allenfalls werden sie der Öffentlichkeit entzogen, was in jedem Fall zu bedauern ist. Beim berühmtesten der restituierten Bilder, der sogenannten "Goldenen Adele" ist das gerade nicht der Fall – sie ist in der Neuen Galerie in New York City zu sehen.

 

Ist es Ziel, mit der Präsentation der Sammlung kulturelle Identität zu stiften und wenn ja, welche?

 

Jede Sammlungspräsentation stiftet Identität, wenn die Betrachterin, der Betrachter zu den Kunstwerken der Vergangenheit in Beziehung tritt. Die neue Sammlungspräsentation im Oberen Belvedere zeigt Kunst im Kontext der Epoche ihrer Entstehung, um ein tieferes Verständnis der Werke zu ermöglichen. "Schau!" geht damit über einen rein kunsthistorisch-stilgeschichtlichen Zugang hinaus und widmet sich den Wechselwirkungen zwischen Kunst und Gesellschaft. Beeinflusst durch das politische und soziale Umfeld, Migration, ökonomische Rahmenbedingungen, aber auch Aspekte wie internationale Vernetzung spiegelt künstlerische Produktion immer auch die Komplexität ihrer Zeit wider.

 

Ist das Belvedere mit seinen drei Präsentationsorten unter dem Namen Bundesmuseum dennoch so etwas wie die österreichische Nationalgalerie?

 

Der Begriff der Nationalgalerie wird unterschiedlich verwendet. Die National Gallery in London etwa ist keine Sammlung britischer, sondern europäischer Kunst im Besitz der Nation. In diesem Sinn sind alle österreichischen Bundesmuseen Nationalgalerien. Die Sammlung des Belvedere bildet österreichische Kunst- und Kulturgeschichte im internationalen Kontext ab und geht mit ihrer dynamischen Geschichte über den Begriff des Nationalen hinaus.

 

Ist überhaupt der Wiener, die Wienerin die größte Besuchergruppe oder doch mehr die in- und ausländischen Gäste der Stadt?

 

Das Belvedere gehört zu den Must-Sees jeder Wien-Reise, deshalb überwiegen die internationalen Besucher und Besucherinnen. Unseren Audioguide gibt es in elf Sprachen. Ein großer Teil unserer sehr diversen Vermittlungsprogramme richtet sich jedoch an die unterschiedlichsten Communities vor Ort. Mit der Pandemie und einer verstärkten Wertschätzung für das kulturelle Angebot am Wohnort ist der Anteil der Besucher und Besucherinnen aus Österreich auf fast ein Drittel gestiegen.

 

Wie schwer ist es, das an sich hohe Publikumsinteresse immer auf dieser Höhe zu halten? Mit welchen Projekten machen Sie das?

 

In erster Linie durch sehenswerte Ausstellungen und Programme. Das Belvedere ist eines der weltweit bekanntesten Museen. Dieser Status spornt uns dazu an, auch bei aktuellen Entwicklungen Vorreiter zu sein. Dazu gehören die ständige Weiterentwicklung und Digitalisierung in allen Bereichen. Bereits jetzt ist etwa die Hälfte der Sammlung des Belvederes online verfügbar. Kunstinteressierte können die Bestände des Museums von überall aus recherchieren und durch 700 Jahre Kunstgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart flanieren. Wir sind davon überzeugt, dass durch digitale Angebote der Wunsch, Wien und das Belvedere zu besuchen, noch größer wird.

 

Wie macht man sich attraktiv für jüngere Besucher? Wie steht es um den Anteil junger Besucher unter 20 Jahren?

 

Rund 14 Prozent unserer Besucher und Besucherinnen sind unter 20 Jahren. Sie können unsere Standorte kostenlos besuchen. Unsere Kulturvermittlung bietet ein abwechslungsreiches Programm für Kinder und Jugendliche.

 

Welche besonderen Pläne über das Jubiläumsjahr hinaus haben Sie für das Belvedere?

 

Zwei große Projekte der Erweiterung des Belvedere: Wir werden eine Dependance in Salzburg errichten und planen ein neues Besuchszentrum am Oberen Belvedere in Wien. Für das Belvedere Salzburg stehen die Pläne fest. Im Herbst dieses Jahres soll der Spatenstich erfolgen, um die Museumsräume in der Neuen Residenz zu schaffen. Wenn alles gut geht, können Sie im Sommer 2027 das Belvedere Salzburg besuchen! Das Besuchszentrum in Wien ist in der Planungsphase. Es wird dringend benötigte Räume für Ankunft, Ticketing, Garderoben etc. schaffen.

 

Über welche Mittel verfügen Sie, um den Bestand durch Ankäufe zu erweitern?

 

Das Ankaufsbudget wird im Rahmen des Vorhabensberichts je nach finanzieller Lage immer neu definiert. Durch die finanzielle Krise der Pandemie war es zuletzt sehr niedrig, wird aber nun analog zu den Besuchszahlen wieder erfreulich steigen. Mittels Fundraising, etwas durch das jährliche Dinner, können wir zusätzliche Mittel von mehreren Hundertausend Euro für Ankäufe erwirtschaften.

 

Wie verhält es sich dabei um die präsentierte Kunst im Belvedere 21 – handelt es sich dabei um Leihgaben von Künstlern und ihren Galerien?  

 

Die Ausstellungen zeigen eine Mischung aus Leihgaben und Werken aus der Sammlung des Belvedere sowie der Artothek, der Sammlung des Bundes, die seit 2011 am Belvedere angeschlossen ist und von uns verwaltet wird.

 

Danke für das Gespräch.