Titelthema
Austria mediterranea
Die Sommer werden länger und heißer, und die Tourismusbranche jubelt. Damit werden aber auch die Karten für den Weinbau neu gemischt
"Der beste Sommer seit Jahrzehnten – Touristen stürmen Österreich" schrieb die Tageszeitung Kurier Anfang September groß auf die Titelseite und legte gleich drei Tage später an gleicher Stelle in Anspielung auf ein berühmtes Wienerlied nach: "Es wird ein anderer Wein sein … und der leichte Veltliner wird nimmer sein."
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Das ist aber jetzt schnell gegangen, denn noch in den 60er Jahren wurde in der Wachau extra eine Weinbrand-Destillerie gebaut, weil die Trauben dreibis viermal im Jahrzehnt gar nicht richtig reif wurden. Und jetzt fragt man sich, ob die Klimaerwärmung den Grünen Veltliner killt, Österreichs Paradesorte für frische Weißweine, die mit einem Drittel der Rebfläche und ihrer großen Marktbedeutung das Fundament der Erfolgsstory des österreichischen Weins darstellt.
Ich gebe unserem Flaggschiff trotzdem weiter reelle Chancen und behaupte, dass die großen Grünen Veltliner des letzten Jahrzehnts im Schnitt besser sind als jene zwischen 2003 und 2012. Das liegt daran, dass Anfang des neuen Jahrtausends auch Spitzenwinzer noch immer die Maximierung der Zuckergrade im Kopf hatten und von Klimakrise nichts wissen wollten. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nicht mehr um größtmögliche Power geht, sondern um die Bewahrung von Frische und Eleganz. Die Topwinzer haben ihre Methoden der neuen Situation angepasst. Man sieht es bisweilen an den Weingärten, die im Sommer immer seltener wie perfekt getrimmte Hecken im Park von Versailles aussehen, sondern phasenweise eher wie ein wildes Gestrüpp, dessen Blätter die Trauben beschatten und vor Sonnenbrand schützen. Außerdem beginnt die Lese unter diesen Umständen drei bis vier Wochen früher als noch in den 90er Jahren.
Österreich ist Weißweinland. Neben dem Dominator Grüner Veltliner sind Riesling, Chardonnay, Weißburgunder, Sauvignon blanc und Muskateller am beliebtesten. Und so mancher Sommelier schwärmt von autochthonen Raritäten wie Roter Veltliner vom Wagram, Rotgipfler und Zierfandler von der Thermenregion oder Neuburger vom Spitzer Graben in der Wachau oder vom Leithaberg. Sommeliers haben eben die Angewohnheit, ihren Gästen immer interessante Sachen einzuschenken, die diese nicht kennen.
Die Rotweinkultur ist hierzulande ein junges Phänomen. Als der Aufschwung vor etwa 40 Jahren einsetzte, stieg der Rotweinanteil sehr rasch von 15 Prozent der Rebfläche auf über 30 Prozent. Anfangs wurden die französischen Sorten Cabernet und Merlot für Gamechanger gehalten, bis sich herausstellte, dass die autochthonen Sorten Zweigelt, Blaufränkisch und Sankt Laurent in einem Weltmeer von Cabernet und Merlot viel interessanter sind. Vor allem der puristisch ausgebaute Blaufränkisch hat sich im "Fine Wine"-Bereich international eine Nische erkämpft. Der sanftere Zweigelt kommt dafür bei breiteren Schichten besser an, wo der Blaufränkisch mit seiner Säure und einer gewissen Strenge manchmal aneckt. Leider schlittert der Rotweinabsatz in Europa generell gerade in eine dramatische Krise, die auch durch einen gewissen Rosé-Boom nicht wettgemacht werden kann. Ich behaupte, das liegt nicht zuletzt daran, dass Rotweine überall zu warm serviert werden und es zu wenige leichte und elegante Rote gibt. Aus der Zeit gefallen scheinen daher auch jene Weinkritiker, die noch immer für die marmeladigsten Brummer die höchsten Punkte geben.
Megatrend Nachhaltigkeit
Noch vor 20 Jahren assoziierten die meisten Weintrinker Biowein automatisch mit "komischer Geschmack". Heute ist Österreich mit einem Viertel der Fläche weltweit unter den Vorreitern beim biologischen Weinbau, und das mit vielen hervorragenden Weinen. Ganz so glatt geht die Rechnung für den Bioweinbau jedoch nicht auf, denn klimabedingt steigen die Herausforderungen. Milde Winter lassen jene Schädlinge massenweise überleben, die man später im Jahr mit einer Kombination von Maßnahmen aufwendig eindämmen muss. In Jahren mit feucht-milden Frühsommern wird der Kampf gegen die Pilzkrankheiten Oidium und Peronospora zur Sisyphosarbeit. Biobetriebe müssen in solchen Situationen mit ihren milderen Präparaten viel öfter zum Spritzen ausfahren, um den Infektionsdruck einigermaßen in den Griff zu bekommen. Da kann es schon sein, dass trotz des enormen Aufwands nur die Hälfte der Erntemenge im Vergleich zu jenen erzielt wird, die hochwirksame, systemische Pflanzenschutzmittel einsetzen können. Und wenn immer öfter Spätfröste Ende April die durch den verfrühten Austrieb schutzlosen Triebe vernichten, stellt sich generell die Frage, ob der Weinbau unter diesen Bedingungen noch wirtschaftlich ist.
Im Ausland wird man als Österreicher immer wieder auf den Anthroposophen Rudolf Steiner angesprochen, den Begründer der Biodynamik, die heuer ihren 100. Geburtstag feiert. Und das Weinland Österreich setzt auch in der vielleicht anspruchsvollsten und aufwendigsten agronomischen Methode international Maßstäbe. Seit 2005 haben sich einige der renommiertesten Weingüter des Landes biodynamisch mit den Labels "respekt-Biodyn" oder "Demeter" zertifizieren lassen in der festen Überzeugung, dass diese Methode langfristig auch mit den Herausforderungen des Klimawandels besser fertigwird als die konventionelle Landwirtschaft.
Der Österreichische Weinbauverband propagiert hingegen die Zertifizierung "Nachhaltig Austria", die bis dato 509 Weingüter mit 25 Prozent der Rebfläche des Landes absolviert haben, darunter auch 113 Biobetriebe. Hier wird die gesamte Wirtschaftsweise nach den Gesichtspunkten Qualität, Soziales, Ökonomie, Klima, Material, Energie, Boden, Biodiversität und Wasserverbrauch beurteilt. Das Siegel bekommen auch Betriebe, die zwar in vielen Punkten ökologisch arbeiten, aber auch systemische Fungizide einsetzen dürfen. Während Pragmatiker das für die sinnvollste Form nachhaltigen Wirtschaftens halten, sprechen Kritiker von wettbewerbsverzerrendem Greenwashing.
"Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass uns unsere Nachbarn aus der Alpenrepublik in Sachen Naturwein deutlich voraus sind", verkündet der bekannte deutsche Weinhändler Heiner Lobenberg auf seiner Webseite und beschreibt damit ein Phänomen, das in Österreichs Weinbaupolitik erst nach und nach gewürdigt wurde. Von maischevergorenen Orange Wines bis zu oxidativen Ausbaustilen ohne Schwefel reicht das Kaleidoskop dieser manchmal etwas "funky" daherkommenden Kreationen, die bei der für Qualitätswein vorgeschriebenen Verkostung zur staatlichen Prüfnummer genauso regelmäßig abgelehnt werden, wie sie im Export erfolgreich sind. In den angesagtesten Weinbars von Berlin bis New York oder in den höchstbewerteten Fine-DiningRestaurants Skandinaviens herrschen eben andere Vorstellungen von dem, was guter Wein ist, als bei einer Weihnachtsfeier der Landwirtschaftskammer oder einer Bordeaux-Verkostung im erlauchten Kreis.
Der Kampf um die Klassifikation von Lagen
Die Bezeichnung von Weinen mit dem Namen des Weingartens, aus dem sie stammen, hat auch in Österreich eine lange Tradition. Aber bis vor wenigen Jahren wurde mit diesen Begriffen, die ja die höchste Stufe der Weinkultur darstellen sollen, ordentlich geflunkert. In einem Land, das schon im 19. Jahrhundert einen kompletten Liegenschaftskataster zur Berechnung der Grundsteuer hatte, gab es bis vor wenigen Jahren noch keine amtliche Abgrenzung der Weinbergslagen, die in Österreich "Rieden" heißen. Gleichzeitig bemühten sich die Vereinigungen "Österreichische Traditionsweingüter" und "STK-Steirische Terroir & Klassikweingüter" um eine Klassifikation nach burgundischem Vorbild. Da eine offizielle Einstufung einer Riede als Erste oder Große Lage enorme Wettbewerbsvorteile verschafft, sind in dieser Causa heiße Auseinandersetzungen im Gange. Diese führten immerhin zur Erkenntnis, dass vor einer Klassifikation wohl die Definition von Rieden geklärt werden müsse. So kam es, dass das gesamte Weinland Österreich heute einen gesetzlich definierten und interaktiv online abrufbaren Riedenkataster hat.
Ich sitze gerne, aber viel zu selten in einer Buschenschank oben am Nussberg mit einem atemberaubenden Blick auf Wien, über die Donau hinüber ins Weinviertel oder nach Osten auf die Berge der Hainburger Pforte, das südliche Ende der Kleinen Karpaten. An schönen Tagen sieht man rechts davor das Leithagebirge, den nördlichsten Ausläufer der Alpen, der den Blick ins romantische Burgenland mit dem einmaligen Neusiedlersee verstellt. Und wenn ich dann mitten in den Weinbergen die Biodiversität in Form eines Wiener Gemischten Satzes im Glas ergründe, quäle ich mich nicht mit Kinkerlitzchen wie Prüfnummern oder Klassifikationen, sondern memoriere: Der echte Wiener Gemischte Satz besteht aus mindestens drei Rebsorten, die aus einem Wiener Weingarten gemeinsam geerntet und vergoren wurden. Dabei darf der größte Anteil einer Rebsorte nicht höher als 50 Prozent, der drittgrößte nicht weniger als zehn Prozent ausmachen. Bevor jetzt die Traumata von meiner Mathematik-Matura hochkommen, tröste ich mich im Wissen, dass keiner dieses Rätsel lösen kann, weil die Zahl der Sorten in den Weingärten manchmal sogar die Vorstellung der Winzer selbst übersteigt.
Gastliche Liebingsplätze
Restaurant Loibnerhof-Knoll
Das Mekka der österreichischen Traditionsküche in der Wachau mit herrlichem Gastgarten Unterloiben 7, A-3601 Dürnstein
loibnerhof.at
Landhaus Bacher Eines der besten Gourmet-Restaurants Österreichs mit großer Weinkarte von Wachau bis Bordeaux Südtiroler Platz 2, A-3512 Mautern an der Donau
landhaus-bacher.at
Gasthaus zur Dankbarkeit
Authentische pannonische Küche in Podersdorf am burgenländischen Neusiedlersee Hauptstraße 39, A-7141 Podersdorf
dankbarkeit.at
Vila Vita Pannonia
Das Naturresort am Nationalpark Neusiedlersee-Seewinkel, ideal für Familien mit Kindern Storchengasse 1, A-7152 Pamhagen
vilavitapannonia.at
Wolfgang Maitz
Weingut, Wirtshaus und Weinhotel in den Weingärten der idyllischen Südsteiermark Ratsch 45, A-8461 Ehrenhausen,
maitz.co.at
10.012 Weinbaubetriebe
gab es in Österreich im Jahr 2023
2,33 Mio. hl Weinernete in Österreich im Jahr 2023
Österreichs Weine
68,4% Weißweine
29,5% Rotweine
2,1% andere Weine
Top-Sorten nach Anbaufläche in Österreich im Jahr 2023
32,3% Grüner Veltliner
13,4% Zweigelt
6,3% Welschriesling
5,8% Blaufränkisch
Quelle: Österreich Wein Marketing
Buchtipp
Willi Klinger, Karl Vocelka
Wein in Österreich: Die Geschichte
Brandstätter Verlag 2019,
704 Seiten, 60 Euro
Willi Klinger gilt als einer der führenden Weinexperten Österreichs und hat in seiner langen Karriere Führungspositionen in wichtigen Bereichen der Weinwirtschaft bekleidet.