Die Bundesländer in der deutschen Kulturlandschaft
Das polyphone Wiegenlied einer föderalen Kulturnation
Das Humboldt-Forum im neuen Berliner Schloss ist gegenwärtig das bedeutendste Bauprojekt Deutschlands. Welche Aussage trifft ein Land, wenn es ein derart markantes Vorhaben in seiner politischen Mitte den Kulturen der Welt widmet? Und was folgt daraus für den kulturellen Föderalismus? Diesen und weiteren Fragen zur Rolle der Kultur widmen sich die Beiträge dieses Titelthemas.
Die Wiege der Deutschen steht in Sachsen-Anhalt! Aus diesem Satz spricht keineswegs nur der Stolz des Lokalpatrioten. Die deutsche Kaisergeschichte von Heinrich dem Vogler über Otto eins bis drei hat hier ihren Ausgang genommen. Im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt befinden sich herausragende Zeugnisse jener Zeit, ob in der UNESCO-Stadt Quedlinburg, in Wallhausen, im Kloster Memleben oder im Magdeburger Dom sind sie zu besichtigen. Und an der „Straße der Romanik“ kommt der kulturgeschichtlich interessierte Besucher schon gar nicht vorbei.
Daneben sind wir in Sachsen-Anhalt auch Kernland der Reformation. In Mansfeld, Eisleben und vor allem der Lutherstadt Wittenberg lebte und wirkte Martin Luther mit seinen Mitstreitern wie Philipp Melanchthon oder den Cranachs. Daran anknüpfend bekam der Pietismus seinen Hort in den Franckeschen Stiftungen zu Halle an der Saale, und der Aufklärung wurde durch Fürst Franz im Dessau-Wörlitzer Gartenreich ihr Refugium gepflanzt. Diese Tradition der Reform, Erneuerung und Moderne reicht bis hin zu den Bauhausmeistern Gropius, Kandinsky, Meyer und Feiniger im Dessauer Bauhaus. Gemeinsam mit der Kunsthochschule Burg Giebichenstein und dem Landeskunstmuseum in der Moritzburg in Halle sind wir auch stolz ein Land der Moderne.
Vieles in Literatur (Gleim, Klopstock, Novalis, Nietzsche etc.) oder Musikgeschichte (Schütz, Bach, Händel, Telemann, Weill etc.) ließe sich noch aufführen, um die These von Sachsen-Anhalt als Wiege deutscher Kultur und Nation zu untermauern. Selbst das aus dem altmärkischen Schönhausen stammende Landeskind Otto von Bismarck kann zu seinem diesjährigen 200. Geburtstag als Zeuge angerufen werden.
Ein vielfältiges Puzzle
Und doch melden sich Zweifel. Das liegt nicht nur an meinen Potsdamer Jugendjahren, wenn zu fragen ist: Wo bleibt in dieser beeindruckenden Liste Preußen mit seinem Gloria und seinen Gärten? Können wir deutsche Kultur ohne sächsischen Glanz und bayrische Schlösser, badische Freiheitsgeschichte, Weimarer Klassik und norddeutsche Hanse beschreiben und begreifen? Deutsche Kulturgeschichte können wir letztlich nur föderal beschreiben und begreifen. Das große deutsche Kultur-Puzzle setzt sich aus den verschiedensten und vielfältigsten Stücken zusammen. Deutsche Kulturgeschichte ist zu großen Teilen föderal zu lesen. Dies lässt sich nicht nur im Zählen der Jahre bzw. Jahrhunderte, sondern auch im Selbstverständnis der Regionen mit ihren Traditionen ablesen. Noch deutlicher wird der föderale deutsche Grundzug, wenn wir uns mit der viel stärker zentralistisch geformten und gewachsenen Kulturnation unserer französischen Nachbarn vergleichen. Unser polyphon-föderales Wiegenlied klingt nicht nur in der Vergangenheit. Auch gegenwärtig ist zwischen offizieller Hauptstadtkultur und ihrer millionenschweren Berlin-Förderung, unabhängiger Subkultur und ihren Lebensformen, Traditions- und Heimatpflege in den Regionen und feuilletonaffinem Hochkultur-Event-Reigen das kooperative Band des Kulturföderalismus geknüpft. Mit dieser Kulturpolitikformel des „kooperativen Kulturföderalismus“ wird im aktuellen Koalitionsvertrag das Verhältnis von Bund und Ländern in diesem Bereich zutreffend und vorausschauend beschrieben.
Aus gutem Grund: Als wir im Herbst 2013 nach der Bundestagswahl in der Arbeitsgruppe Kultur und Medien bei den Koalitionsverhandlungen zusammensaßen, wollten wir so das künftige Miteinander von Bund, Ländern und Kommunen definieren und dabei sowohl die wechselseitige Verantwortung als auch das damit verbundene finanzielle Engagement herausstellen. Der Kulturfinanzbericht 2012 beziffert die Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für Kultur auf insgesamt 9,1 Milliarden Euro. Davon tragen die Kommunen 44,4 Prozent, die Länder 42,2 Prozent und der Bund 13,4 Prozent.
Das Verhältnis zum Bund
Auch wenn immer stärker (gerne noch mehr) private Stiftungen und Spender mithelfen, wird die Hauptlast vor Ort bzw. in den Ländern getragen. Dabei gilt im Grundsatz, dass Kommunen die kulturelle Grundversorgung von Bibliotheken über Theater und Museen, Musikschulen, Soziokultur bis hin zu Denkmalschutz und Literaturförderung, bildender Kunst wie kultureller Jugendbildung absichern. Dazu kommt die Kulturförderung des Landes, um die Einrichtungen bzw. Projekte von besonderem Landesinteresse zu fördern: Landesmuseen und Musikschulen, Landesausstellungen und überregionale Festivals, UNESCO-Welterbestätten und langjährige Theater- und Orchesterverträge, Bibliotheken und Denkmalsanierungen, Traditions- und Heimatpflege ebenso wie zeitgenössische Avantgarde. Seit einigen Jahren bekennt sich auch der Bund zu dieser Verantwortungsgemeinschaft und unterstützt Einrichtungen und Projekte von nationaler Bedeutung. Davon profitieren Kulturstiftungen und UNESCO-Welterbestätten ebenso wie die Deutsche Nationalbibliothek oder das Internationale Filmfest.
Eine besondere Verantwortung hat der Bund in der Hauptstadt Berlin übernommen. Dabei geht es um die gesamtstaatliche Repräsentation der Kulturnation in der Hauptstadt wie auch die kulturelle Ausgestaltung und Weiterentwicklung in Berlin. Das Humboldt-Forum kann dafür als klassisches Beispiel dienen. Im Zentrum der Stadt gilt es, im Zusammenspiel verschiedener Partner nicht nur Schätze zu präsentieren, sondern eine kulturvolle Dialogplattform – ein Forum zu bauen, in dem die Weltgesellschaft zu Diskurs und Dialog, Selbstvergewisserung und Identitätsbildung zusammenkommt. Den globalen Herausforderungen in der Mitte Berlins ein Kulturhaus zu bauen, manifestiert, dass der Grund für alles menschliche Miteinander durch Kultur gelegt wird.
In guter Gemeinschaft und wechselseitigem Verstehen ist kooperativer Kulturföderalismus ein starker und stärkender Ansatz. Was das praktisch heißt, zeigt als jüngstes Beispiel die in Rekordzeit in Magdeburg gegründete Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste. In wenigen Monaten bündelten Bund, Länder und Kommunen ihre Kompetenzen auf dem Gebiet der Provenienzforschung und stellten sie neu auf.
Die seit einigen Jahren stattfindenden Gespräche zwischen der Kultusministerkonferenz und der Beauftragten für Kultur und Medien im Kanzleramt sind auf dem besten Wege, eine Institution zu werden. Selbstverständlich sitzen dabei auch die Kommunen sowie die Kulturstiftungen des Bundes und der Länder mit am Tisch. Dabei geht es nicht um wohlfeilen Rat – schon gar nicht, wenn der Ratgeber die Dinge nicht finanziert. Dennoch muss bei den laufenden Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich beachtet werden, dass die reiche deutsche Kulturlandschaft nur blühen kann, wenn starke Kommunen und handlungsfähige Länder weiterhin die Hauptlast dieser kulturellen Vielfalt auch tragen können.
In den kommenden Jahren stehen zwei große geschichtsträchtige Jubiläen an, die von deutschen Landen ausgingen und die Welt verändert haben: An 500 Jahre Reformation erinnern wir im Jahr 2017, und 2019 feiern wir 100 Jahre Bauhaus. Sachsen-Anhalt kommt hier mit der Lutherstadt Wittenberg und dem Bauhaus Dessau eine Schlüsselrolle zu. Dennoch ist auch klar: Weder Luther noch das Bauhaus gehören allein unserem Bundesland. Wir waren deshalb von Beginn an interessiert, andere Länder einzuladen. So sind länderübergreifende Netzwerke entstanden, bei denen inzwischen auch der Bund mitwirkt. Im Kuratorium Luther 2017 arbeiten Bundesministerien und Ministerpräsidenten, Landeskirchen und Kirchenbünde zusammen.
Auch für das Bauhaus-Jubiläum 2019 konnte ich die Gründungsmitglieder Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin, Niedersachsen und Baden-Württemberg gewinnen, den Bauhausverbund zu gründen. Weitere Länder sind inzwischen gefolgt. Seit diesem Jahr ist der Bund dabei. So kann kooperativer Kulturföderalismus die unterschiedlichen Profile schärfen, ohne in falscher Profilierung oder Zentralismuslust die gewachsenen Kulturräume zu okkupieren. Ohne eine starke Basis in Ländern und Kommunen wird die Kultur nicht blühen.
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