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Dauerstreit um Schliemanns Gold

Titelthema - Dauerstreit um Schliemanns Gold
Schliemann und seine Frau Sophia bei der Ausstellung der Troja-Sammlung im Berliner Kunstgewerbemuseum 1881. Zeitgenössischer Holzstich. © bridgemanimages.com

Eine konstruktive Antwort auf die Frage, wem Schliemanns Schätze gehören, die Möglichkeit, dieses Weltkulturerbe auch mit Ausstellungen in Berlin, Istanbul oder Athen zu würdigen, rückt durch den Krieg in der Ukraine erneut in weite Ferne.

Frank Vorpahl01.05.2022

Der legendenhafte Ruhm, der Heinrich Schliemanns archäologische Funde auch 200 Jahre nach der Geburt ihres Entdeckers umweht, lässt sich mit dem schillernden Glanz des „Schatzes des Priamos“ oder der „Goldmaske des Agamemnon“ allein nicht erklären. Fest steht, dass die Mythen, mit denen der Mecklenburger Amateur-Ausgräber seine zweifellos bedeutenden archäologischen Entdeckungen strategisch aufwertete, eine Aura um seine Funde legte, die vielerorts Begehrlichkeiten befeuerten. Bis heute bewegt die Frage, wem Schliemanns Troja-Gold gehört, die große Weltpolitik. Nicht nur Deutsche und Russen sind seit gut drei Jahrzehnten in einem Beutekunst-Streit um Schliemanns Schatz des Priamos verstrickt, auch der türkische Präsident forderte jüngst eine Rückkehr an seinen Fundort in der Türkei. Derzeit untermauern gleich zwei Ausstellungen im Archäologischen Museum von Istanbul und im neuen Unesco-Museum von Troja/Hissarlik den Wunsch, Schliemanns schillernde Fundstücke auch am Ort ihrer Entdeckung wieder zu vereinen.

Der archäologische Sündenfall

An all dem hat Schliemann entscheidenden Anteil. Keiner seiner Zeitgenossen glaubte so unbeirrbar wie er daran, dass der antike Dichter Homer in seinen Epen Ilias und Odyssee nicht fiktive, sondern ganz reale Kulissen des Trojanischen Krieges vor Augen gehabt haben müsse – antike Schauplätze mitsamt ihren Reichtümern, die man finden und freilegen könne. Und kaum ein anderer investierte so viel von seinem Privatkapital, das Schliemann als junger Mann im kalifornischen Goldrausch und in fast 20 Jahren als erfolgreicher Kaufmann im russischen St. Petersburg gemacht hatte, in gigantische Grabungskampagnen.

Doch diese obsessive Hartnäckigkeit hatte ihre Kehrseite. Weil Schliemann erst spät – als Mittvierziger – ins „Grabungsgeschäft“ einstieg, drückte er im türkischen Hissarlik, wo er die Burg des Königs Priamos der Ilias verortete, umso mehr aufs Tempo.Bis zu 150 Arbeiter drangen zwischen 1870 und 1873 bis zur „Urscholle“ des Grabungshügels vor, um Troja freizulegen. Schliemann ahnte nicht einmal, dass er damit die Siedlungsschicht des von ihm gesuchten Homerschen Troja in den Schutt entsorgte. Dieser archäologische Sündenfall, der sogenannte Schliemann-Graben, ist bis heute im Grabungshügel von Hissarlik sichtbar. Aber hier machte Schliemann am 31. Mai 1873 auch seinen größten Fund: Fast 9000 Einzelteile aus prähistorischer Zeit, filigrane Diademe, Becher, Vasen und Trinkgefäße, rund 14 Kilogramm Gold.

Schliemann ein Scharlatan?

Der in Marketingfragen beschlagene Händler Schliemann taufte seinen sensationellen Hortfund medienwirksam „Schatz des Priamos“ und sorgte mit einer Flut selbst verfasster Artikel in renommierten Zeitungen samt suggestivem Pressefoto seiner schönen, mit Troja-Gold dekorierten griechischen Ehefrau Sophia für die globale Verbreitung dieses Mythos. In Wahrheit hatte das Gold aus Troja mit dem König Priamos der Ilias nichts zu tun, sondern war für die Epoche Homers rund ein Jahrtausend zu alt.

Doch Schliemanns suggestive Etiketten setzten sich durch. Wohl auch, weil Schliemann seine Grabungsfunde gern exklusiv gekrönten Häuptern meldete, bevor er an die Öffentlichkeit ging. So telegrafierte er 1876 aus dem griechischen Mykene, wenige Stunden nach seinem zweiten großen Goldfund, jubelnd an den König der Hellenen, er habe die Überreste des Homerschen Helden Agamemnon entdeckt. In Wahrheit war die „Goldmaske des Agamemnon“ pure Fantasie. Selbst der schon arrivierte Schliemann ließ von solchen Methoden nicht ab und teilte dem deutschen Reichskanzler Bismarck 1888 aus dem ägyptischen Alexandria mit, er habe den „Kopf der Kleopatra“ entdeckt, obgleich es sich hier um die römische Kopie eines griechischen Frauenkopfes aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert handelte.

Wie erfolgreich Heinrich Schliemann bei der Aufwertung seiner Grabungsfunde war, lässt sich daran ablesen, dass wir bis heute vom „Schatz des Priamos“, der „Maske des Agamemnon“ oder dem „Kopf der Kleopatra“ sprechen. Schliemanns mythisch aufgeladene archäologische Preziosen aber steigerten naturgemäß auch vielerorts den Wunsch, diese renommierten Stücke zu besitzen.

So stellte sich schon sehr bald nach Schliemanns erstem großen Goldfund in Troja die Frage, ob ihm der Schatz des Priamos auch gehöre. Heinrich Schliemann kannte die Antwort nur zu gut, sonst hätte er das Troja-Gold im Mai 1873 nicht heimlich – in Säcken und Körben versteckt – nach Griechenland schmuggeln lassen. Doch das Osmanische Reich ließ sich nicht um die Fundteilung prellen, die in Konstantinopel mit der Grabungslizenz vereinbart worden war. Fast drei Jahre lang tobte in der Folge ein von der türkischen Presse intensiv verfolgter Gerichtsprozess in Athen, für den Schliemann mehrfach verhört, sein Athener Wohnhaus durchsucht, kostbares Mobiliar samt Ehebett konfisziert und Schliemanns Konten eingefroren wurden. Der Beklagte aber gab den Schatz des Priamos nicht mehr her, sondern ließ ihn drei Jahre lang bei der Familie seiner griechischen Ehefrau verstecken. Einmal fragte der Amerikaner Schliemann sogar bei der US-Gesandtschaft in Athen an, ob die Navy notfalls das Einlaufen der osmanischen Flotte in Piräus verhindern würde. Erst ein gerichtlicher Vergleich führte 1876 aus dem Dilemma und Heinrich Schliemann musste zahlen. Statt der festgesetzten 20.000 Goldfrancs sagte er den Osmanen nun 50.000 Goldfrancs zu, um eine weitere Grabungserlaubnis für Troja zu erhalten. Erst danach konnte Heinrich Schliemann mit einer ersten Ausstellung des Priamosschatzes in London für Besucherrekorde sorgen und seine Trojanischen Grabungsfunde schließlich dem deutschen Volk „zu ewigem Besitze“ vermachen, was ihm kaiserliche Orden und die Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin einbrachte. Über 60 Jahre lang wurden die goldenen Funde aus Troja in der deutschen Hauptstadt präsentiert, bis sie dort am Ende des Zweiten Weltkriegs von der Sowjetarmee konfisziert wurden und Richtung Osten verschwanden.

Mit Tränen in den Augen

Erst der Zusammenbruch der Sowjetunion brachte Schliemanns verschollen geglaubte Schätze wieder ans Tageslicht. 1994 standen in Moskau erstmals wieder Berliner Museumsleute mit Tränen in den Augen vor den bedeutendsten Objekten ihres Museums für Vor- und Frühgeschichte – Seite an Seite mit Irina Antonowa, der langjährigen Direktorin des Moskauer Puschkin-Museums, die Schliemanns Goldschätze im Geheimdepot ihres Museums verborgen hatte. Für einen kurzen Moment schien es, als stimme die eiserne Lady der Beutekunst mit dem russischen Präsidenten Jelzin überein, den Schatz des Priamos in einem gemeinsamen Haus Europa an seine rechtmäßigen Eigentümer in Berlin zurückzugeben. Im Gegensatz dazu aber sorgte schließlich die russische Staatsduma für ein Beutekunstgesetz, das Schliemanns Schätze zur Kompensation deutscher Kriegszerstörungen in russisches Staatseigentum verwandelte.

Keine Hoffnung auf einen Kompromiss

In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten bemühten sich Deutsche und Russen trotz unterschiedlichen Rechtsauffassungen in einem gemeinsamen Museumsdialog, die „kriegsbedingt verlagerten Objekte“, wie Schliemanns Beute-Gold nun diplomatisch genannt wurde, in gemeinsamen Forschungsprojekten zu erforschen und zu präsentieren – in großen Ausstellungen, die allerdings immer nur in Russland gezeigt werden konnten. Wie heikel die Frage „Wem gehört der Schatz des Priamos?“ tatsächlich ist, wurde zuletzt auf großer politischer Bühne im Mai 2013 deutlich. Damals stand bei einem Arbeitsbesuch der deutschen Kanzlerin in St. Petersburg eine gemeinsame Visite mit dem russischen Präsidenten in der Eremitage auf dem Programm, wo eine russisch-deutsche Bronzezeit-Ausstellung auch Schliemanns Troja-Gold zeigte. Doch kam es fast zum Eklat, weil Wladimir Putin eine Rede Angela Merkels zu verhindern suchte, die den deutschen Wunsch nach einer Rückgabe der Beutekunst bekräftigte. Dass Putin in letzter Minute einlenkte, Merkel und Putin sich vor Schliemanns Schätzen und laufenden Fernsehkameras auf eine Klärung zu verständigen schienen, ließ noch einmal vorsichtige Hoffnungen aufkeimen. Vielleicht würden sich beide Länder am Ende auf eine pragmatische Kompromissformel einigen können, um zumindest eine temporäre Ausstellung von Schliemanns Schätzen außerhalb Russlands zu ermöglichen? Bietet nicht Schliemanns 200. Geburtstag und die große Berliner Schliemann-Ausstellung im Mai 2022 einen idealen Anlass? Noch im November 2021 verabredeten das Moskauer Puschkin-Museum und das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte ein Kooperationsprojekt, um im Puschkin-Museum mit modernster Technologie erstmals die Zusammensetzung von Schliemanns Goldfunden zu bestimmen.

Doch alle Pläne und Hoffnungen kamen am 24. Februar dieses Jahres brutal unter die Räder, als russische Truppen die Grenze zur Ukraine überschritten. Eine konstruktive Antwort auf die Frage, wem Schliemanns Schätze gehören, die Möglichkeit, dieses Weltkulturerbe auch mit Ausstellungen in Berlin, Istanbul oder Athen zu würdigen, rückt durch den radikalen Kulturbruch erneut in weite Ferne. 


Buchtipp

 

Frank Vorpahl

Schliemann und das Gold von Troja: Mythos und Wirklichkeit

Galiani Berlin 2021,

368 Seiten, 24 Euro

Frank Vorpahl
Frank Vorpahl ist Schliemann-Biograf. Dem Gold aus Troja ist er erstmals im Herbst 1994 als Aspekte-Redakteur begegnet, als die Direktorin des Puschkin-Museums vor ZDF-Kameras enthüllte, dass der „Schatz des Priamos“ 1945 von russischen Soldaten mitgenommen wurde. Seitdem folgt er Schliemanns Spuren.