Titelthema
Die glorreiche Witwe
Nach Schliemanns Tod sorgte seine Ehefrau Sophia für dessen Nachlass und Nachwirkung. Eine Annäherung an eine Ikone, ohne die Heinrich Schliemanns Biografie unvollständig ist.
Nie habe ich aufgehört, an dein Glück zu denken“, schrieb Sophia Schliemann in einem Brief an ihren Mann, kurz vor seinem Tod 1890. Sie überlebte ihn um 42 Jahre und wuchs in die Gestalt einer Witwe hinein, die in völligem Einklang mit dem von Heinrich Schliemann entworfenen Mythos des „berühmten Paares der Archäologie“ stand.
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Nach Schliemanns Tod ging das Leben im Iliou Melathron in gewohnter Weise weiter. Der Besuch bei Sophia Schliemann war für Teilnehmer von internationalen archäologischen oder historischen Konferenzen ein Muss. Sie begegneten einer Frau von „königlicher Physiognomie“, die aus einer „pathetischen Würde“ heraus nicht wieder geheiratet hatte, wie der Schliemann-Biograf Emil Ludwig einst schrieb. Schliemann hatte sein Vermögen seinen vier Kindern (Nadeshda, Sergej, Andromache und Agamemnon) vererbt. Sophia hatte das Iliou Melathron bereits als Schenkung erhalten, „mit aller Einrichtung, der Bibliothek und meinen Altertümern (ausgenommen die Sammlung der Trojanischen Altertümer)“. Nach seinem Tod verfügte sie über 15 Millionen Francs.
Legendäres Röslein am Revers
Nunmehr frei zu walten, finanzierte sie zuerst Wilhelm Dörpfelds Ausgrabungen in Troja und die Veröffentlichung von Heinrich Schliemann’s Selbstbiographie, bis zu seinem Tode vervollständigt. In der Folge entwickelte sie Aktivitäten im Bereich der Fürsorge, der in dem armen Land nach wie vor große Bedeutung zukam. Sophias Bemühungen galten unter anderem den Frauen. Sie gründete Heime für mittellose Frauen und versuchte, ihnen den weiteren Weg zu Berufen zu ebnen, die eine über die üblichen Tätigkeiten wie Textil- und Näharbeit oder den Lehrberuf hinausgehende Ausbildung erforderten. So gründete sie zum Beispiel eine Schule für Krankenschwestern in Athen.
1903, in einer Zeit schnellen Bevölkerungszuwachses in der Stadt und der damit einhergehenden stark grassierenden Tuberkulose, legte sie den Grundstein der „Sotiria“ (Erlösung), des ersten Krankenhauses für Lungenkrankheiten in Athen. Es ist Sophia Schliemanns bedeutendster Beitrag zu den Fortschrittsbemühungen ihres Landes. Ihre Büste steht im noch heute funktionierenden Krankenhaus, und das „Röslein“, das sie und ihre Tochter Andromache Passanten ans Revers steckten, die ihren Obolus für die Errichtung des Krankenhauses gaben, ist legendär geblieben. In den Straßen Athens sah man Menschen mit einer Blume im Knopfloch oder an der Bluse, jung und alt, Soldaten und Kleriker, Frauen der Hautevolee und Bauern aus der Provinz, die gerade am Omonia-Platz angekommen waren.
Charakteristisch für Sophia Schliemanns fortschrittliche Haltung ist ihr Bezug zur „Emanzipation“ der Frauen – der Begriff ist seit den 1880er Jahren in Gebrauch. So beim Fortschrittlichen Frauen-Verein in Konstantinopel und der Zeitung der Damen in Athen, zu deren Redaktion Sophia im Bewusstsein, sich für die ersten sozialen und institutionellen Errungenschaften der Frauen in Familie, Bildung und Arbeit engagieren zu müssen, gehörte.
Flucht ins Iliou Melathron
Sophia erlebte die griechische Hauptstadt in einer geschichtlich dramatischen Epoche: Balkankriege, Erster Weltkrieg, Militärzug gegen die Türkei und die Vertreibung der in Kleinasien beheimateten Griechen, die als Flüchtlinge ins Land strömten und in Baracken und in Athen vor antiken Säulen, aufgeschlagenen Zelten oder auch in öffentlichen Gebäuden wie dem Königlichen Theater und auch im Iliou Melathron untergebracht wurden. Dies war das Ergebnis der „Megali Idea“, einer irredentistischen Vision der Befreiung noch unter türkischer Herrschaft stehender Gebiete und der Wiederherstellung des Byzantinischen Reiches. Einer politischen Utopie, die Heinrich Schliemann durchaus mitgetragen hatte. Sie entsprach Sophias Patriotismus, auch wenn Griechenland, von seinen eigenen Politikern verblendet und von der Tripel-Allianz manipuliert, sie teuer bezahlt hatte.
Sophia Schliemann erlebte in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch die permanente Spaltung der griechischen Gesellschaft in Monarchisten und Republikaner, wobei die häufigen Regierungswechsel sich nicht ohne Amtsenthebungen, Abdankungen, Attentate und Aufstände vollzogen. Sophia trat in die republikanische Partei der Liberalen ein, mit deren Anführer, dem charismatischen Politiker und zeitweiligen Ministerpräsidenten Eleftherios Venizelos (1864– 1936), sie im Alter eine enge Freundschaft verband. Venizelos flüchtete oft aus seinem benachbarten Haus ins Iliou Melathron, um fern seiner offiziellen Pflichten ruhig arbeiten zu können.
Zum Ruhme des Vaterlands
Sophia unterhielt naturgemäß Beziehungen zu deutschen Freunden, Mitarbeitern ihres Mannes, vor allem aus dem Kreis um das Deutsche Archäologische Institut und seinen Leiter Wilhelm Dörpfeld, sowie zu profilierten Persönlichkeiten aus Deutschland, Wissenschaftlern und Diplomaten in Athen. Auch zu Virchow und anderen Freunden in Deutschland blieb der Kontakt erhalten. Sie schickte einige Antiquitäten wie den aus Ägypten stammenden „Kopf der Kleopatra“ nach Berlin, den Schliemann Otto von Bismarck versprochen hatte, mit dem die Schliemanns ehemals in Bad Kissingen anregende Stunden verbracht hatten.
Neben ihrem philanthropischen Wirken schenkte Sophia der Smithsonian Institution in Washington und dem Nationalmuseum Athen archäologische Funde vom Hissarlik. Schliemanns numismatische Sammlung vermachte sie dem Numismatischen Museum Athen. Es ist heute im Iliou Melathron untergebracht. Sophia hatte den Palast 1926 dem griechischen Staat mit der Maßgabe, ihn als Museum, Pinakothek oder Institut zu nutzen – „wenn der Raum es erlaubt“ –, verkauft. Sie starb am 27. Oktober 1932 und wurde mit einem Staatsbegräbnis neben ihrem Mann bestattet. Am Nordfries ihres Mausoleums sind sie zwischen dem Löwentor von Mykene und Funden aus Troja dargestellt. Er trägt einen Kolonialhut, sie steht in der Haltung einer Muse wie auf einem römischen Sarkophag. In einem Brief aus Karlsbad hatte sie 1881 geschrieben: „[...] möge zumindest mein Name bekannt werden, wenn das zum Ruhm meines geliebten Vaterlands beitragen kann“. Heinrich Schliemann schenkte seiner „homerischen Frau“, der „Athenienserin“, diesen Ruhm.
Als Sophia im Jahr 1932 starb, war Athen bereits eine moderne Stadt von 720.000 Einwohnern, Hauptstadt eines Landes, das bald das furchtbare Schicksal Europas mittragen würde. Eine in jenen Tagen aber heitere, schöne Stadt, deren Lebensformen der Norm menschlichen Daseins noch nahekamen.