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Die neuen alten Stars

Film und Fernsehen entdecken ein neues Sujet: die Alten und das Altern. Auch in Szenen, die früher nicht gezeigt wurden

Stefan Arend01.03.2016

In einer Gesellschaft  des langen Lebens entdecken auch Kino und Fernsehen das Altern und die Alten. Denn stets ist künstlerisches Schaffen immer auch ein Reflex auf Themen, die die Menschen bewegen. Schon jetzt sind 21 Prozent der Deutschen 65 Jahre und älter, im Jahr 2060 werden es 33 Prozent sein, so eine Prognose des Statistischen Bundesamtes. Mit den Alten steigt auch die Zahl der Pflegebedürftigen und der von Demenz Betroffenen. Deshalb kommen Filmemacher gar nicht umhin, sich diesen Themen zu widmen.

Der demenzfilm – Ein neues Genre

Zwar gab es bereits Stummfilme, die das Thema Alter aufgriffen oder alte Akteure auftreten ließen. So drehte Friedrich Wilhelm Murnau 1924 den Streifen „Der letzte Mann“. Emil Jannings spielt darin einen alternden Hotelportier, dem die Kräfte schwinden und der deshalb zur Arbeit in die Herrentoilette verbannt wird (siehe Bild). Aber erst jetzt kommen Filme, die das Alter und Altern abendfüllend thematisieren und zu Blockbustern aufsteigen. In seiner ersten Regiearbeit 2012 zeigt der Schauspieler Dustin Hoffman, damals 75 Jahre alt, hochbetagte Musiker, die durch eine Gala ihr Altenheim vor dem Ruin retten. „Quartett“ heißt der Film.

In den letzten Jahren entstand sogar ein neues Genre: der Demenzfilm. Man denke nur an die Werke „Still Alice“, „Iris“, „Mein vergessenes Leben“, „Honig im Kopf“, „Stiller Abschied“, „Mein Vater“, „Die Auslöschung“ oder „Nicht schon wieder Rudi“. Rund 100 Jahre nach dem Tod des Psychiaters Alois Alzheimer, der Anfang des 20. Jahrhunderts eine besondere Form der Demenz beschrieb, erreicht das Thema eine neue Dimension.  

Außerdem befassen sich Filme auch mit der „Sexualität im Alter“, den „Konfrontationen der Generationen“, den „Senioren in neuen Rollen“, aber auch mit dem „Sterben und Tod“. Gegen so manches tradierte Altersrollenmuster wird heute mit ungewohnten Bildern angegangen. Andreas Dresen zeigt in seiner „Wolke 9“ ein Paar jenseits der 70, das sich leidenschaftlich liebt, ungeschminkt, nackt mit Wollust und voller Begierde. Bilder, die vor wenigen Jahren auf der Leinwand noch nicht zu sehen waren.

Natürlich gibt es auch die alternden Kino- und Fernsehstars, die wie Sylvester Stallone (69) als Rocky Balboa noch einmal in den Boxring steigen oder wie Harrison Ford (73) als Han Solo weiterhin den Krieg der Sterne proben. Wie angenehm ist es für ein silbergraues Publikum zu sehen, was die mit ihnen gealterten Helden noch alles zu leisten vermögen und wie sie mit ihrer Lebenserfahrung den Jungen ein Schnippchen schlagen können. Auch solche Filme mögen ein Grund dafür sein, dass jetzt mehr Ältere ins Kino gehen als früher. Waren 2009 nur zehn Prozent der deutschen Kinobesucher 60 Jahre und älter, so stieg der Anteil 2014 auf 14 Prozent.

Das Wissen, das Können und die Erfahrung der Alten werden eben gebraucht, sind manchmal sogar unverzichtbar. Im Film „Man lernt nie aus - The Intern“ heuert Ben Whittaker, gespielt von Robert De Niro (72), als Praktikant in einem Internet-Modeunternehmen an, um der Langeweile des Ruhestands zu entfliehen. Der Alte beweist, wie hilfreich uralte Weisheiten und Old-Business-Fertigkeiten sein können, wenn im Geschäftsleben von heute kritische Situationen auftauchen.

Bester europäischer Film

Ein anderes Beispiel für die Darstellung der Weisheit des Alters liefert Edward G. Robinson im düsteren Science-Fiction-Streifen „Soylent Green“ aus dem Jahre 1973. Die Menschheit lebt – so das Drehbuch – auf einem ausgeplünderten, unwirtlichen Planeten und ist auf allerlei Ersatzstoffe angewiesen. Robinson schlüpft als 80-Jähriger – kurz vor seinem Tod – in die Rolle des Solomon Roth, der als hochbetagter, weiser Wissensträger dem jugendlichen Detective Robert Thorn (Charlton Heston) verraten kann, wie die Welt früher aussah, als es noch blühende Wiesen, sauberes Wasser und einen blauen Himmel gab.

Die Rolle des betagten Solomon Roth weist in die Vergangenheit, mit ihm ist eine Zeitreise möglich. Alter kann im Film somit auch für die Bilanzierung des Lebens taugen. Aktuell beeindruckend in Paolo Sorrentinos „Ewige Jugend – Youth“ zu sehen: In der Abgeschiedenheit der Schweizer Berge ringen die deutlich gealterten Künstler und Freunde Fred Ballinger (Michael Caine) und Mick Boyle (Harvey Keitel) gemeinsam, manchmal auch gegeneinander um die letzten Werke vor dem Tod, um Vollendung, Höhepunkt und um das, was bleiben und das eigene Leben überdauern soll. Der Streifen mit dieser Interpretation des Themas Alter zwischen Komödie, Tragödie und Bildern, die zum Teil an expressionistisches Kino erinnern, wurde zum besten Europäischen Film 2015 gekürt.

Noch fehlt eine umfassende Untersuchung über das Altersbild in den Medien. Wer genau schaut sich die Altersfilme an? Wie wirken sie auf Jung und Alt? Vielfach zeigen sie noch immer ein verzerrtes Bild vom Alter und Altern. Unsicherheit auf einem bisher weitgehend unbekannten Terrain und langsames Herantasten an ein (neues) Thema - so ließe sich die Situation beschreiben. Aber immer häufiger wagen Filmemacher und Schauspieler, überholte Bilder zur Diskussion und Disposition zu stellen. Diese Aufgabe ist wichtiger denn je und bleibt spannend. Denn schließlich geht es um eine der Universalien der Menschheit, die alle betrifft und gegen die sich niemand wehren kann: das Alter!