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Die Quadratur des Kreises
In den 1970er Jahren entstanden viele der bekanntesten Plattencover aller Zeiten. Geld spielte keine Rolle. Ein Film erzählt die Geschichten ikonischer Platten, die noch immer in Millionen Haushalten gespielt werden.
Auf die Idee, auf dem Cover einer Rockplatte eine Kuh abzubilden, muss man erst mal kommen. Also tatsächlich nur eine Kuh, genauer gesagt ein HolsteinRind, auf einer Weide. Und auf den Namen der Band und des Albums einfach zu verzichten. Als der britische Designer Storm Thorgerson diesen Geistesblitz dem Pink-Floyd-Bassisten Roger Waters unterbreitete, soll der nur entzückt „Fantastisch!“ ausgerufen haben, erinnert sich Aubrey Powell, mit dem Thorgerson damals die DesignAgentur Hipgnosis betrieb.
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Die Verantwortlichen bei Pink Floyds zuständiger Plattenfirma, dem altehrwürdigen Traditionsunternehmen EMI, waren weniger beglückt, genauer gesagt seien die „total ausgeflippt“, sagte Powell später mit breitem Grinsen. Wobei man nicht vergessen sollte, dass Pink Floyd zu Beginn der Siebziger noch weit entfernt waren vom globalen Dark Side of the Moon-Ruhm und sich nicht jeden Irrsinn erlauben konnten. Dennoch setzten sie sich durch mit ihrem „Non-Cover“, wie Aubrey Powell es nannte, weil es nichts über die Musik oder die dafür verantwortlichen Künstler aussagte. Wobei anzumerken wäre, dass hinter der Kuh eine Idee steckte: Hipgnosis hatte sich für das rätselhafte Motiv als Bezug auf den Dada-Künstler Marcel Duchamp entschieden, der Alltägliches gerne mal aus dem Zusammenhang riss, und für Pink Floyd passte es, weil sie Vergnügen daran hatten, sich geheimnisvoll zu geben. Der Erfolg gab ihnen jedenfalls recht: Das Kuh-Album Atom Heart Mother wurde nicht nur ein internationaler Bestseller, sondern bescherte Pink Floyd obendrein ihren ersten Nummer-eins-Triumph in den britischen Charts.
Es konnte nicht verrückt genug sein
Ein Coup, der die Karrieren von Pink Floyd, aber auch die der Design-Firma Hipgnosis beschleunigte. Über Letztere hat der niederländische Starfotograf Anton Corbijn nun die Dokumentation Squaring the Circle produziert. Sehenswert ist sie, weil Corbijn amüsant und informativ eine mythenumrankte, versunkene Welt ausleuchtet: die Musikindustrie der 70er Jahre. Also eine Ära, in der Schallplatten aus Vinyl für märchenhafte Umsätze sorgten, Größenwahn zum guten Ton der Branche gehörte und die so weit zurückzuliegen scheint wie die Kreidezeit. Damals galten Cover noch als unentbehrliche Hilfe für den Erfolg einer Platte, und mit etwas Glück und Geld kam dabei ein Kunstwerk heraus. Insbesondere die beiden Briten Storm Thorgerson und Aubrey Powell setzten Maßstäbe.
Die Jungs von Pink Floyd hatten sie während des gemeinsamen Studiums in Cambridge kennengelernt. Mit den Musikern verband die beiden Designer das unkonventionelle Denken, die Freude am Experiment, aber auch die intellektuelle Vision. Und – sehr wichtig – der Humor. Man muss kein Pink-Floyd-Fan sein, um Spaß an der Geschichte der Cover-Produktion für Animals zu haben. Also Aubrey Powells Erinnerungen daran, wie sich ein mit Helium gefülltes Stoffschwein am Battersea-Kraftwerk in London losriss, davonflog und so weit aufstieg, dass beim Londoner Flughafen Heathrow die Flüge umgeleitet werden mussten. Oder die Geschichte von der Cover-Produktion für die Platte Wings Greatest, für die Paul und Linda McCartney und ein Team von Hipgnosis eine Art-déco-Statue auf der schneeweißen Spitze eines Berges in Zermatt platzierten und fotografierten. Wobei angemerkt werden darf, dass kein Mensch den Unterschied bemerkt hätte, wäre diese Statue in einem Studio in London auf einem Berg von Küchensalz abgelichtet worden. Aber es sind eben Geschichten aus einer Ära, in der Geld und Vernunft keine Rolle spielten.
Der Beginn der Konzeptalben
Heute würden solche Cover am Computer entstehen, was natürlich vernünftig ist, aber eben auch unglamourös. Doch weil verrückte und kostspielige Ideen in den 70er Jahren begehrt waren, lieferten Hipgnosis Cover für Led Zeppelin, Peter Gabriel, T. Rex, Wishbone Ash, 10cc, Paul McCartneys Wings, Genesis, AC/DC, Yes, Alan Parsons Project, Black Sabbath, Pink Floyd und, tja, die Scorpions.
Aubrey Powell, sozusagen der Kronzeuge des Films Squaring the Circle – Storm Thorgerson lebt nicht mehr –, erinnert sich mit ansteckender Freude an den fröhlichen Wahnsinn.
Die Musikindustrie war in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts erwacht und Tonträger zum Massenmedium geworden. Anfangs waren noch Singles das Maß aller Dinge, Alben wurden erst zu Beginn der 50er Jahre relevant. Es waren Künstler wie Frank Sinatra, die die Idee des Konzeptalbums prägten, also einer Sammlung von Songs zu einem Thema über die Distanz einer Langspielplatte. Worum es jeweils ging, machte auch die Plattenhülle klar. So wie bei Sinatras Herzschmerzplatte In the Wee Small Hours. Dessen Karriere schien damals vorüber zu sein, seine Ehe lag in Trümmern, und mit seiner neuen Liebe, der Schauspielerin Ava Gardner, lief es auch nicht rund. Zum Trost nahm er finstere Klagelieder auf: Glad to Be Unhappy, I’ll Never Be the Same oder When Your Lover Has Gone. Das Cover von In the Wee Small Hours zeigt den leidenden Künstler einsam und verlassen auf nachtdunkler Straße mit zerknittertem Gesicht und Zigarette in der Hand. Also der perfekte Soundtrack für die Weltuntergangsmomente im Leben.
Selbst Andy Warhol mischte mit
Cover wurden seit den 50er Jahren zu einem Medium, das ein Multimillionenpublikum erreichte, was es auch für Designer, Fotografen und Illustratoren reizvoll machte. So wie für den Gebrauchsgrafiker Andy Warhol, der in den 50ern noch kein Superstar war und zahlreiche Jazz- und Klassik-Platten gestaltete, die heute gesuchte Sammlerstücke sind. Wie viel Vergnügen ihm das bereitet haben muss, belegt die Tatsache, dass er damit noch weitermachte, als er längst weltberühmt war. Als Klassiker der Popkultur gelten seine Cover für die Rolling Stones (Sticky Fingers – Erstauflage mit echtem Reißverschluss!) und die gelbe Banane für das Debütalbum-Cover von The Velvet Underground.
Seit den 60ern waren aufwendige und durchdachte Cover für jede halbwegs relevante Veröffentlichung selbstverständlich. Egal ob im Jazz, wo innovative Labels wie Blue Note, Verve, CTI oder Impulse Maßstäbe setzten, oder im Rock und Pop, wo die Entwürfe immer spannender wurden. Als ein Beispiel unter vielen dienen mal wieder die Beatles, die auch mit Plattenhüllen Maßstäbe setzten. So wie mit der von ihrem alten Kumpel Klaus Voormann gefertigten Illustration für Revolver, das vom Pop-Art-Meister Peter Blake gezauberte Bild für Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band oder das nahezu radikale Cover für ihr sogenanntes „White Album“, auf dem gar nichts zu sehen war, eine Idee des britischen Künstlers Richard Hamilton.
Cover, die Skandale auslösten
Aber Cover konnten auch politisch sein, hatten Sprengkraft und Konfliktpotenzial. Als Miles Davis 1958 das Covermotiv für sein Album Miles Ahead sah, soll er ausgeflippt sein. Er schimpfte, was ein weißes Model mit Kind auf einem Segelboot mit seiner Musik zu tun haben soll. Die zuständige Plattenfirma ersetzte das Bild mit einem Porträt des streitbaren Trompeten-Genies. Auch Hipgnosis sorgten für ein paar Skandale. Zum Beispiel mit den Scorpions, die bereits mit einer nackten Zehnjährigen auf dem Cover ihres Albums Virgin Killer für Aufregung gesorgt hatten. Vielleicht hatte Storm Thorgerson das im Kopf, als er eine ähnlich kontroverse Idee für ihre Platte Lovedrive hatte, wo ein Mann im Anzug einen Kaugummi von der entblößten Brust einer Frau zieht. „Die Scorpions liebten das Cover. Die christlich-fundamentalen Gruppen in den USA weniger“, erinnerte sich Aubrey Powell.
Mit Punk endete der Größenwahn im Popuniversum. Auch Hipgnosis schien mit dem Beginn der 80er von der Zeit überholt. Die finalen Cover erschienen 1983.
Es passte, dass ein Jahr zuvor die Compact Disc eingeführt worden war, und es war klar, dass aufwendige Cover für winzige Formate ein Witz sind. Mit der Streaming-Kultur dieses Jahrtausends hätte die Geschichte der Plattencover beendet sein können. Zum Glück kam es anders. Auch weil das Vinylalbum nie ganz ausgestorben ist. Bereits die Punk- und New-Wave-Kultur hatte belegt, dass auch ohne großen Etat fabelhafte Plattencover entstehen können. So wie Jamie Reids Grafik für das Debüt der Sex Pistols oder Peter Savilles Design für Joy Divisions Unknown Pleasures, die auf T-Shirts und Tote Bags auch in diesem Jahrtausend weltweite Verbreitung finden. Die Klassiker laufen sowieso immer, so wie Pink Floyds Atom Heart Mother, die bislang mehr als sechs Millionen Mal verkauft wurde. Was sicherlich auch dem Cover zu verdanken ist.
© Stefanie Dallach
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