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Porträt

"Diese Zeit kann man nicht unkommentiert lassen!"

Porträt - "Diese Zeit kann man nicht unkommentiert lassen!"

Der Kabarettist Jochen Malmsheimer will nicht nur erfolgreicher Lachsalven-Initiator sein, sondern auch Denkanstöße liefern.

01.09.2024

Ein Tisch, ein Stuhl, dazu ein bärtiger großer Mann in Karohemd und Lederhose, der aus einer Kladde mit sonorer Stimme Geschichten aus dem Leben wiedergibt. Davor rund 500 Zuschauer in einem Dresdner Theater, die bei jedem Satz in wahre Lachsalven ausbrechen. Wenn Radfahren nur noch in Spezialkleidung geht, "inklusive Gesäßpolster, das wie eine gefüllte Windel das werte Gesäß umhüllt", dann sieht man förmlich, wie Malmsheimer angesichts seines Spiegelbilds vor sich hinmurmelt: "Werbefigur für Knack und Back oder Teigkloß mit Mütze?"


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Wie er den Alltag in witzige Episoden verpackt, ist alles andere als profan. Die Kunst des Zusammenlebens treibt ihn um – auf allen Ebenen, in allen Themengebieten, die das Menschliche bietet. "Keine Kleinigkeit. Und: Die Version 'lapidar', geht bei mir gar nicht." Deshalb bietet er faszinierende Wortungetüme in treffsicherem, fein ziseliertem Pointenschmuck auf und drängelt sich damit zielsicher in die Gedankenwelt seines Publikums. Um Blickachsen zu verändern.

Durch die Augen von Jochen Malmsheimer betrachtet, scheint das Leben in all seinen Facetten – und besonders in krabbelnder Funktionsunterwäsche – urkomisch. Allein mit seiner ausgeprägten Mimik schafft er irrwitzige Szenarien und versetzt sein Publikum in minutenlanges Glucksen, das per se in überbordendem Gelächter endet. So stark, dass er sich dem manchmal selbst nicht entziehen kann…

Der Mann fürs Schräge

Der 63-Jährige ist gelernter Buchhändler, weil er früh das Lesen lieben lernte. In der Buchhandlung Hans Janssen in Bochum, sei er lange für alles Schräge zuständig gewesen, erzählt er. Das zwang ihn, Autoren und Werke abseits vom Mainstream zu studieren – häufig sein abendliches Amüsement in der Eckkneipe. Wirt und Gäste fanden angesichts seiner guten Laune: "Stell die Bücher doch mal für alle vor!"

Kurz darauf ging er mit einem guten Freund als Duo "Tresenlesen" an den Start. Als "literarische Spürhunde" seien sie einmal monatlich aufgetreten "mit herrlichen Texten, ungewöhnlich, witzig, sprachlich relevant – acht Jahr lang, insgesamt über 400 Mal".

Irgendwann sollten es dann aber doch eigene Texte sein. Malmsheimer nutzte das gesammelte Wissen über Literatur, seine sprachliche Kompetenz – "Sprache ist wie Musik ohne Instrumente" – und traute sich als Solist auf die Bühne. Seine Themen fand und findet er im Alltag mit "der Einzigen" und den beiden Kindern – "einfach in dem, was mich täglich anpiekt". Und so analysiert, ja, seziert er Privates wie Gesellschaftliches mit Akribie. "Gerade die Zeitläufte derzeit kann ich nicht unkommentiert lassen. Welchen Wert das für andere hat, sehe ich auf der Bühne."

Und sonst so? Seine Neugier auf die Welt stillte der Kabarettist lange Zeit in einem gemeinsamen Podcast mit einer Astronomin. Mit Professor Dr. Susanne Hüttemeister vom Bochumer Planetarium surfte er "Gemeinsam durch die Galaxis". Alle Fragen, die er schon immer mal loswerden wollte in Sachen Weltall, konnten hier gefragt werden. Reaktionen darauf kamen sogar aus Australien, berichtet er.

"Krrppohr-kriksarrrgh"

Beim Programm in Dresden schwillt die Lautstärke mit jedem Lachen an. Der Mann im Rampenlicht ist eine Naturgewalt. Er schafft es, mit der phonetischen Beschreibung eines Fahrradunfalls eine Lachfalten-Epidemie auszulösen – unterschwellige Erkenntnisgewinne und Seitenhiebe auf menschliche Schrullen wie gesellschaftliche Anomalien inklusive. Bei manchem Besucher enden seine gedanklichen Anstöße auf dem Heimweg in teils hitzigen Diskussionen. "Gut so", findet Jochen Malmsheimer. "Regen Sie sich – nicht auf, sondern er-regen Sie sich."

Außerdem setzt er auf ein wichtiges Wort, das seine Söhne ihn gelehrt haben: "Tschillmadeinlebn", was im Endeffekt auf "Relax!" und "Mehr Toleranz" hinausläuft. Vor allem letzteres findet er besonders wichtig und vertritt das gerne auch mit Vehemenz und erhobener Stimme. "Normal bin ich aber ganz lieb", sagt der Mann mit der Bärenstatur, und schickt ein Lächeln hinterher.

Komik – alle Kassen

In seinem Rotary Club, dem RC Bochum, – seit 2007 ist er Mitglied – versucht der 63-Jährige, die Meetings in seinen Terminkalender zu integrieren. Das klappt selten genug, denn oft muss er gerade dann reisen, wenn sich die anderen 69 Mitglieder treffen. Den Meetingtag Montag hält er zudem "für den verwarztesten Tag ever", grantelt der Muffel-Wochenstarter gern.

Jochen Malmsheimer unterstützt bei Rotary vor allem den Einsatz für Menschenrechte, Gesundheit, Bildung und die Kooperation mit Shelterbox. Aber im blauen Goldknopf-Zweireiher und Pennyloafern am Kamin sitzen? Da engagiert er sich doch lieber für den Bau von Zisternen in Afrika, die sein Club fördert. Und klar, ab und zu hat er auch schon als Kabarettist einen Veranstaltungspart gehabt. "Komik – alle Kassen, einziges Mitglied der Mundwerkskammer zu Bochum" steht schließlich im MGV als Berufsbezeichnung. Wichtiger ist ihm aber die Wahrnehmung als zivilisierter Erdenbewohner: "Was der Menschheit fehlt, ist – anstelle des alltäglichen Irrwitzes – Güte, Freundlichkeit, Zutrauen, Demut. Das stünde uns allen gut."


Jochen Malmsheimer (RC Bochum), geboren 1961, lebt in Bochum. Das Studium der Germanistik und Geschichte brach er zugunsten einer Lehre im Buchhandel ab. Bühnenerfahrung mit der Bluesband Vatermörder, ab 1992 Teil des Duos "Tresenlesen". Seit 2000 Solokarriere als Kabarettist. Bekannt aus "Neues aus der Anstalt". Er ist verheiratet, zwei Söhne. Er erhielt zahlreiche Preise und schuf mit dem epischen Kabarett eine neue Kunstform. Zuletzt erschien von ihm "Gedrängte Wochenübersicht: Ein Vademecum der guten Laune".