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500 Jahre Reformation

„Ein bleibender Auftrag“

In wenigen Tagen, am 31. Oktober, feiern die Protestanten den 500. Jahrestag der Reformation. Ein Gespräch mit Altbischof Wolfgang Huber, der in seiner Zeit als Ratsvorsitzender der EKD die Lutherdekade initiierte, in der sich die evangelische Kirche langfristig auf das Jubiläum vorbereitete.

01.10.2017


Prof. Dr. Wolfgang Huber,  RC Berlin-Kurfürstendamm und RC Brandenburg/Havel, war von 1994 bis 2009 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und von 2003 bis 2009 Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Er ist heute u.a. Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Garnisonkirche Potsdam und Dechant des Domstifts Brandenburg/Havel. Zuletzt erschien „Glaubensfragen. Eine evangelische Orientierung“ (C.H.Beck, 2017).
 


 

Herr Huber, wie lautet Ihr Fazit der vergangenen zehn Jahre?
Es gab damals eine ganze Reihe von Gründen, warum wir mit den Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum so früh begonnen haben. Einer davon war das Zusammenwirken mit dem Staat.
So trat der damalige Ministerpräsident Wolfgang Böhmer mit dem Vorhaben an uns heran, die Lutherstätten in Sachsen-Anhalt zum Jubiläum instand zu setzen. Ich war dafür sehr dankbar; mir lag aber zugleich daran, das Jubiläum mit Inhalten zu verbinden, das Wissen über die Reformation in unserer Gesellschaft zu erneuern und zu vertiefen sowie zugleich zu fragen, was Reformation für die Gegenwart bedeutet. Deshalb haben wir die Luther-Dekade im September 2008, 500 Jahre nach Luthers Ankunft in Wittenberg, begonnen.
Es gab damals nicht wenige, die bezweifelten, dass man ein Thema überhaupt über eine so lange Zeit strecken kann. Heute können wir feststellen, dass uns das gelungen ist.

Welche Akzente konnte die Kirche durch die Lutherdekade setzen?
Um verschiedene Akzente setzen zu können, hatten wir die einzelnen Jahre jeweils unter ein Motto gestellt. Ein Durchbruch war zum Beispiel das Thema „Reformation und Musik“ im Jahre 2012. Da gab es ein Projekt, das hieß – weil es ein Schaltjahr war – „366+1“: An jedem Tag des Jahres gab es an irgendeinem Ort zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen eine herausgehobene kirchenmusikalische Veranstaltung. Das machte deutlich, dass die evangelische Kirche eine singende Kirche ist, und dass Musik bis heute eine zentrale Ausdrucksform des christlichen Glaubens ist.
Ein zweites Beispiel ist das Themenjahr 2016 „Reformation und eine Welt“. Es hat uns daran erinnert, dass die Reformation nicht nur in Deutschland stattfand, sondern eine den Globus umspannende Bewegung geworden ist.
Ich wurde im Verlaufe jenes Jahres und auch danach in zahlreiche Länder zu Veranstaltungen eingeladen und war beeindruckt davon, wie zum Beispiel in Taiwan, Neuseeland oder Südafrika 500 Jahre Reformation gefeiert wird.
Die Reformation fand eben nicht nur in Wittenberg statt, sie war von Beginn an ein internationales Ereignis. So sind zum Beispiel Luthers Texte sofort ins Französische und in andere Sprachen übersetzt worden.

Der Bedeutung in der Welt steht gegenüber, dass gerade das Kernland der Reformation heute zu den am wenigsten religiösen Gebieten der Welt gezählt wird.
Das stimmt, und mit dieser Realität setzen wir uns auch auseinander. Umso wichtiger ist es, dass trotzdem die Tradition nicht abgebrochen ist. Wittenberg heißt bis heute Lutherstadt. Diese Stadt, in der nur 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung Christen sind, ist gleichwohl von der reformatorischen Tradition geprägt. Natürlich hoffe ich, dass durch die Erinnerung an die Reformation ein Bildungsprozess in Gang kommt, dass der Anstoß auch darüber hinaus reicht und die Menschen sich aufs neue mit dem christlichen Glauben beschäftigen; denn die Menschen sollen nicht länger denken, weil sie religionslos aufgewachsen sind, sei dies ein unumstößliches Gesetz für ihr ganzes Leben.
Deshalb hoffe ich, dass dieser Aufbruch, für den man durchaus das große Wort „missionarisch“ verwenden muss, über das Jahr 2017 hinausreicht. Mit diesem Ziel habe ich bereits in meiner Zeit als Ratsvorsitzender einen Reformprozess in der evangelischen Kirche in Gang gesetzt, zu dem die Orientierung zu den Menschen hin gehört, die den Kontakt zum christlichen Glauben verloren haben.

Ein Höhepunkt des Jubiläumsjahres sollte der Kirchentag sein. Das öffentliche Fazit dazu war jedoch eher reserviert. Manche Medien sprachen gar von der „Pleite des Jahres“. Woran lag das?
Mein Eindruck ist, dass manche Akteure im kirchlichen Bereich oder im Bereich des Kirchentags – was durchaus zu unterscheiden ist – durch unvorsichtige Ankündigungen Erwartungen geweckt haben, die nicht erfüllbar waren. Wenn zum Beispiel 106.000 Dauerteilnehmer zu einem Kirchentag in Berlin und Wittenberg kommen, muss man sich dessen überhaupt nicht schämen.
Welche andere Großveranstaltung in unserer Gesellschaft bindet über fünf Tage mehr als 100.000 Menschen? Die Tagesteilnehmer kommen jeweils noch hinzu. Und wenn sich 60.000 Menschen auf der Elbaue in Wittenberg zu einem Gottesdienst versammeln, ist auch das ein eindrucksvolles Ergebnis. Nur, wenn man vorher gesagt hat, dass über 100.000 Menschen nach Wittenberg und mehr als 150.000 nach Berlin kommen werden, heißt es, dass wir hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind.
Etwas anders sehe ich das bei den vielen Einzelveranstaltungen während des „Reformationssommers“. Ich habe den Eindruck, dass zu vielerlei geplant wurde und zu wenig erkennbare Konzentration gelungen ist.

Inwiefern?
Ich meine damit nicht die zahlreichen lokalen Veranstaltungen, die in unzähligen Orten für die Menschen dieser Orte ausgerichtet wurden. In Falkensee bei Berlin habe ich zum Beispiel eine Ausstellung unter dem Namen „Einkehr und Aufruhr“ eröffnet, bei der einige Künstler sich die Aufgabe gestellt haben, die Reformation zeitgenössisch zu reflektieren. Die städtische Galerie war bei der Eröffnung völlig überfüllt, und die gezeigten Werke waren thematisch wie künstlerisch eindrucksvoll. Das ist ein Beispiel dafür, dass die lokal verankerten Veranstaltungen zum Reformationsjubiläum ein zentraler Bestandteil dieses Jubiläums sind, der in den generellen Beurteilungen nicht angemessen gewürdigt wird.
Kritisch sehe ich jedoch das Vielerlei in dem überregionalen Angebot, wie es sich vor allem in Wittenberg, aber nicht nur dort niedergeschlagen hat. Man hatte als Besucher das Gefühl, mindestens eine ganze Woche bleiben zu müssen, um sich auch nur einen Überblick verschaffen zu können. Und wir müssen auch die Frage stellen, ob es eine kluge Idee war, gleich drei nationale Ausstellungen zu veranstalten, oder ob nicht eine doch besser gewesen wäre.

Gibt es Dinge, bei denen Sie sagen, da hätten wir als Kirche mehr erreichen können?
Meiner Meinung nach ist es uns gerade im Jubiläumsjahr 2017 zu wenig geglückt, den Kern der Reformation und ihre bleibende religiöse und geistliche, spirituelle Bedeutung für das 21. Jahrhundert gebührend hervorzuheben.
Es fehlte ein verbindendes Thema. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat das Jahr des Reformationsjubiläums unter das Thema „Gott neu vertrauen“ gestellt, während das Motto des Kirchentags hieß:„Gott sieht dich“.
Nach meiner Auffassung wäre es im Jahr 2017 an der Zeit gewesen, selbstbewusst und zuversichtlich von der Freiheit eines Christenmenschen zu sprechen; denn die Freiheit aus Glauben bildet eine Dimension der Freiheit, die wir gerade im 21. Jahrhundert brauchen. Wir produzieren unsere Freiheit nicht selbst; und sie ist nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln. Sie ist uns anvertraut, damit wir sie bewahren und verantwortlich gebrauchen. Dieser Ton könnte auch jetzt noch, zum Ende des Jubiläumsjahres, kraftvoll zum Ausdruck kommen.

500 Jahre Reformation bedeuten auch 500 Jahre Teilung der abendländischen Christenheit. Wie ist
die katholische Kirche mit dem Jubiläum umgegangen?
Auf katholischer Seite gab es zunächst eine deutliche Zurückhaltung, nach dem Motto: Da gibt es doch nichts zu feiern, wir erinnern uns an die Glaubensspaltung als Folge der Reformation. Wir haben dann die Hoffnung ausgesprochen dass es uns gelingt, die Gründe und Folgen der Reformation gemeinsam zu beschreiben. Dass wir jetzt ein ökumenisches Reformationsgedenken begehen, ist ein großer Schritt, auch wenn ich mir weitere Schritte darüber hinaus erhoffe. Für viele Menschen, zum Beispiel in den ökumenischen Familien, ist dabei die wechselseitige Gastbereitschaft im Abendmahl ein Punkt von großer symbolischer Bedeutung.  

Auffallend war, dass sich die Kirche während der gesamten Lutherdekade sehr schwer tat mit der Person des Reformators. Anders als bei früheren Jubiläen wurden zum Beispiel die Aussagen Martin Luthers zu den Juden oder über die aufständischen Bauern nicht ausgeklammert. Dafür kam der Reformator als Mensch kaum vor, es wirkte fast so, als wollte die Kirche den 500. Jahrestag der Reformation ohne Luther feiern.
Richtig ist, dass sowohl die Kirche als auch die zahlreichen Publikationen zum Reformationsjahr sich mit dem Reformator sehr kritisch auseinandergesetzt haben, und das ist gut so. Es hat keinen Sinn, Luther gewissermaßen heilig zu sprechen unter Absehen von seinen Schattenseiten. Frühere Generationen haben das so gemacht. Sie haben Luther zum „deutschen Reformator“ erklärt, zum „Helden deutschen Glaubens“ usw. Davon mussten wir gründlich Abstand nehmen, und wir haben sogar ein Themenjahr den „Schattenseiten der Reformation“ gewidmet.
Andererseits erwartet die innerkirchliche wie die außerkirchliche Öffentlichkeit zu Recht, dass die evangelische Kirche nach einer ehrlichen Auseinandersetzung mit den problematischen Facetten Luthers auch imstande ist, in unsere Zeit hinein zu sagen, was das bleibend Wichtige der Reformation Martin Luthers ist. Und das ist, wie ich vorhin gesagt habe, die Freiheit eines Christenmenschen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass auch die anderen Köpfe der Reformation berücksichtigt worden wären, um zu betonen, dass die Reformation von Beginn an eine breite Bewegung war. Philipp Melanchthon hätte stärker gewürdigt werden können, die Schweizer haben immer zu Recht an die Bedeutung Calvins und Zwinglis erinnert, und auch die Frauen der Reformation hätten eine Würdigung verdient gehabt.

Stört es Sie eigentlich, dass das kommerziell erfolgreichste Produkt zum Reformationsjubiläum die Luther-Figur von Playmobil geworden ist?
Ich sage überhaupt nichts gegen den Playmobil-Luther als solchen. Ich freue mich auch, dass meine Enkelkinder damit einen zusätzlichen Anlass haben, an dieses Thema herangeführt zu werden. Wir sollten jedoch nicht den Eindruck erwecken, der Playmobil- Luther sei das wichtigste Ereignis des Reformationsjubiläums.
Stattdessen hätte ich mir etwas mehr Wirbel um die neue Lutherbibel gewünscht. Wir haben gezeigt, dass Luthers Bibelübersetzung nicht nur in der Vergangenheit die deutsche Sprache geprägt hat, sondern auch für heute und morgen eine sprachkräftige Vergegenwärtigung der Bibel ist. Das ist ein außerordentlich wichtiges und beeindruckendes Resultat des Reformationsjubiläums. Dieser revidierte Text ist besser als sein Vorgänger. Deswegen wünsche ich mir, dass diese Bibel in mindestens so vielen Exemplaren verbreitet wird wie der Playmobil-Luther.

Ist die neue Bibel ein Beleg dafür, dass sich die Kirche mit der Sprache Luthers auch wieder seinem Denken angenähert hat?
Die Frage ist sehr interessant. Als wir die Überarbeitung der vorherigen Revision aus dem Jahre 1984 in Auftrag gegeben hatten, haben wir nicht den Auftrag erteilt, stärker zum ursprünglichen Text zurückzukehren. Der Auftrag hieß: Seht nach, was revisionsbedürftig ist. Daraufhin haben uns Wissenschaftler darauf verwiesen, dass die Lutherbibel in ihrer bisherigen Form an wichtigen Stellen nicht dem heutigen Stand der Wissenschaft entsprach. Zudem zeigte sich beim Vergleich mit den ursprünglichen Formulierungen Luthers, dass diese oft kraftvoller, bildhafter und präziser sind als das, was die letzten Revisionen daraus gemacht hatten. Deshalb hat man sich dazu entschlossen, wieder stärker zur ursprünglichen Luthersprache zurückzukehren.
Dass Luthers eigene Arbeit auch nach 500 Jahren so kraftvoll, so inspirierend und so weiterführend ist, ist beeindruckend. Es kann, wie Sie sagen, der Kirche dabei helfen, dass sie sich wieder stärker im Sinn Luthers auf den Kern ihres Auftrags und ihrer Botschaft besinnt und dies verbindet mit einer Öffnung hin zu den Menschen, denen diese Botschaft fremd geworden ist.

Was wird bleiben von der Lutherdekade – für die evangelische Kirche wie für die Gesellschaft um sie herum?
Es bleibt, dass die Reformation ein Ausdruck des christlichen Glaubens nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für Gegenwart und Zukunft ist. Es bleibt auch, dass die bleibenden Zeugnisse des Jubiläums – von der Renovierung der Wittenberger Schlosskirche bis zur Revision der Lutherbibel – Symbole dafür sind, dass Reformation nicht nur ein Erbe ist, sondern auch ein Auftrag.

Das Gespräch führte René Nehring.


 

Höhepunkte des Gedenkjahres

Deutschlandweit werden derzeit Martin Luther, seine Weggefährten und die Folgen der Reformation in Sonderausstellungen thematisiert. Eine Auswahl

foto: PR

Luther, Kolumbus und die Folgen. Welt im Wandel
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg foto: PR

 

 

 

 

Zeit des Umbruchs
Welche Folgen hatte die Reformation für die Gesellschaft, für Europa im 16. Jahrhundert? Die Sonderausstellung „Luther, Kolumbus und die Folgen. Welt im Wandel“ wirft spannende Blicke auf eine Zeit, in der ein Mönch aus dem Mansfelder Land, ein Astronom aus Thorn und ein Seefahrer aus Genua die Welt für immer veränderten. Zu sehen sind u.a. „Behaims Erdapfel“ – der älteste Globus der Welt –, historische Gemälde und ein Autograph von Christopher Kolumbus. Noch bis zum 12. November 2017.
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-21 Uhr. 

foto: PR

Geld. Macht. Glaube – Reformation und wirtschaftliches Leben
Europäisches Hansemuseum Lübeck

 

 

 

Reformation und Wirtschaft
„Geld. Macht. Glaube – Reformation und wirtschaftliches Leben“ greift die ökonomischen Aspekte der Glaubensspaltung auf und widmet sich mit ausgewählten Exponaten und Schautafeln einem bislang wenig betrachteten Teil der Geschichte – den Konsequenzen der Reformation für das europäische Wirtschaftsleben. Noch bis zum 26. November 2017.
Öffnungszeiten: Täglich 10-18 Uhr.
hansemuseum.eu

foto: PR

Dialog der Konfessionen. Bischof Julius Pflug und die Reformation
Museum Schloss Moritzburg u.a. Zeitz

 

 

 

Schatzkammer einer Epoche
Julius Pflug war einer der bedeutendsten Kirchenmänner seiner Zeit. Er war Ratgeber und Diplomat am Dresdner Hof, wurde von Kaiser Karl V. und der päpstlichen Kurie für die Verhandlung mit der evangelischen Seite eingesetzt und war letzter katholischer Bischof von Naumburg. Pflugs Bibliothek gehört europaweit zu den wenigen erhaltenen Privatbibliotheken des Reformationszeitalters. Die Ausstellung in Zeitz zeigt u.a. einen Originaldruck der Lutherthesen und den reichen Bücherschatz Pflugs. Ausstellungsorte sind das Museum Schloss Moritzburg, die Stiftungsbibliothek im Torhaus des Schlosses sowie der Dom St. Peter und Paul. Bis 1. November 2017.  
Öffnungszeiten: Mo-So 10-18 Uhr.
reformation-zeitz2017.de