Über die Herausforderung, Wagner zeitgemäß zu inszenieren
„Ein unendlicher Symbolkosmos“
Wagner-Szenen: Seit mehr als anderthalb Jahrhunderten interpretieren Dirigenten und Bühnenregisseure die Musikdramen Richard Wagners für ihre jeweilige Zeit. Vor allem in Bayreuth wurde immer wieder mit dem Werk des Meisters gerungen. Unsere kleine Bildergalerie zeigt einige legendäre Inszenierungen aus den letzten Jahrzehnten.
Anlässlich des Jubiläums sind diverse CDs und DVDs erschienen, hier finden Sie eine kleine Auswahl zum Hineinhorchen.
Unter den zahlreichen aktuellen Wagner-Inszenierungen ragt der Zyklus RING Halle Ludwigshafen heraus: vier Opern, zwei Häuser – ein Projekt. Ein Gespräch mit dem musikalischen Leiter und dem Intendanten.
Herr Steffens, Herr Kaufmann, sind Jubiläen wie der 200. Geburtstag Richard Wagners eher Lust oder Last?
KAUFMANN: Natürlich kann es auch zu einer Last werden, wenn zu bestimmten Jahrestagen die Erwartungen hoch und die Chancen auf eine adäquate Würdigung des Jubilars gering sind. Um so wichtiger ist es, mit jeder Inszenierung eigene Akzente zu setzen. Bei unserem „RING Halle Ludwigshafen“ bot sich die Möglichkeit, eine besondere Inszenierung des Gesamtwerks zu entwickeln: die Partnerschaft zwischen einem in vollem Spielbetrieb stehenden Opernhaus in Halle auf der einen Seite und der traditionsreichen Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, dazu dem operntauglichen Theater im Pfalzbau und dem ihm vorstehenden Regie-Altmeister Hansgünther Heyme auf der anderen Seite. Dass die Institution und Orte von Karl-Heinz Steffens, dem umtriebigen Musikalischen Leiter und Generalmusikdirektor beider Orte und Orchester, zu dieser Kooperation zusammengebracht wurden, ist die einzigartige Ausgangslage für einen ganz besonderen Geburtstagsgruß an Richard Wagner.
Nun wird der „Ring“ regelmäßig irgendwo immer wieder aufgeführt. Wie kann man da noch Akzente setzen?
STEFFENS: Wir sind in Ludwigshafen natürlich keines dieser großen Häuser mit einer jahrzehntelangen Wagnertradition. Aber wir sind ein bisschen das, was man in New York als eine „Off-Broadway-Produktion“ bezeichnet, eine interessante Aufführung für Kenner und Liebhaber jenseits des Mainstreams. So haben wir in den letzten Jahren bereits alle vier „Ring“-Opern auf die Bühne gebracht und konnten dabei durchaus auch ein eigenes Profil entwickeln.
Wie lässt sich dieses Profil beschreiben?
STEFFENS: Ich glaube, dass es unser Regisseur Hansgünther Heyme geschafft hat, diese Stücke modern, fasslich zu inszenieren, ohne irgendjemandem irgendetwas beweisen zu müssen. Unter anderem versteht man tatsächlich, was auf der Bühne stattfindet. Das finde ich immer sehr wichtig. Meine Aufgabe ist es natürlich, dafür zu sorgen, dass die Orchester gut klingen, und dass sie konkurrieren können mit den großen Opernhäusern.
KAUFMANN: Das, was die Menschen als markant empfinden, ist ja schwer zu sagen. Für mich ist dieses „Ring“-Projekt besonders, weil man auf überraschende Gegenüberstellungen von Bildern trifft: Bildern, die das Fantasie- und Märchenhafte zeigen und Bildern, die Versatzstücken unseres heutigen Lebensalltags sind. Es entsteht eine sich beständig verändernde Ferne-Nähe-Beziehung zwischen Handlung und Zuschauer, die fasziniert und teilweise auch überrascht.
Muss eine Aufführung jenseits der klassischen Wagner-„Hochburgen“ einen besonderen Ansatz bieten, um in unserer sehr auf mediale Präsenz fixierten Zeit wahrgenommen zu werden?
KAUFMANN: Ich finde, man muss immer einen eigenständigen, überzeugenden Kern finden für ein Projekt. Bei unserem „Ring“ ist das neben der „Ost-West-Konstellation“ der Einfluss der sogenannten Rahmenprogramme auf die Opern selbst. Dass es zum Beispiel bei „Siegfried ohne Worte“ eine Zusammenarbeit mit Musikschülern gibt, dass unser Rheinland-Pfälzer Orchester mit Kindern und Jugendlichen des Jungen-Spiel-Theaters Ludwigshafen als Gegenpol zum „Ring“ eine Produktion der „Dreigroschenoper“ auf die Beine stellt, zeigt, wie man auch mit einem vermeintlich elitären Projekt wie dem „Ring“ kulturelle Arbeit in der Breite machen kann.
Welche musikalischen Akzente setzen Sie?
STEFFENS: Mir ist in jedem Falle wichtig, dass es uns gelingt, die in der Partitur fixierten Klangfarben in all ihrer Facettenartigkeit zu zeigen. Und mir ist wichtig, dass die Musik nicht in ein endloses Geschrei und Gebrüll auf der Bühne ausartet, wo zum Beispiel irgendwelche hochgezüchteten „Wagnersänger“ gegen ein hochgezüchtetes „Wagnerorchester“ anbrüllen müssen. Bei mir muss man jedes Wort auf der Bühne verstehen können. Deswegen muss das Orchester entsprechend fein abgestuft sein, damit man die eigentliche Idee des Musiktheaters – die von Wagner angestrebte Mischung aus Wort und Musik – auch versteht.
Was fasziniert Sie persönlich an Wagners Werken?
STEFFENS: Neben dieser wunderbaren Synthese aus Wort und Ton sind es vor allem diese unendlichen Klangfarben, diese vielen Verquickungen von dem, was der Sänger sagt und wie es sich in der Musik widerspiegelt. Als Dirigent ein so unglaublich differenziertes Orchester vor sich zu haben – die Wagner-Partitur ist ja extrem ausdifferenziert in allen Details –, das zu erarbeiten und zu realisieren, das macht die Faszination für Wagner aus.
Sie haben einmal gesagt, dass es heutzutage nicht leicht ist, Sänger für die großen Wagnerrollen zu finden. Warum?
STEFFENS: Das liegt zunächst einmal daran, dass es heute so viele Wagner-Inszenierungen gibt, die Künstler jedoch, die das singen können, nicht mehr werden. Zweitens ist es so, dass viele Sänger zu früh anfangen, die großen Partien zu singen, und dass ihnen ein gewisser Reifegrad, den es noch vor fünfzig, sechzig, siebzig Jahren gegeben hat, kaum mehr zugestanden wird. Da werden junge Sänger schon nach einigen schönen Partien ins kalte Wasser geworfen und groß vermarktet – doch nach zwei, drei Jahren ist schon wieder Schluss, weil die Stimme am Ende ist. Gerade die dramatischen Frauenstimmen entwickeln sich ja erst, wenn sie dreißig, fünfunddreißig, vierzig Jahre alt sind. Doch diese Zeit wird heutzutage oft nicht mehr gewährt. Insofern ist es nicht immer leicht, die großen Partien zu besetzen.
Welche Herausforderungen stellt Wagner an die Ausdrucksfähigkeit der Künstler?
STEFFENS: Wagner hat mit seiner Synthese aus Theater- und Musikstück ein neues Genre geschaffen: das Musikdrama. Hier gibt es nicht mehr die klassische Abfolge aus Arie, Rezitativen usw. Man muss durchgehend auf hohem Niveau präsent sein. Zudem sind bei Wagner die Charaktere mit einem ganz speziellen Ausdrucksspektrum verbunden, das man mehr aus dem Theaterstück kennt. Wagner erwartet von seinen Sängern die gleiche Ausdrucksfähigkeit wie von einem Schauspieler. Dies ist natürlich eine ganz große Herausforderung für die Künstler, die ja vor allem als Sänger ausgebildet sind.
Worin liegt die andauernde Aktualität und Modernität Wagners? Und warum ist das Publikum bis heute dermaßen von seinen Werken begeistert?
KAUFMANN: Ich glaube, dies hängt sehr mit dem kontroversen Potenzial zusammen, das in ihm steckt. Wenn Sie das Wort „Wagner“ nur erwähnen, stoßen Sie von glühender Begeisterung bis zum abgrundtiefen Hass auf alle möglichen Reaktionen. In diesem Spannungsfeld entsteht eine dauernde Faszination. Das Wagnersche Werk ist kein repertoire-artiges Schatzkästlein fürs Museum, deshalb fängt die Provokation bei Wagner immer wieder von vorn an und es gibt eben – über die Jahrzehnte – immer wieder neue Fragezeichen.
STEFFENS: Wagner hat in seinen Opern eine Welt geschaffen, die – aus der Faszination des 19. Jahrhunderts für diese Zeit heraus – zeitlich zwar vormittelalterlich angesiedelt, jedoch bis heute aktuell ist: Wotan und die Götter bilden zum Beispiel eine Kaste, und zwar die obere. Dann gibt es eine mittlere Ebene von Halbgöttern, etwa im „Rheingold“ die Riesen, die Wotan seine Burg bauen. Und dann gibt es unterirdisch die Nibelungen, die hart arbeiten müssen und geknechtet werden. Dahinter steckt ja eine fast schon Marxsche Idee von oben und unten. So können Sie in diesen symbolisierten, mystifizierten Bildern die Welt um uns herum im Alltag wiederfinden. Nicht zuletzt stecken auch all die Brüche, die unsere Welt seit dem 19. Jahrhundert erfahren hat, bereits in den Wagnerschen Stücken drin. Und deshalb ist es auch legitim, wenn die eine Inszenierung eher aktueller ist und die andere märchenhafter und eine dritte vielleicht wiederum völlig abstrakt. Es gibt einfach so unendlich viele Möglichkeiten, diesen Symbolkosmos, den Wagner entwickelt hat, auszufüllen. Das ist das Tolle daran!
Personen und Projekt
Ein gesamtdeutscher „Ring“
Karl-Heinz Steffens war bis 2007 Solo-Klarinettist der Berliner Philharmoniker und wurde 2008 Generalmusikdirektor der Staatskapelle und künstlerischer Direktor des Opernhauses Halle. Daneben ist Karl-Heinz Steffens seit August 2009 Chefdirigent und Generalmusikdirektor der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen.
Im Rahmen des RING Halle Ludwigshafen haben die vier „Ring“-Opern Richard Wagners – „Das Rheingold“, „Die Walküren“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ – jeweils abwechselnd in beiden Städten Premiere und werden danach auf diesen Bühnen im Zyklus aufgeführt. Die nächsten Aufführungen finden vom 21. bis 27. April im Theater im Pfalzbau Ludwigshafen statt.