Das Konzil von Konstanz
Ein Weltereignis des Mittelalters
Das Konzil von Konstanz 1414?bis?1418 war eines der prägendsten Ereignisse in der Geschichte des Abendlands. Eine Ausstellung in der Bodenseestadt erinnert daran. Von Jürgen Hoeren
Es war ein Großereignis, das die rund 6000 Konstanzer Bürger so nicht erwartet hatten. Aus Konstantinopel, aus Lissabon, Uppsala und Damaskus, ja sogar aus Äthiopien reisten Bischöfe, Kardinäle, Theologen, Fürsten und Gesandte an, um 1414 am Konzil in Konstanz teilzunehmen. Es war das erste Konzil nördlich der Alpen – und für die strategisch günstig gelegene Bischofstadt Konstanz eigentlich eine Überforderung, denn es waren durchschnittlich 22.000 Gäste unterzubringen und zu versorgen. Das gesamte Umland, vor allem die vielen Klöster waren gefordert, Gäste aufzunehmen. Die Stadt warb über 200 Brotbäcker, 225 Schneider, 310 Barbiere und 700 Hübschlerinnen an. Und ein großes Geschäft machten die 1.700 Schreiber. Alle wichtigen Texte, Predigten und Beschlüsse mussten in vielfacher Ausfertigung handschriftlich kopiert werden.
Machtpolitisch und theologisch hatte das Konzil eine Mammutaufgabe zu lösen. Seit 1409 gab es drei Päpste – Gregor XII. (in Rom), Benedikt XIII. (in Avignon) und Johannes XXIII. (in Pisa). Der 1410 zum römisch-deutschen König gewählte Sigismund wollte dieses Schisma, die Spaltung der Christenheit in drei Fraktionen, überwinden – nicht ohne Eigennutz, denn es war sein Ziel, von einem rechtmäßigen Papst, von dem alleinigen Oberhaupt der Christenheit zum Kaiser gekrönt zu werden. Er startete daher eine diplomatische Offensive und versuchte, den greisen Gregor XII. ebenso zum freiwilligen Amtsverzicht zu bewegen wie den Spanier Benedikt XIII. Vergeblich! Johannes XXIII. zeigte sich am ehesten verhandlungsbereit. Im norditalienischen Lodi einigten sich Sigismund und Johannes nach mehrwöchigen Verhandlungen auf den Konzilsort Konstanz und den Beginn der Kirchenversammlung – gemeinsam luden sie im Oktober 1413 für den 1. November 1414 zum Konzil am Bodensee ein. Sie rechneten mit einer Beratungszeit von maximal vier bis fünf Monaten – doch daraus wurden vier lange Jahre.
Risse im traditionellen Wertegefüge
Wie sollte man es schaffen, aus drei Päpsten einen zu machen? Französische und italienische Theologen zerbrachen sich darüber die Köpfe, während der unbequeme Prediger und Professor Jan Hus aus Prag die hierarchische Struktur der Kirche gänzlich infrage stellte. Hus sah die Päpste und Bischöfe, die Kardinäle und Prälaten in ihrer Machtfülle, ihrem Reichtum und ihrem Lebenswandel nicht mehr in der Nachfolge des Evangeliums und seines Stifters Jesus Christus. Die Unruhe unter den Priestern und den Gemeinden wuchs. Das traditionelle Wertegefüge – die Verbindung von weltlicher und geistlicher Macht zeigte Risse. Es waren die französischen Theologen Gerson und D’Ailly, die dem Konzil einen genialen und gleichzeitig revolutionären Schachzug vorschlugen: „Das Konzil steht über dem Papst.“ Nicht mehr und nicht weniger als ein Ende der päpstlichen Omnipotenz!
Als Johannes XXIII., der als einziger Papst mit viel Pomp in Konstanz eingezogen war, von diesen Reformplänen hörte, wurde ihm klar, er würde in Konstanz nicht erreichen, was er anstrebte – als alleiniger Pontifex bestätigt zu werden. Er war aber nicht gewillt, sich degradieren zu lassen. Daher versuchte er, heimlich, mit der päpstlichen Kasse natürlich, als Knappe verkleidet, die Stadt zu verlassen, zu fliehen. Er kam bis Breisach, wurde dort festgenommen, nach Konstanz gebracht und von Kaiser Sigismund und der Konzilsversammlung zu Kerkerhaft verurteilt.
Durch seine Flucht hatte Johannes XXIII. den Boden dafür geschaffen, dass sich das Konzil – Kardinäle, Bischöfe, König und Fürsten, geistliche und weltliche Macht darauf einigten, dass künftig das Konzil über dem Papst steht. Das von ihnen beschlossene Dokument „Haec sancta…“ spielt bis heute in der kontroversen theologischen Diskussion über die Unfehlbarkeit des Papstes eine zentrale Rolle.
Der Fall Jan Hus
König Sigismund hatte eine wichtige Etappe erreicht. Aber da war noch der „Unruhestifter“ Jan Hus, der nach Konstanz gekommen war, um seine unbequemen Thesen zu erläutern und zu verteidigen. Sigismund hatte ihm freies Geleit versprochen. Freunde hatten Hus davor gewarnt, dem König zu vertrauen. Schon bald nach seiner Ankunft in Konstanz wurde er festgesetzt. Der König wollte den Fall Hus rasch erledigen – die Papstfrage schien ihm viel wichtiger. Er riet Hus, seine Thesen zu widerrufen. Denn sollte Hus vom Konzil als Ketzer verurteilt werden, könne er ihn nicht schützen. Hus bekam keine Gelegenheit zu einer argumentativen Diskussion und Darlegung seiner Thesen. Man schrie ihn einfach nieder. Man wollte nicht hören, dass „es ein Irrtum ist, anstatt an Gott an die Kirche zu glauben oder die Meinung zu vertreten, man müsse den geistlichen und weltlichen Herren immer Gehorsam leisten“.
„Päpste haben nachweislich geirrt“, so Hus. Für den König und die Kardinäle eine Provokation. Sie wollten an ihren Privilegien nicht rütteln lassen. Man machte Jan Hus einen kurzen Prozess. Am 6. Juli 1415 wurden im Konstanzer Münster 30 seiner ketzerischen Thesen verlesen. Man verurteilte ihn als Häretiker, belegte ihn mit dem Kirchenbann, übergab ihn der weltlichen Macht, die ihn verbrannte und seine Asche in den Rhein streute. Erst seit 1863 erinnert man, gegen den erbitterten Widerstand der katholischen Geistlichkeit, mit einem Gedenkstein an die Hinrichtungsstelle. Noch 1863 hörte man in Konstanz – so in der Chronik der Stadt –, Hus habe die sonderbarsten und gefährlichsten Behauptungen aufgestellt, „die man auch gegen die weltliche Macht des Kaisers und jedes Fürsten habe missdeuten und missbrauchen können“. Deshalb habe er „nach den damaligen Gesetzen hingerichtet werden müssen“.
Heute setzt man sich in anderer Weise mit dem einstigen Kritiker auseinander. Im Konstanzer Hus-Haus ist eine äußerst beeindruckende und informative Ausstellung über den weitblickenden Mahner zu sehen.
Ein neuer Papst
König Sigismund begab sich nach dem Hus-Prozess auf eine anderthalbjährige diplomatische Reise, um vor allem den in Spanien residierenden Benedikt XIII. zur Abdankung zu bewegen. Gregor XII. in Rom hatte diesen Schritt mittlerweile vollzogen. Den Spanier konnte Sigismund allerdings nicht zum Amtsverzicht bewegen, wohl aber erreichte er, dass die spanische Krone Benedikt XIII. seine Unterstützung entzog. Mit Zustimmung der spanischen Kardinäle und Delegierten wurde in Konstanz nun auch Benedikt XIII. für abgesetzt erklärt. Endlich konnte ein neuer Papst gewählt werden.
Am 8. November 1417 zogen die 53 Kardinäle, Bischöfe und Delegierten, die in einem komplizierten Verfahren für die Papstwahl bestimmt worden waren, in einer feierlichen Prozession mit König Sigismund an der Spitze vom Konstanzer Münster kommend in das Lagergebäude am See. In dem Lagerhaus, dem heutigen Konzil, waren 53 provisorische Schlafplätze und zwei Toiletten eingerichtet worden. Die Fenster waren vernagelt, das gesamte Gebäude von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Überraschend schnell einigte sich das Konklave bereits am 11. November 1417 auf einen Nachfolger auf dem Stuhl Petri – den Italiener Oddo Colonna, der sich Martin V. nannte. Zehntausende sollen zum Konzil geströmt sein, um den neuen Pontifex zu feiern, der erst noch zum Priester und Bischof geweiht werden musste und dann zum Papst gekrönt wurde.
Jürgen Hoeren (RC Baden-Baden Merkur) war langjähriger Ressortleiter der Aktuellen Kultur beim SWR in Baden-Baden. Er ist Herausgeber mehrerer Gesprächsbücher, u.a. mit Hans Küng, Kardinal Lehmann und Eugen Drewermann. Er lebt jetzt als freier Publizist in Konstanz.
Weitere Artikel des Autors
8/2021
Das tragische Ende einer 1200-jährigen Tradition
Mehr zum Autor