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Das tragische Ende einer 1200-jährigen Tradition
Wie vor 200 Jahren das Bistum Konstanz ausgelöscht wurde: Der letzte Bistumsverweser Ignaz Heinrich von Wessenberg und sein Konflikt mit Rom.
Es ist einmalig in der Kirchengeschichte, in welchem Ton am 16. August 1821 das traditionsreiche Bistum Konstanz (585–1821) aufgelöst und der amtierende, profilierte Bistumsverweser Ignaz Heinrich von Wessenberg kaltgestellt wurde. Papst Pius VII. verkündete an diesem „schwarzen Donnerstag“ in einer Bulle: „Wir unterdrücken, zernichten und vertilgen mit sicherer Erkenntnis den Titel, den Namen, die Natur, das Wesen und den ganzen gegenwärtigen Stand der bischöflichen Kirche zu Constanz, samt ihrem Kapitel …“ Die Bürger der Stadt waren konsterniert. Ihr Bistum sollte nach 1200 Jahren aufgelöst, das prachtvolle Münster zur Pfarrkirche degradiert, der Bischofssitz verlegt und der zum Bischof gewählte 45-jährige Ignaz Heinrich von Wessenberg abgesetzt werden. Warum?
Wessenberg, in Feldkirch im Breisgau aufgewachsen, war von Fürstbischof Carl von Dalberg am 20. April 1802 zum Generalvikar des Bistums ernannt und einige Jahre später, im November 1813, zum Koadjutor, also zu seinem Nachfolger im Bischofsamt bestimmt worden. Wessenberg ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er in Rom als liberaler Aufklärer, ja, als Totengräber der katholischen Kirche denunziert worden war. Was hatte Wessenberg getan? Er erlaubte zum Beispiel während der kalten Wintermonate die Haustaufe; er überließ es konfessionsverschiedenen Paaren selbst, über die Konfessionszugehörigkeit ihrer Kinder zu entscheiden. Er führte 1812 das erste deutschsprachige „Christkatholische Gesangs- und Andachtsbuch“ ein. Er schränkte das wuchernde Wallfahrtswesen ein und verpflichtete die Pfarrer, in den Sonntagsgottesdiensten zu predigen. Die Priester sollten den Gläubigen die Bibel auslegen. Er selbst verschenkte Tausende Bibeln an Familien. Um die Ausbildung der Kleriker zu verbessern, gründete er das erste katholische Lehrerseminar, denn er legte großen Wert auf die Präsenz der Pfarrer in den Schulen. Er setzte sich nach der Neugliederung der politischen und kirchlichen Landschaft durch die napoleonischen Kriege und der Säkularisation mit dem Verlust zahlreicher kirchlicher Ländereien und Klöster für ein gesamtdeutsches Konkordat mit einem starken Primas an der Spitze ein. Das aber ging Rom viel zu weit. Der Heilige Stuhl wollte vielmehr die neue Konstellation nutzen, um die Bistumsgrenzen neu zu ziehen und die deutsche Kirche stärker an Rom zu binden. Wessenberg jedoch verfolgte eine andere Strategie – er wollte eine starke Nationalkirche.
Kein Durchkommen zum Papst
Als Fürstbischof von Dalberg im Februar 1817 starb, wählte das Konstanzer Domkapitel einstimmig Wessenberg zum Bistumsverweser. Doch überraschend erklärte Papst Pius VII. gegen geltendes Recht die Wahl für null und nichtig, ohne konkrete Gründe für seine Entscheidung zu nennen. Der badische Großherzog Karl stellte sich ebenso hinter Wessenberg wie das Domkapitel, das in einem Schreiben an den Papst erklärte, Wessenberg sei nicht nur rechtmäßig gewählt, er verdiene auch „alle Auszeichnung“. In Absprache mit dem Großherzog reiste Wessenberg im Juli 1817 nach Rom. Er wollte sich dem Papst persönlich vorstellen, zu den Anschuldigungen direkt Stellung nehmen und seine persönliche Integrität verteidigen. Doch trotz all seiner guten diplomatischen Kontakte drang er nicht bis zum Papst vor. Sein kurialer Verhandlungspartner war Kardinalstaatssekretär Ercole Consalvi. Dieser nahm höflich die schriftlichen Eingaben und mündlichen Erläuterungen Wessenbergs entgegen. Über Wochen entspann sich ein diplomatisches Scheingefecht.
Wessenberg entschloss sich schließlich, für einige Wochen Rom zu verlassen, um Sehenswürdigkeiten in Süditalien zu besuchen – er bestieg unter anderem den Vesuv, erkundete Pompeij, Neapel und andere historische Stätten. Seine Eindrücke schrieb er in dem kleinen Gedichtband Blüthen aus Italien nieder.
Zurückgekehrt nach Rom, kam es im Dezember 1817 zu einer letzten Begegnung mit Kardinal Consalvi. Bedingungslose Unterwerfung unter die päpstliche Anordnung, Verzicht auf das Bischofsamt – das war die einzige Lösung, die der Kardinal ihm anbieten konnte. Wessenberg lehnte ab. Als Unterlegener kehrte er nach Konstanz zurück. Doch in Deutschland wurde er gefeiert, da er sich nicht wegen einer Mitra verkauft habe. Mittlerweile hatte sich jedoch hinter den Kulissen ein kirchenpolitischer Wandel vollzogen. Bayern, Württemberg und Baden hatten sich mit dem Heiligen Stuhl auf separate Konkordatsverhandlungen eingelassen und wollten von einem gesamtdeutschen Konkordat nichts mehr wissen. Als der badische Großherzog Karl 1818 starb, Wessenberg stets wohlgesonnen, verlor dieser den politischen Rückhalt. Sein Nachfolger, der konservative und alle liberalen Ideen abwehrende Großherzog Ludwig I., ließ ihn fallen und einigte sich mit dem Heiligen Stuhl auf Freiburg im Breisgau als neuen erzbischöflichen Sitz für die oberrheinische Kirchenprovinz – ohne Berücksichtigung des fortschrittlichen Konstanzer Bistumsverwesers. Das ursprüngliche Bistum Konstanz, das sich von Stuttgart bis zum St. Gotthard und von Freiburg bis Kempten erstreckte, wurde auf die badischen Gebiete zurückgestutzt. Eine 1200-jährige Geschichte des größten deutschen Bistums ging zu Ende.
Großes Wirken, später Ruhm
Noch bis 1827 wirkte Wessenberg in Konstanz als Bistumsverweser, denn die Besetzung des Bischofstuhls in Freiburg mit Bernhard Boll benötigte sechs lange Jahre.
Dann zog sich Wessenberg ins Privatleben zurück, reiste viel, publizierte Aufsätze, Gedichte und pflegte eine ausgedehnte Korrespondenz. Sein Herzensanliegen war die Gründung eines Waisenhauses in Konstanz. Aus seinem persönlichen Vermögen investierte er viel Geld in dieses Projekt. Bis heute existiert das „Sozialzentrum Wessenberg“. Sein Barvermögen vermachte er mit einer eigenen Stiftung dieser Einrichtung. Als er am 6. Juli 1860 im Alter von 85 Jahren stirbt, entsendet der Freiburger Bischof zur Trauerfeier nicht einmal einen offiziellen Vertreter. Bedeutende Repräsentanten der Stadt und der damalige Münsterpfarrer sorgen dafür, dass Wessenbergs Wunsch in Erfüllung geht, im Münster bestattet zu werden. Dort weist heute eine Bronzeplatte auf die Grabstätte des Ignaz Heinrich von Wessenberg hin, dessen Verdienste erst heute langsam anerkannt werden.
Buchtipp
Jürgen Hoeren u. Michael Trenkle (Hg.):
Ignaz Heinrich von Wessenberg: Blüthen aus Italien
Wessenbergs Gedichte seiner ersten Italienreise,
Privatdruck, Konstanz 2021, 100 Seiten, 7,50 Euro.
Zu erwerben über: kontakt@antiquariat-trenkle.de
Jürgen Hoeren (RC Baden-Baden Merkur) war langjähriger Ressortleiter der Aktuellen Kultur beim SWR in Baden-Baden. Er ist Herausgeber mehrerer Gesprächsbücher, u.a. mit Hans Küng, Kardinal Lehmann und Eugen Drewermann. Er lebt jetzt als freier Publizist in Konstanz.
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