Buch der Woche
Eine fast unmögliche Biographie über Karl den Großen
Wir wissen nur wenig über das Leben und die Person des größten mittelalterlichen Herrschers. Eine Biograhie Karls des Großen im modernem Sinne ist wegen der Quellenlage unmöglich. Doch Joahnnes Fried erweckt anhand von Quellen und Artefakten, Indizien und Analogieschlüssen und Methoden der Gedächtnisforschung sowie erzähelrischem Talent die ein Zeitalter und eine Herrschergestalt zum Leben – unser Buch der Woche.
Wirtschaften im frühen Mittelalter
Die endlosen Kriege verschlangen ein Vermögen; die Sicherung des Friedens kam nicht billiger. Karl begriff, daß der erfolgreihe König erfolgreich wirtschaften mußte. Wie konnte er beide, Krieg und Frieden, sich leisten? Wie wurden sie finanziert? Geld, nämlich gemünztes Feinsilber, gab es zwar. Aber es reichte niemals, um des Königs Kriegsvolk oder auch nur seine Amtleute, Gutsverwalter oder Grafen zu bezahlen. Andere Instrumente der ‹Entlohung› mußten nutzbar gemacht werden. Wie also wurden die Kosten erwirtschaftet? Wie die Krieger wirtschaftlich unterhalten? Ein König hatte viele Mäuler zu stopfen, einen ganzen Hofstaat, Kleriker, Gäste, fremde Gesandtschaften und alle gemäß deren und dem eigenen Rang, eben königlich; er mußte Größe, Macht und Reichtum inszenieren, Pracht entfalten, schenken, seinen Reichtum verschwenden. Das alles kam teuer. Er mußte Gott danken, standesgemäß. Wer trug die Kosten? Wie kam der Reichtum zustande? Wer erwirtschaftete ihn? Wie wurde er gewahrt und gemehrt? Wer partizipierte daran? Die Antwort auf diese Fragen führt zu dem riesigen Grundbesitz, über den der König in seinem ganzen Reich verfügte und der effizient verwaltet werden mußte.
«Wir wollen, daß unsere Gutshöfe, die wir bestimmt haben, unserem Bedarf zu dienen, ausschließlich uns dienen und niemandem sonst». Das Ziel war klar: Die Wirtschaft hatte den königlichen Interessen zu folgen und ausschließlich ihnen, so begehrlich die Blicke der anderen auch sein mochten. Karl kümmerte sich um diese Wirtschaft wie wenige seinesgleichen. Die erhaltenen Zeugnisse gewähren aufschlußreiche Einblicke in das zeitgenössische Wirtschaftshandeln, in die Organisation des königlichen Besitzes, in die Fürsorge für des Königs Leute, in seine Planungen und seinen Ordnungswillen. Nur eines verraten sie nicht: Die Zahl der Menschen, die hier lebten. Der König und Kaiser betrieb eine für seine Zeit höchst erfolgreiche, effiziente und noch heute – in Umrissen erkennbar – auf Leistungssteigerung angelegte Wirtschaftspolitik. Sie beschränkte sich nicht auf Landwirtschaft und Viehzucht; sie schloß Bergbau, Handwerk und Handel mit ein; und sie bediente sich, wo immer möglich, des Geldes. Märkte waren Karl nicht fremd. Das alles wurde zunehmend rational geordnet und gelenkt. Die Wirtschaft war, obgleich zumal auf altem römischen Boden städtische Siedlungen nicht unbekannt waren, grundherrschaftlich organisiert, nämlich in großen Güterkomplexen, die bald durch selbständig wirtschaftende oder unfreie, dienstverpflichtete Kleinbetriebe, bald auch in Eigenbetrieb durch sog. Manzipien, besitzlose Arbeitskräfte, bewirtschaftet wurden. Kirchen und Kriege, der Frieden ließen sich finanzieren, wenn auch nicht durch den König allein. Diese Seite seiner Regierung ist Karls Biographen Einhard, der selbst große Grundherrschaften besaß, auf Grund eines entsprechenden Schweigens seines Vorbildes Sueton völlig entgangen. Kein Dichter besang den erfolgreichen Ökonomen, der Karl war. Niemandem entlockte eine gute Haushaltung ein Lob, wohl aber die verschwenderische Milde des Herrschers.
Der schier unermeßliche königliche Domanialbesitz speiste sich aus altem Eigengut der Familie, aus einstigem, durch den Umsturz gewonnenem merowingischem Königsgut, und nicht zuletzt aus neueren Konfiskationen; auch herrenloses Gut fiel an den König. Eroberungen in Aquitanien, Italien, Sachsen, Baiern oder gegen die Awaren mehrten den Besitz fortwährend. Das ererbte Hausgut lag in zusammenhängenden Komplexen vor allem um Metz, an der mittleren Mosel, von Trier über Echternach bis nach Prüm sowie im Raum um Nivelles und Stablo. Das alte Königsgut der Merowinger durchzog die gesamte «Francia». Die genaue Ausdehnung und Dichte des Königsgutes tritt freilich allein durch die Vergabepraxis hervor, dadurch also, daß es geschmälert wurde.
Der weite und sich durch lange Jahrzehnte mehrende Besitz auch die erbeuteten Schätze Sachsens, Italiens oder der Awaren durften den König großzügig und gabenfreudig machen. Der Krieg verwöhnte die Täter. Karl stattete seine Getreuen, weltlichen Großen, Bistümer und Klöster in der Tat mit reichen Landschenkungen aus; das päpstliche Rom vergaß er zu keiner Zeit. Sie alle erhielten ihren Anteil an der Beute, auch der Herr des Himmels. Solcher Dank und solche «Milde» offenbarten Karls Größe; sie schienen den eigenen Reichtum kaum zu schmälern, obgleich sie langfristig den Domanialbesitz bedrohen mußten. Doch die systemisch bedingte Reziprozität der Herrschaftsordnung verlangte nach ihr. Die Nachteile eines derartigen «Gabentausches» bekamen Karls Nachfolger freilich bald zu spüren.
Aufs Ganze gesehen stellte das karolingische Königtum des 8./9. Jahrhunderts eine wirtschaftliche Großmacht dar, mit der kein zweiter Herr und keine Kirche im Karlsreich konkurrieren konnten. Karl sorgte sich um deren wirtschaftlichen Belange. So gerne er zum Himmel aufblickte, den Lauf der Sterne verfolgte, so gläubig er seine Erfolge der Gnade Gottes zu danken wußte, der Ertrag der Erde bot die unerläßliche Grundlage, die Karl zu keiner Zeit vernachlässigt wissen wollte. Um sie kümmerte er sich fortgesetzt und höchstpersönlich.
Die Struktur und die Grundzüge der Organisation des Königsgutes übernahm Karl ohne Zweifel von seinen Vorgängern, doch traten sie erst unter ihm deutlicher hervor und lassen sich aufgrund erhaltener Zeugnisse einigermaßen präzis erfassen. Innovative Strukturmaßnahmen zeichneten sich ab. Karl dürfte die Kontrolle über Arbeitsorganisation und Abgabenlieferung erheblich ausge - weitet, das ‹Versickern› der Erträge eingedämmt haben, konnte wohl auch die Produktion verbessern, nämlich durch effizientere Überwachung den e rtrag steigern. Berater wie der Abt Adalhard von Corbie könnten ihm dabei mit ihrem Gespür für mittelfristige Planung, Bedarfskalkulation und Rücklagenbildung, die er in seiner Klosterordnung an den Tag legte, zur Seite gestanden haben.
Rodung und Kolonisation, die gesamte Agrarproduktion, die Vieh- und Pferdezucht, der Weinbau, Imkerei, Wachs und Seifensiederei, die Salzgewinnung, das ganze Montanwesen, aber auch Handwerk, Waffenproduktion, Woll- und Leinenweberei, auch der Nah- und Fernhandel, Geldwesen und Sozialfürsorge, die Versorgung von Königshof, Heer und Volk, kurzum alles griff, soweit es in Karls Macht stand, ineinander und war grundherrschaftlich organisiert. Die Organisation entschied über die Leistungsfähig keit. Wachs (für die vielen Altarkerzen), Salz (zum Konservieren) und Tuch waren Exportschlager damaliger Zeit, auch Schwerter und Brünnen.
Die Städte Galliens, der «Francia» oder der Länder rechts des Rheins, bloße Siedlungskonzentrationen, die sie nun waren, besaßen kein eigenes Recht, waren vielmehr in eine königliche oder bischöfliche Grundherrschaft integriert oder dem Landrecht und damit dem Grafen unterstellt. Doch konzentrierten sich Händler, Waren, Geld und Markt in ihnen. Gelegentlich erhielt einer der Kaufleute ein Zollprivileg. Derartige Zollbefreiungen gab es bereits unter den Merowingern; sie setzten sich unter den Karolingern fort. In St-Denis wurde der Dionysiusmarkt mit seinen Zollfreiheiten geschützt. Spezielle Marktprivilegien hat Karl freilich noch nicht ausgestellt; doch gab es ein Kapitular (?) «Über den Markt unserer Pfalz», d. h. Aachens; die Kaufleute dort genossen – jedenfalls unter Ludwig dem Frommen – Zollfreiheit im gesamten Reich mit Ausnahme einiger Grenzstationen.
Neue Städte jenseits der einstigen römischen Reichsgrenzen entstanden nur allmählich und zwar im Schatten der Königspfalzen wie Frankfurt, des einen oder anderen Klosters wie Fulda oder w erden, auch aus manch einem Handelsort an den Küsten wie Hamburg oder Bremen, vor allem aber an Bischofssitzen wie Paderborn oder Münster. Es läßt sich freilich nicht erkennen, daß Karl – von den Bistümern abgesehen – diesen Trend zur Stadtentstehung sonderlich förderte, auch wenn Kaufleute grundsätzlich unter dem Schutz des Königs standen.
Karls Maßnahmen spiegelten sich in einer vergleichsweise um fangreichen Serie einschlägiger Dokumente. Einzigartig nach In halt und Überlieferung sticht das «Capitulare de villis» (CdV) hervor, ein Kapitular über Wirtschaftshöfe. Kapitularien waren königliche Verordnungen, administrative Erlasse und Rechtsgebote, die der König (oder Kaiser) in Übereinstimmung mit seinen Großen beraten und beschlossen hatte und die ihren Namen nach ihrer Ordnung in «Kapiteln» trugen. Sie besaßen – so zeichnet sich durch neuere Beobachtungen ab – zwar einen stabilen normativen Gehalt, aber keine verbindliche Form. Sie wurden in der Regel als Folge einzelner «Abschnitte» mit je eigenem Inhalt ( capitula ) verbreitet, nur gelegentlich in feierlicher Form, ähnlich einem Diplom (ohne ein solches zu sein), häufiger aber in formlosen, vielleicht privaten Listen überliefert. Der König konnte in erster Person Singular oder Plural sprechen; der Wortlaut konnte aber auch in verallgemeinernden Sätzen mit oder ohne Hinweis auf den königlichen Willen festgehalten werden. Der normative Geltungsgrund lag in jedem Fall im mündlich erzielten Konsens zwischen dem König und den beteiligten Großen, während die Aufzeichnung mehr als Gedächtnisstütze zu gelten hat denn als formale Norm. Diese «Kapitularien» spiegeln am eindringlichsten Karls Herrschaftspraxis.
Das «Capitulare de villis» nun galt entweder generell für das Königsgut oder speziell für jene Höfe, die vordringlich oder ausschließlich die eigene «Tafel» des reisenden Hofes (discus, c. 24, oder ad opus nostrum c. 30) zu versorgen hatten (sog. Tafelgüter); umstritten ist, ob es unter Karl dem Großen oder erst unter Ludwig dem Frommen angelegt wurde, aus dessen Zeit die Handschrift stammt. Einstimmigkeit ist in dieser Frage unter den Forschern einstweilen nicht zu erzielen. Wie dem aber sei, das «Capitulare de villis» verdeutlicht allgemeine Grundlinien der königlichen Güterordnung und ihrer umsichtigen Wirtschaftsorganisation, die kaum erst unter Ludwig dem Frommen und durch ihn entstand. Das Ka pitular darf somit auch für die Zeit Karls des Großen herangezogen werden.
Auch das «Lorscher Reichsurbar», überliefert im Codex Laures - hamensis des 12. Jahrhunderts, handelt von der königlichen Grundherrschaft und gehört sachlich teilweise in die Epoche des großen Karls. Aus dessen Spätzeit hat sich in Mailand das Frag ment einer weiteren wirtschaftsrelevanten Anordnung erhalten, das ursprünglich wohl nach St-Denis gehörte und beispielsweise die zumeist in Geld zu entrichtenden Abgaben freier Leute auf königlichem Land betraf, das sie aufgrund eines Leihe-, eines sog. Prekarie-Vertrages, nutzen durften, und das damit ebenfalls über die königliche Grundherrschaft zu informieren vermag.
Ein Urbar ist das Verzeichnis von Domanialbesitz und dessen Einkünften, über die ein Herr verfügte. Das Lorscher Urbar sowie das etwas jüngere, gleichfalls die königliche Grundherrschaft betreffende Urbar aus Churrätien ergänzen gerade die Hinweise auf Organisation und Leistungskraft der karolingischen Domänenwirtschaft. Es zeichnen sich in allen genannten Dokumenten immer wieder gleichartige Strukturen der Organisation und Domänenverwaltung ab, wie sie eben unter Karl wirksam wurden.
Zu diesen Zeugnissen treten noch das eine oder andere (aus tatsächlich benutzten Anweisungen kompilierte) Musterformular zur Rechenschaftslegung, das die Zeiten überdauerte, gelegentliche Hinweise in Kapitularien und vereinzelte jüngere Urbare (wie das Urbar des Klosters Prüm aus dem späten 9. Jahrhundert), die mit gebotener Vorsicht auch für die Karlszeit herangezogen werden dürfen. Der berühmte Klosterplan von St. Gallen, wohl auf der Reichenau entstanden und als Idealplan entworfen, gehört zwar erst in die Zeit Ludwigs des Frommen, weist sachlich aber mit seinen zentralen w irtschafteinrichtungen ohne Zweifel in die Zeit Karls des Großen zurück und kann gleichartige Verhältnisse in den königlichen und klösterlichen Grundherrschaften verdeutlichen. Die erwähnten Urbare aus der «Francia» oder aus Mitteleuropa unterschieden sich nicht prinzipiell voneinander; allein die Grundherrschaft im Süden Galliens oder in Italien war – ihrer anderen Herkunft gemäß – kleinteiliger und weniger ‹zentralistisch› geordnet.
Das Königsgut verteilte sich über das gesamte Gebiet, das Karls Königsgewalt unterstand, lag mitunter in Gemengelage mit Kirchen- und Adelsbesitz, in der Regel freilich in großen zusammenhängenden Komplexen und war nicht bloß in einzelne Villae , königliche Wirtschaftshöfe mit abgabepflichtigen Bauernstellen («Hufen»), gegliedert, sondern in riesige Domänen. Der Komplex um Frankfurt etwa umfaßte zahlreiche Orte in der Wetterau, dazu im Süden den Forst Dreieich, der sich bis in das Vorfeld des heutigen Darmstadt erstreckte. Die Amtsbezirke, ministeria oder fisci, unterstanden eigenen Verwaltern, iudices oder actores, die vielfach aus dem regionalen Adel genommen waren. Der Umstand barg die Gefahr der Entfremdung in sich, wie sich nach Karl nur zu deutlich zeigen sollte. w ieweit die Bezeichnungen austauschbar waren, mithin gleichartige Sachverhalte betrafen, wird diskutiert.
Dem König stand in der Wirtschaftspraxis die Königin zur Seite. Tatsächlich hat sich ein Privileg erhalten, mit dem Karl gemeinsam mit seiner Gemahlin Hildegard schenkt. Obwohl die Wirtschaftshöfe über ganz «Gallien» und «Germanien» streuten, gehörten sie zum Hauswesen und zum Rechtskreis des Hauses. Hier herrschte die «Hausherrin». Das Capitulare de villis sprach sie unmittelbar an. Gerade die «Tafelgüter» unterlagen ihrer «Zuständigkeit». Deren Produkte dienten neben dem reisenden Königshof, den Leuten an Ort und Stelle, mitunter der Versorgung des Heeres (c. 30, c. 64). Überschüsse sollten zum Verkauf gelangen (c. 33). Sogar der Kirchenzehnt und der «Neunte», d. h. ein zweiter Zehnt, wurden in den Grundherrschaften fällig (c. 6); er sollte ausschließlich an Eigenkirchen und an keine ‹auswärtigen› Kirchen entrichtet werden. Jeder Königshof (villa) sollte – etwa für einen Königsbesuch – in der Kammer bereithalten: Betten, Matratzen, Federbetten, Bettlaken, Tischdecken, Sitzbänke, eherne, bleierne, eiserne und hölzerne Gefäße, Kohlebecken, Ketten und überhaupt alle nötigen Utensilien, «so daß es nicht nötig ist, sie andernorts zu besorgen oder zu leihen» (c. 42). weich, bequem und warm wünschte der König zur Winterszeit zu nächtigen.
Die «Ministerien» der Meier (maiores) sollten nicht ausgedehnter sein, als dieser Amtmann an einem Tag umreiten oder überschauen könne (c. 26). Die Meier sollten keinesfalls aus den Reihen der Mächtigen ( potentiores ) genommen werden, «sondern aus der Mittelschicht ( mediocres ), deren Angehörige treu sind» (c. 60) – Zeichen einer stets latenten Sorge des Königs um die stets bedrohliche Konkurrenz der eigenen Großen. Die Organisation der Grundherrschaft sollte also überschau- und leicht kontrollier - bar sein, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Den iudices sollte aber auch in den Meiern keine Konkurrenz erwachsen.
Die Amtleute (iudices) hatten Förster, Pflugführer, Kellermeister oder Zöllner und andere Spezialisten unter sich (c. 6). Auf Befehl der Königin, des Seneschalls oder des Mundschenks sollten die iudices umgehend, um Rechenschaft abzulegen, an den Königshof eilen (c. 16). Sie sollten die Hörigen des Königs nicht für ihre Dien - ste heranziehen und keine Gaben ( dona ) von ihnen annehmen, «kein Pferd, keinen Ochsen, keine Kuh, kein Schwein, keinen Hammel, kein Ferkel, kein Lamm oder sonst ein Vieh, es sei denn eine Flasche (Wein), Gemüse, Obst, Hühner und Eier» (c. 3); auch sollten sie sich die Meute ihrer Jagdhunde nicht von ihnen durchfüttern lassen (c. 11). Man ahnt schlimmste Bedrückung. Konnte sich der König in seinen Domänen nicht stets mit seinen Anordnungen gegen die Verwalter durchsetzen? Klagen seiner Hörigen oder der Aufseher ( iuniores ) gegen die iudices sollten tatsächlich zum König durchgelassen werden (c. 57). Ob es jemals geschah?
Jeder iudex hatte jährlich zu Weihnachten schriftlich – wie anzunehmen ist – Rechenschaft abzulegen. Detaillierte Angaben wurden dafür verlangt über die erbrachten Dienste, die eingegangenen Abgaben und Zinse, über den Schaden durch Wilddiebe, über Zolleinnahmen, über den Ernteertrag aus Feld, Wald und Wiese, über die erbrachten Arbeiten an Brücken und Fähren, die Einnahmen oder Erträge an Marktgewinn, Brenn- und Bauholz, an Gemüse, Honig und Wachs, auch über Weinertrag und die gebraute Bier menge, über die Handwerksproduktion, kurzum über alles, was der Amtsführung unterlag – alles «genau und getrennt und geordnet», «damit wir wissen, was uns zur Verfügung steht» (c. 62). Die Schriftlichkeit war nicht selbstverständlich: Karl hatte sie schon früher angeordnet, doch war sie nicht befolgt worden. Eine entsprechend detaillierte Abrechnung hat sich nicht erhalten; doch zeigen immerhin glücklich überlieferte Muster wie etwa die «Brevium exempla», daß zumindest einzelne Abrechnungen tatsächlich eingegangen sein dürften. Die Grafen hatten mit der Königsgutsverwaltung nichts zu tun; sie wurden dezidiert aus ihr ferngehalten. Zur Kontrolle dienten von Fall zu Fall entsandte Königsboten (missi). Besaß der König ein Gespür für Ertragsschwankungen oder gar den Wirtschaftswandel? Zeugnisse davon haben sich vom Königshof nicht erhalten; allein Karls Vetter und Berater Adalhard von Corbie gab, worauf sogleich zurückzukommen ist, einige dahingehende Überlegungen zu erkennen.
Die Sprache der erwähnten Dokumente unterschied sich grundlegend von den reformatorischen Akten zugunsten von Königtum und Kirche. Dort kamen Verben des Bittens zum Einsatz; der Herr bat seine Großen. Hier aber befahl er; er «wollte» und seine Leute «sollten»; hier erwartete er Gehorsam und nur er oder seine Gemahlin. Hier handelte der König als Hausherr; er gebrauchte die Sprache des häuslichen Rechtskreises. «Wir wollen, daß unsere Wirtschaftshöfe, die wir zu unserer Versorgung bestimmt haben, allein unseren Belangen dienen sollen und keinem anderen Menschen». «Wir wollen, daß sie im Garten alle Kräuter pflanzen». So begann und so endete das Capitulare de villis . «Daß kein Amtmann (iudex) sich unterfange, unser Gesinde in seinen Dienst zu nehmen...».
Wirtschaft will wachsen, auch damals. Eine beträchtliche Ertrags- und Leistungssteigerung der Wirtschaftshöfe verlangte allein schon die – für die Zeitgenossen kaum wahrnehmbar – trotz regelmäßiger Hungersnot wachsende Bevölkerung. Karl scheint zur detaillierteren Effizienzkontrolle ein neuartiges Mittel erprobt zu haben: die «Verhufung» nämlich der großen, seiner Oberaufsicht zugänglichen Grundherrschaften. Er ließ dazu, soweit seine Ordnungsmacht reichte, in der königlichen Grundherrschaft und in den Königsklöstern, das Land nach «Hufen» einteilen (lat. hubae oder auch mansi ), nach Betriebseinheiten, und in entsprechenden Verzeichnissen, Urbaren oder Polyptichen, erfassen.
Die Urbare verzeichneten räumlich geordnet den Besitz, die Bewirtschaftung und die Abgaben jeder einzelnen der erfaßten Hufen. Aus Karls Zeit ist kein Polyptichon erhalten, erst im 9. Jahrhundert setzte die Überlieferung ein. Die Struktur dieser kirchlichen Grundherrschaften dürfte dennoch durch Karl in wechselseitiger Anlehnung an die königliche Grundherrschaft reformiert worden sein, wie aus erhaltenen Abgabenmustern, den «Brevium exempla», hervorgeht. Das Polyptichon des Abtes Irmino von St-Germain- des-Prés in der Île de France aus der Zeit Ludwigs des Frommen läßt in etwa das Ergebnis solcher Umorganisation erkennen; auch das Prümer Urbar, aus einem dem Königshaus unmittelbar unterstehenden Kloster, oder das älteste Urbar des Klosters Werden an der Ruhr (heute Essen), eine Gründung des hl. Liudger, geben, obgleich erst aus der Zeit um 900 überliefert, eine entsprechende Organisation zu erkennen. Werden lag am Hellweg, der wichtigen Altstraße von Duisburg über Dortmund nach Paderborn und wei ter nach Sachsen, die Karl wiederholt zog. Diese Urbare wurden, soweit wir sie kennen, jeweils nur ein einziges Mal angelegt und nicht fortgeschrieben. Die Dynamik wirtschaftlichen Wandels, die auch im 8./9. Jahrhundert nicht fehlte, trat demnach nicht in den Blick und wurde kein Handlungsmotiv der Grundherren – trotz entgegengerichteter Bemühungen des Königs.
Die genaue Größe einer Hufe ist nicht überliefert; sie schwankte zudem nach Bewirtschaftungsart und Boden; in Gebieten mit Weinbau muß sie kleiner gewesen sein als bei Ackerbau oder Viehzucht. Gelegentlich wird heute eine Größe von ca. 10 ha vermutet. Wie immer, diese Hofstellen waren so bemessen, daß eine kleinbäuerliche Familie – ein Mann, eine Frau, bestenfalls ein Knecht und einige Kinder – mit ihren Kräften sie bewirtschaften, der Ertrag diese Leute nicht nur ernähren, sondern einen gewissen Überschuß abwerfen konnte. Viel größer als zehn Hektar wird demnach eine Hufe nicht gewesen sein. Derartige Verhufung förderte die Überschaubarkeit der Grundherrschaften, ließ die Höhe der Erträge und damit den Nutzen für den König und die übrigen Herren sicherer kalkulieren. Karl verlangte es eben gerade deshalb, «damit wir wissen können, worüber und über wieviel wir verfügen können».
Die Formen der Abhängigkeit der Güter vom König variierten: Es gab in Eigenwirtschaft genutztes Gut (Salgut), Leihegut, mit dem Vasallen belehnt waren, an freie Bauern ausgegebenes Zinsgut. In der «Francia» dominierte ein bipartites Wirtschaften. Der Salhof mit seinen Ländereien wurde oftmals von Hunderten von Knechten («Manzipien») bewirtschaftet, während anderes Land, zahlreiche Hufen, an Freie oder an schollegebundene Kolonen ausgegeben waren. Diese Hufen mußten höhere Abgaben leisten, während die Unfreien zur Fronarbeit herangezogen wurden und geringe Abgaben zu erwirtschaften hatten. Die Belastung lag dabei auf dem Hof, nicht auf der Person.
Der König handelte – so zeigt das Capitulare de villis – wie ein sorgsamer Gutsherr oder Hausvater mit einem wachen Blick für militärischen Nutzen. Zuchthengste etwa sollten stets auf die besten Weiden geschickt werden; tauge einer nichts oder werde er zu alt, sollte es dem König gemeldet werden (c.13). Hengstfohlen sollten rechtzeitig separiert werden; nähme die Menge der Stutenfohlen zu, so sollten sie in eigenen Gehegen weiden (c. 14). Das waren kriegswichtige Maßnahmen, da das Frankenheer zunehmend beritten sein sollte. Immer wieder begegneten Hinweise auf militärischen Bedarf. So sollten die iudices dafür Sorge tragen, daß stabile, mit Eisenreifen verstärkte Fässer «zum Heer und in die Königs pfalz» geschickt würden und keine Schläuche (c. 68).
Karls Fürsorge erstreckte sich auch auf kleine Details. Bei den Mehlmühlen sollten Hühner und Gänse gehalten werden (c.18), bei Scheunen wenigstens 100 Hühner und 30 Gänse (c.19). Jede villa sollte Kuh-, Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Bocksställe auf - weisen; der Kuh- und Ochsenbestand zur Fleischversorgung sollte ausreichend und ordentlich sein (c. 23). Was für die königliche Tafel bestimmt sei, sollte «gut und ausgezeichnet und bestens zubereitet» sein (c. 24). Die w achsabgaben der judices waren beträchtlich, was auf ausgedehnte Imkerei verwies (c. 59). Für jede villa sei ein eigener Imker einzusetzen (c. 17). Honig war zwar das einzige Süßungsmittel, das damals zur Verfügung stand; doch vor allem mußte die unendliche Nachfrage nach w achs bedient werden, dessen die Kirche und – seltener – die Zimmerbeleuchtung, mithin auch der König für seinen persönlichen Gebrauch bedurften. Das Auftreten von Wölfen soll dem König gemeldet, ihr Fell dem König übergeben werden; im Mai sollen die Welpen aufgespürt werden (c. 69). Ein Wolfsfellcape machte zwar nicht viel her, eignete sich aber bestens zum Schutz vor Regen und Schnee.
Wald und Forsten sollten gut gehegt werden; wo man roden könne, solle man roden. Die Leute sollten dann verhindern, daß der Wald die neuen Felder wieder überwuchere. « Wo Wald sein soll, da soll nicht erlaubt sein zu fällen oder zu schädigen». Auch das Hochwild sollte gehegt werden. Beizjagd mit Habicht und Sperbern soll nur «zum Nutzen des Königs» zulässig sein, also ge gen eine Pachtgebühr. Der Verwalter, die Meier und ihre Leute sollten, wenn sie ihre Schweine zur Mast in die Königswälder trieben, vorbildlich den Zehnt an den König entrichten, «auf daß auch die übrigen Leute ihren Zehnt vollständig abliefern» (c. 36). Diese Schutz- und Zinsbestimmungen entsprachen der für die zeitgenössischen Verhältnisse extensiven Waldwirtschaft. Jeder Hausbau, die Pfalzen und ihre Baulichkeiten mit e inschluß regelmäßiger Ausbesserung und e rneuerung, die Fundamente der Kirchen, deren Dächer und Dachstühle – alles erforderte kostbares Holz bester Qualität, zumal Eichen (vgl. Abb. VI). Die Fundamente der Aachener Marienkirche sicherten zahlreiche jahrzehntealte Eichen im feuchten Untergrund. Die Rodung schritt rasch voran.
Die Überschüsse der großen Grundherrschaften an Agrarprodukten dürften beträchtlich gewesen sein. Der Verkauf kam bestenfalls bei regionaler Hungersnot der breiten Bevölkerung zugute. Die Hörigen sollten «tüchtig arbeiten und sich nicht auf dem Markt tummeln» (c. 54). Kargheit und Armut dürften deren Leben bestimmt haben, Hunger und Schmalhans Küchenmeister regierten. Für das 9. Jahrhundert verweist die regelmäßig anzutreffende extreme Überzahl männlicher Individuen im Vergleich zu weiblichen in einzelnen Siedlungen gerade in der Île de France auf regelmäßige Mädchentötung – aus Not, wie anzunehmen ist. Karl forderte immer wieder Fürsorge- und Schutzmaßnahmen für die Armen, was erwarten läßt, daß schon zu seiner Zeit demographisch wirksame Eingriffe in die Reproduktionsverhältnisse vorgenommen wurden. Die Bevölkerung wuchs dennoch; und langsam wuchs auch die Zahl jener durchweg kirchlichen Einrichtungen, die Findelkinder aufnehmen konnten und wollten.
Trotz des erkennbaren Übergewichts der Agrarproduktion herrschte keine reine Agrar- oder gar Tauschwirtschaft. Auch das geben das Capitulare de villis und andere Zeugnisse zu erkennen. Dort wurde vom Weinkauf gesprochen oder vom Verbot des Marktbesuches für die arbeitende Bevölkerung (c. 54). Überschüsse wurden tatsächlich für den Verkauf freigegeben. Das Fragment aus St-Denis handelte von Brücken-, Fähr-, Markt- und anderen Zöllen. Zahlreiche Zinse waren in Geld zu entrichten, was Naturalabgaben nicht ausschloß. Handwerk, Markt und Fernhandel fehlten in den Grundherrschaften nicht. Zumindest die Herrenhöfe partizipierten am Angebot an Fernhandelsgütern. Gewürze, Weihrauch, wohl auch Seide und andere Luxusprodukte gelangten ins Frankenreich. Die Münzreform von 794 verdeutlichte die Bedeutung des Geldwesens. Sie gipfelte in der Gewichtserhöhung der Pfennige, die nun ca. 1,7 g Silber aufweisen sollten. Die etwa 40 Münzstätten lagen durchweg links des Rheins. Diese Reform sollte tatsächlich nicht nur das monetarische System in Frankreich und Deutschland vorgeben; mit ihr war zugleich eine Finanzreform eingeleitet, die für Jahrhunderte maßgeblich wurde, sogar Angelsachsen paßten sich an. Das Geld, ausgeprägtes Silber spielte für Karls Wirtschaftsordnung ganz offenkundig eine wichtige Rolle.
Nicht nur der Agrarertrag wurde geregelt, sondern auch die handwerkliche Produktion. Jede villa sollte Werkstätten vorweisen für die verschiedensten Handwerke, nicht zuletzt für Waffenschmiede. Ein freies Unternehmertum läßt sich nicht erkennen. Alle Produktion war irgendwie in Grundherrschaften eingebunden und entsprechend organisiert. Dadurch wurde Arbeitsteilung möglich. Spezielle Frauenarbeitshäuser (genicia) mit 20–30 oder noch mehr Arbeiterinnen dienten der Weberei. Sie sollten, so Karl, in festen Häusern mit Öfen ihrer Arbeit nachgehen, mithin gerade im Winter (CdV 49).
Die Sonntagsruhe freilich war zu heiligen. Am Tag des Herrn durften die Frauen keine «Knechtsarbeit» ( opera servilia ) verrichten, weder weben noch Stoffe schneiden, nicht nähen, sticken, Wolle zupfen, Flachs schlagen, außerhalb des Hauses Wäsche waschen oder Schafe scheren. So verfügte es die «Admonitio generalis». Stattdessen sollten sie die hl. Messe besuchen, was sehr wohl mit Hin- und Rückweg einen Tag in Anspruch nehmen konnte. Das Sticken und Weben der Königstöchter, das e inhard erwähnte, war von solchem Verbot wohl ausgenommen.
Die schlichten, vertikal aufgestellten (Gewichts-) Webstühle ließen jedes Tuch – neun Ellen lang, fünf Ellen breit – jedes Stück Leinen, jeden Mantel, jedes Hemd ein mühseliges und langwieriges Stück Arbeit werden. Verarbeitet wurden Wolle und Flachs. Der komfortable Trittwebstuhl läßt sich erst seit dem 10. Jahrhundert nachweisen. Dennoch zeichneten erhebliche Produktionsleistungen die Betriebe aus. Es gelang eben durch die Konzentration der Frauenarbeit. Tücher wurden Exportartikel. Als Karl etwa dem Kalifen Gaben unter breitete, wurden die Tücher eigens erwähnt. In der Mitte des 9. Jahrhunderts löste das Kloster Lorsch mancherorts die Leistungen an Tüchern durch Geldzahlungen ab. Die Maßnahme deutet kaum auf einen geschrumpften Bedarf, viel eher auf die Konzentration der Produktion etwa in Arbeitshäusern hin.
Bei allen Einzelverfügungen, ein umfassendes Konzept für das Ineinandergreifen aller wirtschaftsrelevanten Maßnahmen, mithin von «Volkswirtschaft», gab es nicht. Jede Grundherrschaft war ein eigener, irgendwie autarker w irtschaftsbereich, und jeder Herr, und so auch der König, war allein für ihn zuständig. e ine systema - tische Kooperation wenigstens der königlichen ministeria , eine gezielte Standortplanung läßt sich nicht erkennen und war bestenfalls in Ansätzen wirksam. Gleichwohl war Karls wirtschaftsplanerisches Handeln auf Wachstum gerichtet. Ertrag und Produktion sollten gesteigert werden zum Nutzen von König, Heer, Kirche und Bevölkerung.
Hinweise auf die Wege und Straßen fehlen im « Capitulare de villis ». Das antike Straßenwesen war weithin zusammengebrochen, obgleich die eine oder andere Römerstraße noch benutzbar war. Die antiken «Straßenmeistereien», die für den Erhalt der Straßen zu sorgen hatten, gab es nicht mehr. Altstraßen ohne Pflasterung waren im Winter besser zu begehen als im feuchten Frühjahr oder Sommer. Regionale und lokale Verbindungspfade spielten für das Botenwesen eine erhebliche Rolle. Transportleistungen zur weiträumigen wirtschaftlichen Versorgung und für den Krieg sind nur im Rahmen der Grundherrschaften bezeugt. Eine reichsweite Verkehrsplanung – vom Mainzer Brückenbau abgesehen – ist nicht zu erkennen.
Die Schatten der Kriege lagen auch über aller Wirtschaft. Jeder Freie mit einem bestimmten Mindestvermögen mußte eine Brünne, ein Kettenhemd, zum Kriegsdienst tragen. Dafür hatte der Krieger auf eigene Kosten zu sorgen. Das Aussehen einer Brünne verdeutlicht wohl eine Miniatur im «Goldenen Psalter» von St. Gallen (Abb. VII). Sie zeigt ‹Hemden› aus ineinandergebundenen Eisenringen statt aus Leinen gewebt. Bequem waren diese Eisenhemden nicht. Dauerte der Krieg zu lange, sollte der König die Kämpfer entlohnen. Das Kriegsgerät mußte in den Grundherrschaften produziert und bereitgestellt, w affen, Zugochsen und Pferde in ihnen bereitgehalten werden. Brünne, Helm, Schild, Speer, Schwert, Bogen, Sattel und Zaumzeug – alles Produkte der Grundherrschaft.
Das entsprechende Handwerk ist dort gut bezeugt. Der König verlangte Eisen-, Gold- und Silberschmiede in seinen «Ministerien», Schuster, Drechsler, Stellmacher, Schildmacher, Fischer, Falkner, Seifensieder, Bier- und Schnapsbrauer, Bäcker («um Sem - meln für unseren Gebrauch zu backen»), Netzmacher für Fisch- und Vogelfang und andere Gewerbe mehr (CdV 45). Die Grob- und Waffenschmiede (fabri ferramentorum) im Unterschied zu Goldschmieden finden sich auch auf dem wohl idealen St. Galler Klosterplan eingezeichnet. Sie werden, insbesondere wenn sie für die kriegsdienstpflichtigen Klöster wie Fleury, Ferrières, Corbie, Lorsch oder Tegernsee zu arbeiten hatten, nicht nur Pflugscharen, Messer, Nägel, Hufeisen, Radreifen und Mühleisen produziert haben, zumal sie sich auf dem Plan durch Schwertfeger ( emundatores vel politores gladiorum ) und Schildner ( scutarii ) ergänzt sehen. Adelige Grundherrschaften dürften kaum weniger umfassend ausgestattet gewesen sein.
Auch Waffenschmiede begegneten nicht als «freie» Unternehmer, was wohl kaum eine Folge mangelnder Überlieferung ist. Woher sollten sie den nötigen Rohstoff bezogen haben, dessen Abbau – ähnlich wie das Salz – Grundherren zugewiesen war? Spezielle Produktionszentren sind nicht bekannt; doch dürften sie in der Nähe der Eisenvorkommen gelegen haben. Bezog der freie Franke, der zum Kriegsdienst verpflichtet war und keine große Grundherr - schaft hinter sich wußte, seine w affen auf dem Markt? Gab es also einen Waffenhandel? Karl verbot freilich den Export von Brünnen und Schwertern zu Slawen oder Awaren . Offenbar waren Produktionskapazität und Qualität entsprechend hoch und Kaufleute konnten sich mit entsprechenden Waren versorgen. Oder suchte der König, sich die Kontrolle über den Waffenbesitz vorzubehalten? Zur «Pflicht» der Amtleute gehörte nämlich die Pflege und Prüfung der eisernen Kriegswaffen ( ferramenta ); «sie sollen bei Rückkehr (vom Krieg) in der Kammer deponiert werden» (CdV 42). Noch in seinem Testament wird Karl übrigens seiner Waffen und Sättel gedenken.
Von Wachfeuern, die unterhalten, und von Wachdiensten, die geleistet werden mußten, ist die Rede; auch Königsgut im Land war offenbar nicht sicher (CdV 27). Die Anordnung bezog sich wohl keineswegs nur auf die Grenze nach Süden, gegen das muslimische und feindliche Spanien, sondern dürfte für jeglichen Grenzschutz gegolten haben. Zäune sollten die einzelnen Gehöfte umgeben. Deren Schutz vor Überlastung diente das Verbot, Königsboten oder Gesandtschaften, auch wenn sie zum König eilten, ohne dessen oder der Königin ausdrückliche Genehmigung auf den Wirtschaftshöfen einzuquartieren (c. 27). Regelungen zur internen Gerichtsbarkeit in den einzelnen «Ministerien» fehlten nicht.
Quelle: Johannes Fried: Karl der Große. Gewalt und Glaube. Eine Biographie. C.H.Beck München 2014 (2. Auflage). 736 Seiten, 29,95 Euro.