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Buch des Monats

Währungsunion soll atmen

Es gibt sie noch, die Schuldenkrise in der Euro-Zone, auch wenn das Flüchtlingsdrama die öffentliche Debatte beherrscht. Hans-Werner Sinn (RC München) fordert eine neue Währungspolitik, um Europa nach vorn zu bringen.

31.10.2015

Vorweg eine Klarstellung. „Angesichts der grausamen Ereignisse des 20. Jahrhunderts sehe ich keine Alternative für eine Intensivierung der europäischen Integration. Tatsächlich würde ich sogar so weit gehen, die Vereinigten Staaten von Europa zu fordern“, leitet Hans-Werner Sinn sein neues Buch ein, um dann den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone zu verlangen. Schon der Titel des Werks drückt aus, was der Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung von der gemeinsamen europäischen Währung hält: „Der Euro – Von der Friedensidee zum Zankapfel“.

Aber ist es nicht so? Klar, gab es auch Skeptiker, die früh vor der Einführung des Euro warnten. Aber als am 17. Dezember 2001 die Banken und Sparkassen begannen, die ersten Euro-Münzen auszugeben, standen die Deutschen Schlange. „Wir haben an jeder Kasse Doppelschichten geführt“, erinnert sich ein Kassierer der Kreissparkasse Köln. Und Helmut Kohl, damals Bundeskanzler, sah in der Einführung des Euro „die tiefgreifendste Veränderung auf unserem europäischen Kontinent seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums“. „Ganz Europa“, schreibt Sinn, „war von einer Welle der Begeisterung erfasst.“ Auch er.


Beistandsverbot missachtet
Und heute? Heute, diagnostiziert Sinn, schwellten in Europa „die Ressentiments zwischen den Bürgern wieder an“. Als Beweis führt den Zulauf zu den nationalistischen Parteien an. Doch so eindeutig sind die Belege nicht. Den meisten Anhänger geht es weniger um den Euro. Ihnen widerstrebt die ganze EU.

Richtig ist: Die Euro-Politik steckt in der Krise. Mehrere Staaten, allen voran  Griechenland, waren so überschuldet, dass die Gemeinschaft Rettungspakete schnüren und Rettungsschirme aufspannen musste. Für Sinn ein Verstoß gegen das „Beistandsverbot“ im Maastrichter Vertrag. „Danach“, so Sinn, „haftet kein Mitglied der Euro-Zone für die Verpflichtung anderer Mitgliedsstaaten.“ Der Ökonom weiß für heillos überschuldete Staaten nur einen Ausweg: den Austritt aus dem Euro und die Wiedereinfühung einer nationalen Währung, gefolgt von Abwertung, Struktureform und internationaler Schuldenkonferenz.

Ein Wiedereintritt in den Euro sollte möglich sein, sobald die Staatsfinanzen geordnet sind und die Wirtschaft sich erholt hat. Deutschlands populärstem Ökonomen schwebt eine „atmende Währungs­union“ vor, ein „atmender Euro“.

Allerdings solle niemand zum Austritt gedrängt werden, schreibt Sinn. „Die Entscheidung darüber obliegt allein den nationalen Regierungen und Parlamenten.“ Doch bisher sind in keinem Euro-Land die Bürger mehrheitlich für einen Austritt, nicht einmal in Griechenland. Was nun? Da schweigt der Ökonom.

Überhaupt spart er die politischen Folgen seiner Vorschläge weitgehend aus. Seine Analyse allerdings trifft: „Neue Wege müssen gefunden werden, wenn Europa auch in Zukunft erfolgreich sein möchte.“