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Entscheider

„Ich will mit Theater unersetzliche Erfahrungen kreieren“

Entscheider - „Ich will mit Theater unersetzliche Erfahrungen kreieren“
Gloger plant, das Programm des Wiener Volkstheaters (Hintergrund) ab 2025 gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern seiner Generation zu prägen. © Picture Alliance/Georg Hochmuth/APA/picturedesk.com

Ab Sommer 2025 hat das Wiener Volkstheater einen neuen Intendanten: Jan Philipp Gloger, 42 Jahre, derzeit Schauspieldirektor in Nürnberg. Wer er ist, wie er auf das Theater blickt, was er in Wien vorhat und wie er zu einem überzeugten Rotarier geworden ist.

01.04.2024

Es gab 47 Einreichungen für die Bewerbung um die Intendanz des Volkstheaters in Wien. Nicht wenig. Sie haben sich bei der Findungskommission durchgesetzt. Herr Gloger, darf ich noch zur Wahl gratulieren?

Ja, vielen Dank! Ich habe so etwas noch nie mitgemacht und freue mich auch. Und zwar über das Theater, das Aufgabenfeld und den Wirkungsort. 

Nach dem Gewinn einer Wahl gibt es immer viel Beifall, aber auch kritische Stimmen: Warum der und nicht ein anderer? Kritische Stimmen gegen Sie haben wahrscheinlich gar nicht Ihnen persönlich gegolten, sondern dem Umstand, dass keine Frau an die Spitze der Volksbühne des Volkstheaters kommt. Das ist generell ein heikler Punkt im Theaterbetrieb von heute. Wie sehen Sie das?

Ja, ich habe diese Reaktionen nicht allzu persönlich genommen. Ich finde es eigentlich richtig, gewisse Quoten einzuführen. Anders ist eine dauerhafte Egalisierung von Geschlechterverhältnissen glaube ich nicht zu erreichen. So achte ich zum Beispiel an meinem derzeitigen Haus in Nürnberg auf ein mindestens ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen auf Regie-Positionen. Es ist schon manchmal etwas hart, bei bestimmten Stellen aus der Szene zu hören „Da musst du dich gar nicht bewerben, die suchen eine Frau.“ – Andererseits ist mir erst in den letzten Jahren bewusst geworden, dass ich an so vielen Stellen auch von meinem Geschlecht profitiert habe. In Wien kann ich mir nun sicher sein: Ich bin genommen worden, obwohl ich ein Mann bin. Die Kommission und die Träger haben sehr deutlich gemacht, warum sie mich für diese Aufgabe für den geeignetsten Kandidierenden halten, das stärkt mir den Rücken und freut mich.

Was mir auffällt ist die Doppelgleisigkeit Ihres Arbeitens: Musik- und Sprechtheater. Wie steht beides bei Ihnen zueinander? Was lieben Sie mehr?

Ich liebe beides gleich. Schauspiel ist meine Heimat und die Offenheit des Erfindens ist jedes Mal ein Abenteuer. Eine ungeheuer bewegliche Kunstform auch im Sinne von Zeitgenossenschaft. Dafür ist die Oper noch mehr eine Kombination der unterschiedlichsten Kunstformen oder Bühnenmittel. Und gerade als recht musikalisch arbeitender Schauspiel-Regisseur kann man so viel von genialen Musikdramatikern wie Richard Strauss und Mozart lernen, wenn man sich intensiv mit ihnen beschäftigen darf.

Was mir weiter auffällt: Gloger bewirbt sich um Positionen in der Hierarchie des Theaters. Zu inszenieren ist doch schon anstrengend genug. Warum reicht es Ihnen nicht?

Inszenieren heißt für mich vor allem die Begegnung von unterschiedlichsten Künstlerinnen und Künstlern zu organisieren. Intendanten, die so ihren eigenen Beruf betreiben, habe ich mir als Regisseur immer gewünscht. Jetzt mache ich es selbst. Und die Ähnlichkeit existiert auch noch auf anderer Ebene: Ich möchte ein Theater schaffen, das man als ein Gesamtkunstwerk erlebt. Außerdem bietet uns das Repertoire- und Ensembletheater die Möglichkeit, über Jahre Kontinuitäten mit einem festen Team aufzubauen – nur so entsteht Vertrauen, und Vertrauen bei den Machern und beim Publikum ist das Wichtigste für mutige, avancierte Kunst.

Unter welchen Umständen ist für Sie das staatlich alimentierte Stadttheater, was viele Theaterleute schon abgeschrieben haben, doch potent und attraktiv?

Beispielweise unter diesen: Wenn es langfristige künstlerische Zusammenarbeit ermöglicht, Vertrauen aufbaut, Räume für Risiken bereithält und diese auch absichert. Aber Attraktivität hat auch etwas mit einem Programm zu tun, das sein Publikum findet – und zwar bitte nicht nur aus einer bestimmten Schicht oder Bubble. Ohne eine gewisse Breitenwirkung werden die alten, großen Theaterräume etwa wie im Volkstheater mit 830 Plätzen nicht mehr voll. Welche Themen bewegen die Leute, die wir als Publikum gewinnen wollen? Welche Themen kann das Theater besonders gut verhandeln, vielleicht besser als andere Kunstformen? Und wie schaffen wir es, mit Theater unersetzliche Erfahrungen zu kreieren. Im besten Fall holen wir die Zuschauenden ab und nehmen sie woanders hin mit. Außerdem glaube ich, dass wir ein starkes, öffentlich finanziertes Theater gerade jetzt als Ort von Komplexität und Verschiedenheit brauchen. Krieg und Populismus sind zwei schreckliche, fatale Vereinfachungsmaschinen, gegen die wir etwas setzen müssen.

Wie wichtig ist Ihnen Theater, das auch Gemeinschaft stiftet?

Sehr wichtig. Theater ist für mich ein Ort, an dem einem drohenden Zerreißen einer Gesellschaft ein kollektives Erlebnis unterschiedlichster Menschen entgegengesetzt wird – an dem gemeinsam gelacht, geweint, diskutiert, gestritten wird – das ist ein Theater, das wir uns unbedingt leisten müssen.

Das Volkstheater erlebe ich unter den drei großen Wiener Sprechtheatern – mit Burgtheater und Theater in der Josefstadt – als das wildere, junge Theater, das dem künstlerischen Risiko nicht ausweicht. Da werden Formen gemixt und – um ein Bild zu benutzen – es wird über den Rand hinaus gezeichnet. Staatstheater wie in Nürnberg, woher sie kommen, hat mit dem Volkstheater nichts zu tun. Trotzdem die richtige Adresse für Sie?

Ich weiß nicht, ob man das so gegenüberstellen muss. Wir haben in Nürnberg in einer 2000qm Industriehalle Mitmach-Theater als Erlebnisparcours über die Zukunft der Erwerbsarbeit gemacht, wir haben den Star der freien Szene Boris Nikitin ein Big-Brother-Stück auf der großen Bühne produzieren lassen, ich selbst habe ein großes Projekt mit Ensemblemitgliedern aus Schauspiel, Tanz, Oper und Orchester realisiert auf Basis eines sehr offenen, zeitgenössischen Textes von Thomas Köck. Wir probieren speziell für ein jüngeres Publikum viel aus. Solche Herangehensweisen lassen sich auf dem im Volkstheater geschaffenen Nährboden sicher gut fortsetzen. Und auch die Erfahrung mit klassischen Ästhetiken und einem eher psychologisch orientierten Literatur- oder Figurentheater und nicht zuletzt mit Komödien und Lacherfolgen ist vielleicht ganz brauchbar, um die erwähnte Breitenwirkung zu befördern.

Im Volkstheater werden neue Theaterkonzepte ausprobiert, aber auch Partys gefeiert – manchmal scheint es eher eine offene Lebensform anzubieten und nicht Theater. Wie findet sich Jan Philipp Glogers Art des Theaters in diesem Umfeld wieder?

Ganz gut, denn Theater organisiert Begegnung: Während und auch nach der Vorstellung. Ihre Beobachtung finde ich richtig: Das Volkstheater ist ein Partyhaus. Solange auch die Vorstellungen so energetisch wie Feste sind, ist doch nichts daran auszusetzen, dass man danach weiterfeiert. Und natürlich ist es zu begrüßen, wenn durch niederschwellige Angebote jüngere Menschen oder Menschen aus Milieus, die nicht klassisch theateraffin sind, ins Haus kommen, und vielleicht dann auch mal in eine reguläre Vorstellung gehen. Wir haben das in Nürnberg schon erlebt: Da sind Freitag abends zu unseren Late-Night Reihen manchmal 200 Leute im Theater, die aus ganz anderen Welten kommen.

Das Volkstheater besteht nicht nur aus dem wunderbaren Haupthaus vom Ende des 19. Jahrhunderts mit Blick auf Naturhistorisches Museum und MuseumsQuartier. Es bespielt auch ein Dutzend Spielstätten in den Wiener Gemeindebezirken. Chance oder Last?  

Chance. Eine der wichtigen Grundlagen, um in einer Stadt relevant zu sein und zu bleiben, heißt für mich „Wir kommen zu Euch – ihr kommt zu uns.“ Das haben wir auch in Nürnberg gemacht mit Audio-Walks in Randstadtteilen, mit Projekten an anregenden Orten in der Stadt und auch mit den oben erwähnten Late-Night-Programmen. Diese in den letzten 10 oder 15 Jahren sehr beliebten Formate haben am Volkstheater eine viel längere Tradition, es gibt das „Volkstheater in den Bezirken“ ja schon seit Jahrzehnten. Ich bin gerade damit beschäftigt, mir das genauer anzusehen und zu überlegen, wie das am besten aufzuziehen oder zu adaptieren ist.

Ein Grund für Ihre Berufung waren auch Ihre Erfahrungen mit digitalen Möglichkeiten für ein hybrides Theater, die sie in Nürnberg mit der Spielstätte XRT gemacht haben. Theater digital und hybrides Theater – damit das keine Schlagworte bleiben. An was denken Sie dabei?  

Dabei denke ich an Theaterformen, in denen eine Schauspielerin eine Szene mit einem Hologramm oder eine Projektion von einem anderen Menschen spielt, in dem die Zuschauenden sich mit VR-Brillen in digitalen Bühnenbildern bewegen, aber auch Theater, das eben mit digitalen Mitteln die Themen unserer digitalisierten Welt kritisch befragt. Am Schluss geht es um die Erschließung eines weiteren Theatermittels – und zwar behutsam, im Labor. Um die Abschaffung des Alleinstellungsmerkmals von Theater, nämlich dass echte Menschen vor echten Menschen stehen und sich live in Figuren verwandeln, geht es keinesfalls. 

Kaum ist der erste Mediendampf, den Ihre Berufung gebracht hat, verraucht, will man am liebsten erste Pläne von Jan Philipp Gloger für seine Intendanz wissen. Was können Sie schon verraten?

Noch nicht so viel! Die Pressekonferenz für mein Programm ist ja erst im Mai 2025. Ich kann sagen, dass ich das Theater gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern meiner Generation prägen möchte – etwa mit der Regisseurin Rieke Süßkow oder dem Theatermusiker Kostia Rapoport. Und einer von mehreren Schwerpunkten trägt aktuell den Arbeitstitel „Schauspiel und Musik“. Das hat etwas mit meinem musikalischen Hintergrund zu tun, aber auch damit, dass ich gerne eine Wiener Tradition aufgreifen möchte, die auf der Grenze zwischen Bedeutung und Klang, Sinn und Unsinn mit Sprache spielt und die Sprache und das Sprechen selbst thematisiert.

Karl Krauss hat mal gesagt: Was Deutschland und Österreich trennt, ist die gemeinsame Sprache. – Stellt Ihnen die gemeinsame Sprache womöglich eine Falle? Wie werden Sie sich als Deutscher in Wien einbringen?    

Das ist ein herrliches Zitat. Der spielerische Umgang mit Sprache, Sprechen und letztlich auch Identität scheint mir Teil der einer österreichischen Kultur zu sein, vielleicht auch vor dem Hintergrund der vielen Sprachen und Sprachräume der K.u.K-Monarchie. Dass in der heutigen, postmigrantisch geprägten Kultur Sprache und Sprechen als Identitätsstifter untersucht werden, gefällt mir. Und das geht freilich auch vor der Folie einer vielleicht unterschätzten kulturellen Differenz von deutsch und österreichisch. Wem gehört die Sprache? Wie erschafft Sprechen Realität? Wie sind Machtverhältnisse und Diskurshoheiten verteilt und codiert – all das kann Sprech-Theater untersuchen!

Sie sind aktiver Rotarier. Wie sind Sie mit dem Rotary Club Nürnberg in Kontakt gekommen?

Als der vorherige Nürnberg Staatsintendant Peter Theiler, auch Rotarier, als Intendant zur Semperoper wechselte, entstand seitens des Clubs der Wunsch, das Feld Kultur wieder zu besetzen – man kam auf mich zu.

Was bedeutet Rotary für Sie?

Rotary ist für mich eine Möglichkeit, über meine Arbeit am Theater hinaus positiv in die Gesellschaft hineinzuwirken und auch den interdisziplinären Dialog zu suchen – sei es in Form von Kritik und Austausch über das Theater, was ich sehr schätze, oder eben auch mal zu ganz anderen Themen und Projekten. Außerdem sehe ich im Engagement im ältesten Club der Region einen Weg in die Stadt und die Stadtgesellschaft hinein, die wir als Kulturinstitution auf unterschiedlichste Weise suchen und gehen.

Das Gespräch führte Michael Hametner.


Zur Person

Jan Philipp Gloger, RC Nürnberg, studierte Theater an der Uni Gießen bei Heiner Goebbels, später Regiestudium in Zürich. Erste eigene Inszenierungen in Sprech- und Musiktheater in München am Residenztheater, in Zürich, Düsseldorf und bei den Bayreuther Festspielen, später in Berlin und in Wien. Danach Leitender Regisseur in Mainz, seit 2018 Schauspieldirektor des Staatstheaters Nürnberg.