Porträt
Meister der Perfektion
Reinhard Ernst ist eher zufällig in Galerien gelandet und hat aus Leidenschaft eine bedeutende Sammlung für abstrakte Kunst aufgebaut. Nun zeigt er sie in einem Prachtbau, den der erfolgreiche Unternehmer der Stadt Wiesbaden schenkt.
Der "Zuckerwürfel" glänzt hinter grünen Platanen und vor blauem Himmel in einem magischen Weiß. "Die Fassade besteht aus 6000 Platten Bethel-White-Granit. Die Blöcke stammen aus Vermont in den USA", erklärt Reinhard Ernst vor dem Eingang seines Museums für abstrakte Kunst in der Wiesbadener Wilhelmstraße. "870 Ecksteine wurden aus dem Vollen gefräst, so dass an den Kanten keine Fugen sind und ein monolithisches Erscheinungsbild entsteht."
Der Gründer strahlt, wenn er über den vom japanischen Stararchitekten und Pritzker-Preisträger FumuhikoMaki entworfenen Prachtbau spricht. Das "Museum Reinhard Ernst" (mre) ist ein neues Museum von Weltrang, in dem sich Architektur, Malerei, Installation, Glaskunst und Skulptur zu einem Gesamtkunstwerk vereinen. Die Einheimischen haben den aus vier Quadranten zusammengesetzten Kubus erst kritisch beäugt, dann aber schnell liebevoll "Zuckerwürfel" getauft.
Aus Langeweile in die Galerie
Wir gehen durch die Drehtür und schauen auf eine dreiteilige Eduardo-Chillida-Skulptur aus Cortenstahl und einen japanischen Fächerahorn im verglasten und nach oben offenen Atrium. Das neun Tonnen schwere Werk des verstorbenen spanisch-baskischen Bildhauers Buscandola luz III ("Auf der Suche nach dem Licht") ist für Ernst von unschätzbarem Wert. "Ich war überrascht und froh, dass ich diese Skulptur, die mich schon lange fasziniert hatte, bei Sotheby’s ersteigern konnte", erläutert er.
Auf der rechten Seite sticht eine monumentale, farbenprächtige Glasarbeit von Katharina Grosse ins Auge ("eine wahnsinnige Farbenpracht"), am Ende des Gangs eine weitere eindrucksvolle Glaskunst, mit der Karl-Martin Hartmann den Klimawandel aufgreift.
Beim Blick in die Höhe wecken die Spitzen der herrlichen Bronze-Skulpturen von Tony Cragg Neugier, links versperrt eine Installation von Bettina Pousttchi aus feuerroten Leitplanken den Durchgang ins eigentliche Museum. Das Foyer ist frei zugänglich.
Schüler kommen auch in die Ausstellung kostenlos, vormittags gehört ihnen das Museum sogar allein. Als "Klassenzimmer" dient ein "Farblabor", in dem sie mit pädagogischer und elektronischer Hilfe Farben und Figuren erzeugen können. Das kostet die Reinhard & Sonja Ernst Stiftung als Betreiber jährlich rund 200. 000 Euro.
Vom Erdgeschoss aus geht’s in den Veranstaltungssaal, der angemietet werden kann, in das vom bekannten Wiesbadener Gastronomen Günter Gollner betriebene Restaurant "rue 1" und in die Sonderausstellung, die sich über zwei Etagen hinzieht. Die erste würdigt Maki. Das Museum Reinhard Ernst ist das zehnte Museum des Japaners und das einzige in Europa. Die Schau zeigt Modelle einiger der herausragenden Projekte des 95-Jährigen, darunter des Towers 4 World Trade Center in New York.
In den beiden oberen Etagen fallen zunächst die eleganten Treppen auf; die gesamte Innenarchitektur und die Atmosphäre faszinieren. "Die Planken für die Böden aus astarmer Eiche habe ich in Österreich ausgesucht", berichtet Ernst. Alle Räume sind unterschiedlich groß, keine Wand steht über der anderen. Diese Vorgabe erforderte den Einbau von 2600 Tonnen Stahl – dies entspricht mehr als einem Drittel der metallischen Struktur des Eiffelturms.
Und dann die Ausstellung: auf einer Fläche von 2500 Quadratmetern in neun Räumen und teilweise Fluren das Best-of aus seiner Kollektion. "Das ist wahrscheinlich das einzige Museum weltweit, in dem ausschließlich abstrakte Kunst gezeigt wird", sagt Ernst. Er kenne auch keine vergleichbare Sammlung. Der ebenso weltmännische wie bodenständige Unternehmer hat seit Mitte der 1980er Jahre rund 900 Gemälde und 60 Skulpturen gekauft und sich auf abstrakte deutsche und europäische Nachkriegskunst, abstrakte japanische Kunst und abstrakten amerikanischen Expressionismus konzentriert - eng verzahnte kunsthistorische Strömungen. "Auch die Künstlergruppen sind etwas Besonderes", betont Ernst.
"Ich kaufe nicht nach Namen", erklärt er. "Es kommt nur darauf an, dass mir das Kunstwerk spontan gefällt, abstrakt und ausdrucksstark ist." Wenn diese Kriterien erfüllt sind, fließt neben dem Preis auch Hintergrundwissen in die Entscheidung ein; etwa Gemeinsamkeiten der Sammlungsschwerpunkte und der Gruppen zugeordneter Künstler.
Die Liebe zur Kunst ist ihm nicht in die Wiege gelegt worden. Weil ihm auf einer Geschäftsreise in Paris langweilig war, ging der Manager 1982 erstmals in eine Galerie. Für die Dekoration der Wohnung kaufte er zwei Papierarbeiten. Als die Wände des Eigenheims voll waren, suchte Ernst Wandschmuck für die Verwaltung der Firma und konnte sich schließlich nicht mehr bremsen. Nun musste ein Depot her.
Das größte Werk besteht aus 18 Bildtafeln, verläuft über Eck und ist 20,5 Meter lang. Das größte Gemälde ist zwölf Meter breit und drei Meter hoch (von Damien Hirst).
"Ich kenne in der Qualität der Ausstattung kein besseres Kunstmuseum."
Für das Motto "Farbe ist alles!" steht stellvertretend seine Lieblingsmalerin Helen Frankenthaler. Auf Highlights in der ersten Ausstellung will er sich nicht festlegen. "Alles Meisterwerke", schwärmt Ernst in einer 13 Meter hohen Halle mit Kuppel, die das Tageslicht gefiltert lenkt. Unter den 60 ausgewählten Positionen nennt er deshalb in alphabetischer Reihenfolge unter anderem Karl Otto Götz, Hans Hartung, Yuichi Inoue, Lee Krasner, Morris Louis, Tal R, Judith Reigl, Pierre Soulages, Toko Shinoda, Frank Stella, Atsuko Tanaka und Wolfgang Tilmans und Inoue Yüichi.
In der Qualität kompromisslos
Das mre gehört zu den ganz wenigen Kunstmuseen in Deutschland, die ohne öffentliche Gelder gebaut worden sind und betrieben werden. Ein Geschenk der Reinhard & Sonja Ernst Stiftung an die Landeshauptstadt im Wert von mehr als 100 Millionen Euro. Die Baukosten summieren sich auf gut 80 Millionen Euro, hinzu kommen die Exponate.
Nach einem Bürgerentscheid hat die Stadt das knapp 6000 Quadratmeter große Filetgrundstück in der Wilhelmstraße 1, früher Standort des im Krieg zerstörten "Grandhotel Victoria" und jahrzehntelang ein Parkplatz, kostenlos zur Verfügung gestellt. Oder korrekt: Für eine symbolische Pacht von einem Euro im Erbbaurecht für 99 Jahre.
Vom ersten Spatenstich bis zur Eröffnung am 23. Juni hat es fast fünf Jahre gedauert, doppelt so lang wie geplant. In dieser Zeit erlebte der Stifter enttäuscht, dass verschiedene Handwerksfirmen den hohen Anforderungen des Architekten und des Bauherrn nicht genügten. Pandemie, Ukraine-Krieg, personelle Ausfälle und Lieferengpässe trugen zur Verzögerung bei, doch es lag auch an ihm, dass es nicht schneller voranging. Der Wiesbadener kümmerte sich persönlich um jede vermeintliche Kleinigkeit. Wo andere Bauherren vielleicht mal ein Auge zudrücken, schaut er umso genauer hin. Im Streben nach Qualität ist Ernst kompromisslos. Er gibt sich nur mit der besten Lösung zufrieden. Mit diesem Anspruch sowie mit Akribie, Leidenschaft und Können hat Reinhard Ernst in Limburg zwei erfolgreiche Unternehmen für Antriebstechnik entwickelt ("Harmonic Drive" und "Ovalo") – und dieses Credo gilt auch für das Kunstmuseum.
"Jetzt stimmt jedes Detail"
Heute fühlt er sich bestätigt. "Wenn ich mich nicht um alles gekümmert hätte, wären wir immer noch nicht fertig. Und es wäre nicht so schön und perfekt geworden", sagt der 78-Jährige. Dass es wunderschön ist, sieht man auf Anhieb. Die Perfektion erkennen Fachleute.
Reinhard Ernst gehört nicht zur Spezies der Lautsprecher, privat ist er eher zurückhaltend, aber wenn es um das mre geht, zeigt sich seine Begeisterung. "Ich kenne weltweit kein besseres Kunstmuseum, was die Qualität der Ausstattung, die Zweckmäßigkeit und die Technikbetrifft", sagt er. "In den Bau sind 200 Punkte eingeflossen, die mich woanders gestört und die wir optimiert haben." Als Beispiele nennt er die Beleuchtung und die Akustik.
"Jetzt stimmt jedes Detail, von A bis Z ist alles durchdacht", freut sich Ernst und zeigt beispielhaft auf eine Fuge, die er nachträglich schneiden ließ. "Hat viel Geld gekostet, musste jedoch sein.
Das lange Warten habe sich gelohnt, meint er. Heute sei fast alles so, wie er es sich vorgestellt und gewünscht habe.
Sein Lebenswerk? "Nein", sagt der Stifter. "Mein Lebenswerk war der Aufbau von zwei erfolgreichen Unternehmen aus dem Nichts. Fast 500 Menschen Arbeit zu geben, hat für mich eine viel größere Bedeutung." Das Kunstmuseum sei Herzensangelegenheit.
Die Gesellschaft profitiert auch darüber hinaus von seinem Mäzenatentum. Die Stiftung des kinderlosen Ehepaars fördert zahlreiche soziale und kulturelle Projekte, darunter eine Musikschule in Eppstein, ein Kinder- und Altenzentrum in Natori (Japan) und die Sanierung von Baudenkmälern.
Reinhard Ernst braucht kein Denkmal, um sich in den Blickpunkt zu stellen. Der sympathische, gertenschlanke Mann füllt den Raum, selbst wenn er am Rande steht. Seine innere Zufriedenheit ist spürbar, seine positive Lebenseinstellung steckt an. Er hat eine Ausstrahlung, die mit Charisma unzureichend beschrieben ist. Freunde, Wegbegleiter, Geschäftspartner und Mitarbeitende heben neben seinen herausragenden Leistungen unisono seine Menschlichkeit hervor. Keiner, der ein schlechtes Wort über ihn verliert, jeder hat gern mit ihm zu tun. Das Gefühl für Menschen bewertet der gläubige Katholik als seine beste Eigenschaft. "Ich weiß, dass ich beruflich, privat und nun auch im Museum ohne andere nichts bewegen kann", sagt er.
Reinhard Ernst ist ein Meister der Kunst, vorbildlich mit Menschen umzugehen und sie für sich und seine Sache zu begeistern.
Joachim Heidersdorf
Zur Person:
Reinhard Ernst, RC Limburg, ist gelernter Speditionskaufmann. 1971 wechselte er zu Harmonic Drive (HD). 1986 übernahm Ernst mit drei Kollegen die schwächelnde Firma und entwickelte sie in Limburg zum Weltmarktführer für hochpräzise Antriebstechnik. 2010 gründete er in der Nachbarschaft die Ovalo GmbH, die im Gegensatz zu den kleinen Stückzahlen von HD Antriebssysteme in Großserien produziert. Bis zum Verkauf an einen japanischen Konzern 2018 war er auf das gute Betriebsklima ebenso stolz wie auf die Bilanzen. Reinhard Ernst ist seit 1991 Mitglied im RC Limburg, der RC Wiesbaden ernannte ihn 2022 zum Ehrenmitglied.
Museum Reinhard Ernst
Wilhelmstraße 1
65185 Wiesbaden
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag 12 – 18 Uhr
Mittwoch 12 – 21 Uhr
Montags geschlossen
Eintrittspreise:
Erwachsene 14 Euro
Ermäßigt 12 Euro
für Jugendliche bis 18 Jahre frei