Titelthema
Rotary in Zeiten der Diktatur – und in den Jahren danach
Die Arbeit der Forschungsinitiative: „Rotary in Deutschland von der Mitte der 1920er bis zur Mitte der 1950er Jahre“
Wie soll sich Rotary verhalten, wenn ein Staat demokratische Rechte mit Füßen tritt und humanistische Prinzipien diskreditiert? Wenn aber ein die Menschenrechte verachtender Staat zu demokratischen Regeln zurückkehrt: Wie kann Rotary in solchen Ländern neu aufgebaut werden, ohne auf Unterstützer des alten Regimes zu verzichten? Am Beispiel Deutschlands in der NS-Zeit und in der Nachkriegsphase lassen sich diese Fragen exemplarisch und quellengenau erforschen.
Rotary hatte in Deutschland und Österreich Mitte der 1920er Jahre weltoffen begonnen. Doch kaum nach der Machtübergabe an Hitler und die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 standen die deutschen Rotarier und zunehmend auch die österreichischen vor der Frage, wie mit dem rasch zunehmenden Rassismus, dem Führerprinzip und der nationalistisch-völkischen Ideologie umzugehen sei. Männer jüdischen Glaubens und freier Gesinnung mussten die deutschen Clubs verlassen, ja wurden von ihren eigenen Clubfreunden ausgeschlossen. Widerstand gab es kaum. Bis zur Auflösung Rotarys 1937 wurden noch neue Clubs im NS-Geist gegründet. Im folgenden Krieg besetzte Deutschland weite Teile Europas und verbot Rotary überall: Juden, Freimaurer, Sozialdemokraten, Marxisten, Intellektuelle wurden verfolgt und ermordet. Aufgearbeitet ist diese Zeit bisher unzureichend.
Ein Forschungsprojekt entsteht
Im Winter 2015/16 entstand jedoch eine rotarische Forschungsinitiative: „Rotary in Deutschland von der Mitte der 1920er bis zur Mitte der 1950er Jahre“, die mit einem ähnlichen Vorhaben in Österreich kooperiert. Das deutsche rotarische Projekt geht auf drei Initiativen zurück. Der Länderausschuss Deutschland-Israel (LADI) hatte auf Anregung von Frd. Gideon Peiper (RC Ramat Hasharon) bereits 2012/13 die in den Jahren ab 1927 und bis 1937 bestehenden Altclubs in Deutschland angeschrieben und nach dem Schicksal der Freunde jüdischer Herkunft gefragt. Die Ergebnisse blieben unvollständig. Im Herbst 2015 hatte Kurt-Jürgen Maaß (RC Stuttgart-Wildpark) im Rotary Magazin angemahnt, dass eine Aufarbeitung der Geschichte Rotarys in Deutschland während der NS-Zeit in Gänze zwingend geboten sei. Im Gefolge dieses Aufrufes lud ich zu einem ersten Treffen im März 2016 nach Hannover ein und darf seither die Expertenrunde koordinieren, die mittlerweile auf 60 Personen aus 47 Clubs angewachsen ist, überwiegend Zeithistoriker, Archivare und Autoren zur Geschichte Rotarys – eine echte rotarische Basisinitiative.
Bisher fanden sechs Sitzungen des Expertenkreises statt. Anfangsaufgabe war die Materialerhebung (zeitgenössische Quellen, Fachliteratur). Fünf konkrete Vorhaben stehen im Mittelpunkt.
1.Bereits in der ersten Sitzung des Expertenkreises war grundsätzlich entschieden worden, eine Publikation über diejenigen Freunde zu verfassen, die deutsche Rotary-Clubs ab 1933 hatten verlassen müssen wegen ihrer jüdischen Herkunft oder auch wegen Berufsverboten bzw. politischen Missliebigkeiten (Gedenkbuch). Die Detailarbeit hieran hat begonnen.
2. Eine bis zum Frühjahr 2019 fertigzustellende Broschüre in englischer und deutscher Sprache soll sehr knapp, anschaulich und allgemeinverständlich über den Zwischenstand des Projekts unterrichten. 19 Mitglieder des Expertenkreises haben sich bereiterklärt, als Autoren mitzuwirken. Die Manuskripte werden jetzt für den Druck bearbeitet und übersetzt. Geeignete Möglichkeiten, die Broschüre den Besuchern der World-Convention in Hamburg 2019 zu präsentieren, werden derzeit vorbereitet.
3. Aus dem Expertenkreis soll im Kontext von Forschungen zu Bürgerlichkeit und Eliten ein universitärer Drittmittelantrag für ein Post-Doc-Projekt zu Formen der Vergemeinschaftung in Clubs und Vereinen von der Weimarer Republik bis zur frühen Bundesrepublik erarbeitet werden – mit dem Schwerpunkt Rotary. Die mittlerweile vom Expertenkreis zusammengetragenen Materialien über die Clubs und zu einzelnen Themen sollen die Forschungen der das Projekt bearbeitenden Personen im Sinne einer erweiterten Quellenbasis erleichtern. Ob und wie das Drittmittelprojekt finanziert wird, ist noch offen.
4. Paul Erdmann (RC Stuttgart), Mitwirkender im Expertenkreis, legte 2016/17 ein umfangreiches und alle Aspekte ausleuchtendes Manuskript zu „Rotarier unterm Hakenkreuz. Anpassung und Widerstand in Stuttgart und München“ vor, für dessen Drucklegung der Expertenkreis sorgte. Die gesamte Bandbreite von vorauseilender Anpassung an das NS-Regime bis zu den Hoffnungen, die humanitären Ideale Rotarys zu bewahren, wird deutlich. Das 980 Seiten starke Werk erschien im März dieses Jahres im Salier-Verlag (Leipzig). Es ist die bisher umfassendste Aufarbeitung der damaligen Geschichte am Beispiel zweier Clubs. Weiterhin gibt es etliche Clubs aus der Zeit vor 1933, die keine Aufarbeitung ihrer damaligen Geschichte in Angriff genommen haben. Die Forschungsgruppe sieht es daher als eine ihrer wichtigen Aufgaben an, hier Hilfestellungen zu leisten.
5. Die von Peter Diepold (RC Göttingen) betreute Internetseite (Informationen unter de.rotary.de/dgr/Expertenprojekt und memorial.d-1800.org/index.php) berichtet fortlaufend über das Vorhaben. Die Fülle der mittlerweile zusammengetragenen Quellen und Auswertungen ist eine Fundgrube für die Geschichte Rotarys in Deutschland. Inzwischen sind alle Rotarier des ehemaligen Distrikts 73 aus den Jahren 1932 bis 1936 erfasst.
Zu lange hatte es gedauert, bis sich – über einzelne Clubs hinaus – Rotary in Deutschland mit seiner eigenen Vergangenheit in der NS-Zeit beschäftigte. Friedrich von Wilperts die Zeitgenossen sehr schonende Aufarbeitung von 1963 blieb lange Zeit ungedruckt. Mit der Wiedervereinigung 1989/90 änderten sich die Voraussetzungen für ein wissenschaftlich fundiertes Herangehen grundlegend. Seither wurden die Quellen der 1920er und 1930er Jahre erschlossen, die 1937 von den Clubs an die Gestapo abgegeben worden waren. Diese Akten waren nach Kriegsende in die Sowjetunion transportiert, 1957 aber größtenteils an die DDR übergeben worden.
Erkenntnisse
Deutschland galt für Rotary International nach dem Ersten Weltkrieg als instabil, aber wichtig. Ein Fehlstart sollte vermieden werden. Eher bot sich Österreich an, um von hier aus den südosteuropäischen Raum für Rotary zu erschließen; 1925 wurde deshalb in Wien der erste Club gegründet.
Im Frühjahr 1927 lernte der ehemalige Reichskanzler und Vorstandsvorsitzende der Hamburg-Amerika-Linie (Hapag) Wilhelm Cuno in den USA Rotary kennen und legte dank des nachdrücklichen Engagements des Dänen Thomas Christian Thomsen (RC Aarhus/Dänemark), den Grundstein für die Clubgründung in Hamburg. Frankfurt folgte unmittelbar. Nur wirtschaftlich bedeutende Städte sollten Zentren für Rotary werden. Am 1. Juli 1929 entstand ein gemeinsamer Distrikt für Deutschland und Österreich. 1933 gab es 1.700 Rotarier in 44 Clubs in Deutschland und 11 Clubs in Österreich.
Rotary war bereits vor 1933 in der nationalsozialistischen Presse angegriffen worden: als angeblich amerikanisch, freimaurerisch, jüdisch gesteuert, geheimbündlerisch, pazifistisch, deutsche Interessen verratend. Vorherrschende Meinung der Rotarier jedoch war, der neuen Regierung zu vermitteln, dass der internationale Charakter der Organisation durchaus zu deutschen politischen Interessen passe. Nach englischem und italienischem Vorbild wurde an ein „Deutsches Rotary“ gedacht. Umgehend legten einige Clubs ihren jüdischen Mitgliedern den Austritt nahe, andere wollten ihre Mitglieder insgesamt schützen.
Radikal ging München gegen jüdische Mitglieder und Gegner des Nationalsozialismus vor. Bekannt ist der Ausschluss von Thomas Mann. Stuttgart hingegen versuchte liberale und humanitäre Prinzipien aufrechtzuerhalten. Generell lässt sich feststellen: Etliche Berufsbeamte und vor allem NS-Kader verließen Rotary bereits 1933, um sich ihren Karriereweg nicht zu verbauen. Sofern Clubs die Hitler-Regierung skeptisch beurteilten, wurde dies kaum aus Protokollen ablesbar diskutiert. Ausnahmen waren Heidelberg und Mainz, die als Konsequenz des Drucks die Selbstauflösung beschlossen. Insgesamt dominierte allerdings die Anpassung.
Anlässlich der Leipziger Distriktkonferenz im Januar 1934 zum ersten Jahrestag der „nationalen Erhebung“, betonte der Governor: „die Ziele der NSDAP und die Ziele Rotarys [sind] die gleichen“ und ergänzte, die höchsten Ziele seien der Dienst an der Allgemeinheit und die „Reinheit im Berufsleben“. Die Gesamtzahl der Rotarier hatte sich inzwischen von 1.700 Mitgliedern (1932) auf 1.200 (1934), also um etwa 30 Prozent, vermindert: teils einseitig ausgeschlossen oder herausgedrängt, teils durch Austritt aus übereifriger Anpassung an das Regime. Genaue Zahlen sind noch nicht ermittelt, weil jeder Einzelfall überprüft werden muss. In einzelnen Clubs gehörte 1936 die Hälfte der Mitglieder der NSDAP, der SA oder SS an.
Sozialspenden gingen damals u.a. an das NS-Winterhilfswerk, Tischflaggen mit dem Hakenkreuz verbreiteten sich, zunehmend wurden der „Deutsche Gruß“ und „Sieg Heil“ verwendet. Die Gestapo beobachtete die Clubs dennoch misstrauisch, so dass diese politische Themen vermieden, nichtsdestoweniger aber anlässlich der gänzlich undemokratischen Reichstagswahlen vom 29. März 1936 dafür warben, der NSDAP die Stimme zu geben. Ausländische Gäste passten sich dem an, so bereits 1934 rotarische Gäste aus England: ein Hoch auf den Reichspräsidenten, Deutschlandlied einschließlich Horst-Wessel-Lied und „Deutscher Gruß“. Rotary International vermied offenbar jegliche Stellungnahme zur Verdrängung der jüdischen Mitglieder. Nach 1933 wurde Deutschland mehrfach von Weltpräsidenten von Rotary International besucht. Das NS-Regime kritisierte keiner von ihnen, weder in Deutschland noch nach ihrer Rückkehr in die USA. In den Jahren von 1933 bis 1937 wurden noch weitere neue Clubs gechartert, selbstverständlich mit Zustimmung der NSDAP.
Auflösung und Neugründung
Die Olympischen Spiele 1936 täuschte die Weltöffentlichkeit über die rassistische und kriegsvorbereitende NS-Ideologie. Danach ging es jedoch schnell: Wehrmachtangehörige durften seit 1936, Beamte seit 1937 nicht mehr Rotarier sein. Hiermit könnte die Zahl der Rotarier sich gar bis zur Hälfte verringert haben. In Hannover verließen nach diesen Verboten im September 1936 fünf SS-Angehörige und im Juni/Juli 1937 14 Beamte den Club.
Am 23. August 1937 stand dann im Völkischen Beobachter zu lesen: „Wer in Deutschland führen will, kann … keiner … international[en] … Gemeinschaft … angehören.“ Ungeachtet bemühte sich Governor Hugo Grille (RC Berlin, seit Mai 1933 NSDAP-Mitglied), um das Wohlwollen von Partei und Staat. In seiner mit rotarischen Freunden erarbeiteten Denkschrift vom August 1937 rühmte er die „unerschütterliche Treue“ der Rotarier zum Führer, garantierte, dass es keine jüdischen Mitglieder mehr gebe, versicherte, fortan alle rotarischen Beschlüsse vorab von Partei und Staatsführung genehmigen zu lassen, und bat darum, dass ein „herausragendes Mitglied der Partei- und Staatsführung den Ehrenvorsitz“ über ein deutsches Rotary übernehmen möge. Offenbar war an Hermann Göring gedacht.
Am 4. September 1937 fand die eingangs genannte Tagung aller deutschen und österreichischen „Clubführer“ in Berlin statt. Dem drohenden Verbot zuvorkommend, wurde beschlossen, alle deutschen Clubs zum 15. Oktober 1937 aufzulösen. Es gab auf unterschiedlichen Ebenen noch etliche, allerdings erfolglose Versuche verschiedener Rotarier, über persönliche Beziehungen ins „Braune Haus“, die Entscheidung der NSDAP gegen Rotary zurückzunehmen. Der Hamburger Club suspendierte sich ebenfalls nach der Berliner Tagung, sein Präsident schlug jedoch eine faktisch völlige „Gleichschaltung“ aller Clubs vor und ein Einsetzen aller Amtsträger durch die NSDAP. – Die elf österreichischen Clubs lösten sich nach der Eingliederung des Landes in das Deutsche Reich zum 18. März 1938 auf. Manche rotarischen Netzwerke bestanden nach 1937 als Freundeskreise fort, teils auch mit festen Treffen.
Und nach dem Zweiten Weltkrieg? Viele Rotarier der Jahre 1936/37 nahmen in den Folgejahren hohe Positionen in Wirtschaft, Verwaltung, Rechtswesen und Militär ein; manche Rotarier der Neu- und Wiedergründungsphase ab Ende der 1940er Jahre ebenfalls. Neue Clubs recherchierten offenbar nicht immer genügend sorgfältig, wer (wieder-)aufgenommen wurde.
Zur Gründungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland gehört, dass sie in vielen Bereichen mit Personen begann, die im Nationalsozialismus Verantwortung trugen, ja auch Täter waren. Nur wenige bekannten sich zu ihrer Vergangenheit. Dass von Wilperts Buch so lange nicht publiziert wurde, ist daher nicht verwunderlich. Dass ein Forschungsprojekt über Rotary in der NS-Zeit auch die Wieder- und Neugründungsphase Rotarys im Blick haben muss, ergibt sich ebenso zwangsläufig. Auch hier ist noch einige Forschungsarbeit zu leisten.
Die Mitglieder der Expertengruppe arbeiten ehrenamtlich und ohne Kostenerstattungen. Einige der zusammengetragenen Materialien aber können nur gewonnen werden, weil z.B. studentische Hilfskräfte beschäftigt werden. Darüber hinaus entstehen u.a. Kosten bei der Aufbereitung von Daten oder für die Drucklegung der o.g. Broschüre. Deshalb wurde bei RDG ein Spendenkonto eingerichtet:
RDG Düsseldorf
IBAN DE80 3007 0010 0394 1200 00
Verwendungszweck: Projekt P2410: Völkerverständigung + Clubnummer des Spenders.
Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer, RC Calenberg-Pattensen, war bis 2013 Professor für Geschichte des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit sowie Regionalgeschichte an der Leibniz Universität Hannover. 2009 erschien „Geschichte Niedersachsens“ (C.H. Beck). Er ist Koordinator der Forschungsinitiative „Rotary in Deutschland von der Mitte der 1920er bis zur Mitte der 1950er Jahre“.
Kontakt: hauptmeyer@hist.uni-hannover.de
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