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Schutz vor den Nazis
Ein neues Buch und eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt zeigen schaurige Orte, an denen sich Juden während der Shoah vor den Nazis versteckten.
Im Jüdischen Museum Frankfurt ist bis zum 1. September die Schau „Architekturen des Überlebens“ von Natalia Romik zu sehen, die sich gleichermaßen Geschichte, Kunst und Forensik widmet. Sie versteht sich auch als eine „Hommage“ an die Verstecke von polnischen Jüdinnen und Juden während der Shoah. Auch der jetzt bei Hatje Cantz erschienene Katalog zur Ausstellung zeigt diese Architekturen des Überlebens. Verstecke in Baumhöhlen, Wandschränken, Kellern, Kanalisationsschächten oder leeren Gräbern: prekäre Orte allesamt, die doch für eine gewisse Zeit Schutz gewährten und ein Überleben möglich machten.
Ausstellung und Buch sind das Ergebnis eines mehrjährigen Forschungsprojekts der polnischen Künstlerin, Architektin und Historikerin Natalia Romik. Wir sehen in der Schau Kunstwerke, Skulpturen, dokumentarische Filme, forensische Aufnahmen sowie authentische Fundstücke aus den Verstecken und können auch Aufnahmen von Interviews mit Überlebenden und Hinterbliebenen hören.
So diente etwa der Stamm einer riesigen Eiche als Zufluchtsort für die beiden jüdischen Brüder Dawid und Paul Denholz. Noch heute steht die „Josefseiche“ im Park des Schlosses von Wiśniowa im Karpatenvorland. 2019 wurde die Eiche von Natalia Romik untersucht, nachdem sie durch die lokale Bevölkerung von dem Versteck erfahren hatte. Im Stamm entdeckte Romik noch Spuren aus der Zeit des Verstecks: Holzstufen im Inneren. Die beiden Brüder konnten 1942 aus dem Konzentrationslager Plaszow in Krakau fliehen und hatten verschiedene Verstecke in Wäldern und auch auf Bauernhöfen.
Teil der Ausstellung ist etwa ein Kunstharz-Abguss eines Fragments der Josefseiche – mehrere solcher Abgüsse von Verstecken hat Romik zu symbolhaftparadoxen Skulpturen entwickelt, die allesamt zwei unterschiedliche Oberflächen haben. Eine helle, versilberte, kostbare sowie eine dunkle, raue Seite.
Des Weiteren ist ein großer Holzschrank zu sehen, in dessen Innerem sich Kinderzeichnungen befinden. Er diente als Schutzraum vor Verfolgung und Tod in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Auch diese Architektur des Überlebens wird neben den anderen Verstecken (wie der Gipshöhle Verteba in der heutigen Ukraine) in der Ausstellung und im Katalogbuch vorgestellt. Im Buch finden wir umfassende thematische Essays sowie Gespräche – und Fotografien jener engen, düsteren, bisher unsichtbaren Orte, die nun sichtbar werden.
In einem einführenden Text erinnert die Frankfurter Museumsdirektorin Mirjam Wenzel an das Versteck der Familie von Anne Frank in einem Amsterdamer Hinterhaus, an das Leben des Mädchens auf wenigen Quadratmetern – ein Leben in permanenter Gefahr, an einen Alltag unter maximalen Einschränkungen. „Was das Tagebuch bezeugt, setzt die Ausstellung in Szene“, schreibt Wenzel. „Auch hier wird die Kreativität und der Überlebenswillen von Jüdinnen und Juden spürbar, die dem sicheren Tod im Versteck zu entkommen suchten.“
Die dargestellten Zufluchtsstätten, diese „Architekturen des Überlebens“, erzählen von Enge, Feuchtigkeit, von Beklemmung. Ein ganz ungewöhnliches, interdisziplinäres Projekt, eine „künstlerische Teilrekonstruktion“, die – zu einem Buch verdichtet – enorm viel Informationen bereithält, aber auch als eine ganz gegenwärtige, aktuelle Hinwendung an Menschen auf der Flucht zu verstehen ist.
Marc Peschke
Ausstellung:
bis 01.09.2024
im Jüdischen Museum Frankfurt,
Di–So 10–17 Uhr, Do bis 20 Uhr
Natalia Romik
„Architekturen des Überlebens“
Hatje Cantz 2024,
148 Seiten, 34 Euro