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DER »NAUMBURGER MEISTER« – BILDHAUER UND ARCHITEKT IM EUROPA DER KATHEDRALE

Uta von Naumburg empfängt Europa

Holger Kunde03.06.2011

Die Naumburger Stifterfigur Uta (Abb. oben) ist dank ihrer außergewöhnlichen Ausstrahlung und ihrer steten medialen Präsenz seit den 1920er Jahren tief im deutschen und europäischen Bildgedächtnis verhaftet und genießt bis heute ununterbrochene Popularität. Ihr namenloser Schöpfer, der nach seinem erhaltenen Hauptwerk – dem Naumburger Westchor – von der kunsthistorischen Forschung den Namen „Naumburger Meister“ verliehen bekam, ist einem breiteren Publikum hingegen weniger bekannt.

Der anonyme Meister prägte entscheidend die europäische Kunst- und Kulturgeschichte und zählt zu den wenigen Persönlichkeiten des europäischen Hochmittelalters, dessen Wirken sich anhand der erhaltenen Werke über zahlreiche Stationen quer durch Europa nachvollziehen lässt.

Beseelte Figuren

Die Werke des Meisters und seiner Werkstatt sind von außergewöhnlicher Ausdruckskraft und höchster Qualität. Ungemein lebendig, realitätsnah und ausdrucksstark sind Gesichter, Gesten und Bewegungen wiedergegeben. Die Figuren wirken wie beseelt, die Darstellungen von Pflanzen auf Kapitellen und Schlusssteinen sind von kaum zu überbietender Realitätsnähe und Feinheit. Dank der engen Kooperation mit dem Louvre, dem Musée National du Moyen Age in Paris sowie zahlreichen weiteren bedeutenden Museen, Sammlungen, Institutionen und Wissenschaftlern des In- und Auslandes kann sich nun zum ersten Mal ein international ausgerichtetes Ausstellungsvorhaben dem Werk des Naumburger Meisters und seiner Verortung im europäischen Kontext der Mitte des 13. Jahrhunderts widmen. Unter dem Titel „Der Naumburger Meister – Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen“ findet vom 29. Juni bis 2. November 2011 in Naumburg die Landesausstellung des Landes Sachsen-Anhalt statt. Sie wird gemeinsam von den Vereinigten Domstiftern zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz mit der Stadt Naumburg durchgeführt.

Ausgehend von den gesicherten Stationen vor und nach Naumburg – Mainz und Meißen – beleuchtet die Ausstellung die Entstehung der „Naumburger“ Werkstatt und ihres Meisters in Reims, Noyon, Coucy, Metz und Iben. Zugleich werden die Voraussetzungen für diese Kunstwerke in den Blick genommen. Insbesondere wird der Einfluss von Architektur und Plastik von Reims – der Krönungskathedrale der französischen Könige – auf Europa hervorgehoben. Doch reicht der thematische Spannungsbogen weiter: von der (Wieder-)Entstehung des „Architektenstandes“ im Hochmittelalter über die theologisch bzw. herrschaftssymbolisch aufgeladenen Intentionen der Bauherren – d.?h. der Domkapitel, Bischöfe und Fürsten –, bis zur Vermenschlichung des Christusbildes infolge neuer religiöser Bewegungen. Die Hinwendung zum Naturstudium infolge der Aristotelesrezeption und die Vermittlung neuer Ideen durch die Universitätsaufenthalte in Paris werden ebenso wie die ritterlich höfische Kultur und ihre folgenreiche Ausprägung unter Ludwig dem Heiligen von Frankreich thematisiert.

Einblicke in das Hochmittelalter

Hochkarätige Kunstwerke der Skulptur, der Schatzkunst sowie der Glas- und Buchmalerei aus Frankreich, Deutschland, Polen, Großbritannien sowie den USA und weiteren Ländern ermöglichen diese einzigartigen Einblicke in die hochmittelalterliche Kunst- und Kulturgeschichte. Ein separater Ausstellungsteil befasst sich mit der Rezeption der Werke des Naumburger Meisters und hier insbesondere mit der nationalistisch bedingten Vereinnahmung der Stifterfigur Uta vor 1945. Eine Ausstellungsfläche von 2500 Quadratmetern im Dom St. Peter und Paul, in der Marienkirche am Dom, in der Domklausur, im Schlösschen am Markt sowie im Stadtmuseum „Hohe Lilie“ stehen der Landesausstellung zur Verfügung. Die Johanneskapelle auf dem Domfriedhof sowie die Kapelle der Ägidienkurie erwarten die Besucher ebenso wie der rekultivierte Domgarten mit einer Kinderdombauhütte und dem „Garten des Naumburger Meisters“.

Begegnung der Meisterwerke

Einer der absoluten Höhepunkte der Ausstellung wird sicherlich die Gegenüberstellung der Werke des Naumburger Meisters mit den Spitzenwerken der französischen Skulptur in der Naumburger Domkirche. Neben den Fragmenten des Mainzer Lettners sind hier die zeitgleich mit den Naumburger Werken entstandene Stifterfigur des Childebert aus dem Louvre, zwei Apostel aus der Sainte Chapelle sowie Lettnerfragmente aus den Kathedralkirchen Bourges, Amiens, Strasbourg, Metz und Paris zu nennen. Ein einmaliges Zusammentreffen von Meisterwerken, das es in dieser Form kein zweites Mal geben wird.