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Forum - Österreich

Von einer gespaltenen Gesellschaft kann keine Rede sein

Anfang Dezember sorgte die Aussicht, dass die Österreicher einen Rechtspopulisten zu ihrem Bundespräsidenten wählen könnten, für große Befürchtungen im In- und Ausland. Tatsächlich unterscheiden sich die Lager oftmals nur im Stil.

Viktor Hermann01.01.2017

Die Republik Österreich muss derzeit in aller Welt als Beispiel für eine Gesellschaft herhalten, die in zwei unversöhnliche ­Lager gespalten ist. Das gipfelte Anfang Dezember in einer erheblich gesteigerten Aufmerksamkeit internationaler Medienunternehmen. Diese schickten aus Anlass der Wahl eines österreichischen Bundespräsidenten eine bisher kaum je regis­trier­te Zahl an Berichterstattern – wohl in der Annahme, hier werde das erste rechts­populistische Staatsoberhaupt in der Euro­päischen Union gewählt. Besorgte Beobach­ter und besorgte Bürger sprachen jedenfalls von der „gespaltenen“ Republik.

Der Weltuntergang wurde vertagt

Ein Aufatmen war dann auch ringsum hör­bar, als die Mehrheit der Österreicher am 4. Dezember doch den Grünen-Kandidaten jenem der Freiheitlichen Partei vorzogen. Die Schar der Medienvertreter hingegen reagierte mit Enttäuschung: Kaum war klar, dass der Freiheitliche Norbert Hofer doch nicht Bundespräsident wird, machten die Korrespondenten auf dem Absatz kehrt und gingen auf die Suche nach einer anderen Sau, die irgendwo durch ein Dorf getrieben würde.

Die weitverbreitete Sorge und das enttäuschte Interesse der Medien dokumentiert gleich mehrerlei:

Zum Ersten den fundamentalen Irrtum, dass eine scharfe politische Auseinandersetzung in Österreich auch ein Hinweis darauf sei, dass die hiesige Gesellschaft unheilbar zerstritten ist. Tatsächlich ist das Denken in breiten politischen Lagern nicht neu in Österreich. Die Zweite Republik wuchs nach den ersten unruhigen Jah­ren nach Ende des Krieges im Spiel zwi­schen Sozialdemokraten und der kon­serva­tiven Volkspartei. Die beiden Parteien teil­ten sich immerhin vier Jahrzehnte lang die Macht, wechselten einander in der Re­gie­rung ab und organisierten mittels der Sozialpartner von Gewerkschaft und Wirtschaftskammer das Leben in Österreichs Gesellschaft bis in kleine Details. Dass sich die beiden Lager eher feindlich gegenüberstanden, tat dem Proporz keinen Abbruch. Man arrangierte sich mit dieser Art der Spaltung.

Auch heute kann keine Rede davon sein, dass das Land gespalten wäre. Denn die Kritik am Stillstand zieht sich durch alle Schichten der Gesellschaft. Lediglich im Stil unterscheidet sich diese Kritik bei den Rechtspopulisten von jener bei grünen, konservativen und liberalen Bürgern. Es kann auch keine Rede davon sein, dass die 46 Prozent Wählerstimmen, die der natio­nalistische Kandidat Norbert Hofer an sich zog, auch schon ein Maßstab für künftige Parlamentswahlen sei. Denn viele Österreicher reagierten am 4. Dezember Frustration und Verärgerung über die Regierung ab. Das heißt aber noch lange nicht, dass dieselben 46 Prozent die FPÖ in der Regierung sehen wollen.

Zum Zweiten irrt ebenso fundamental, wer glaubt, man könne sich mit dem ­Ausgang der Bundespräsidentenwahl am 4. De­zember wieder zurücklehnen und es bestehe keinerlei Möglichkeit mehr, dass eine rechtspopulistische Partei tatsächlich an die politischen Schalthebel der Republik gelangen könnte.

Denn die Koalition aus Sozialdemo­kraten und Volkspartei ist wenig stabil. In beiden Regierungsparteien finden sich Lager mit gegensätzlichen Plänen für die Zukunft. In beiden Regierungsparteien gibt es je einen Flügel, der an der jetzigen Koalition festhalten möchte, und einen Flügel, der eine Koalition mit der FPÖ durchaus in Betracht zieht. Je länger SPÖ und ÖVP diese Uneinigkeit nach außen tra­gen, je länger sie es versäumen, die we­nigen Reformen, die sie zustande bringen, auch als Erfolg zu verkaufen, desto größer sind die Chancen, dass die Freiheitlichen tatsächlich bei der nächsten Nationalratswahl zur stärksten Partei werden.

Zum Dritten herrscht gerade in Österreich die fatale Neigung, Meinungsverschie­denheiten an sich schon für eine Kata­stro­phe und den Beweis einer erschre­ckenden Spaltung der Gesellschaft zu hal­ten. Dabei ist es doch der Mangel an deutlich formulierten politischen Konzep­ten, der Mangel an einem Wettbewerb der Ideen und poli­tischer Philosophien, der daran Schuld trägt, dass populistische Angstmacher in Österreich (aber nicht nur hier) an den Wahlurnen erstaunliche Erfolge feiern.

Die österreichische Gesellschaft leidet weit weniger an einer Spaltung als an einer besonderen Form der Harmoniesucht. Konflikte werden nur ausgetragen, wenn es gar nicht mehr anders geht, und selbst dann nur zögerlich. Deshalb regen die rüden Töne mancher Populisten in Österreich viel mehr auf als anderswo. Deshalb redet auch alle Welt von der „gespaltenen“ Gesellschaft, wiewohl es keinen breiten Riss  gibt.

Viktor Hermann
Dr. Viktor Hermann, RC Salzburg-Residenz, war bis 2015 stellvertretender Chefredakteur der Salzburger Nachrichten, bis Oktober 2017 zuständig für die Sonntagsausgabe SNHD und noch bis 2019 Kolumnist der Zeitung.