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Geht die politische Mitte verloren?

Forum - Geht die politische Mitte verloren?
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Der Erfolg linker und rechter Parteien in Österreich hängt an drei Dingen: einer Unmöglichkeit, einer Unfähigkeit und einem Unwillen.

Viktor Hermann01.06.2023

Die politische Landschaft Österreichs bricht an vielen Fronten auf und um. Es gibt für politische Parteien keine Gewissheiten mehr, keine „sicheren“ Wählergruppen, keine logischen Gefolgsleute und keine Traditionswähler. Wo würde das deutlicher sichtbar als an der jüngsten Landtagswahl im Bundesland Salzburg, die diesen Trend fortschreibt: Volkspartei und Sozialdemokraten verlieren Stimmenanteile, die FPÖ gewinnt, die Grünen halten sich knapp über Wasser, und die Liberalen kämpfen ständig ums Überleben. Erstaunlich ist der Erfolg der KPÖ plus. Da rauscht es dann weltweit im Blätterwald, weil ja die Kommunisten nun schon in der zweiten großen österreichischen Stadt erstaunliche Erfolge feiern.

Die Frage stellt sich recht rasch, weshalb denn ausgerechnet in Österreich „die extremen Lager“ so erfolgreich seien. Nun muss man in Betracht ziehen, dass von „extrem“ nur schwer zu sprechen ist, wenn man bedenkt, dass die Freiheitlichen seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts in einer Auf- und Abbewegung ihr Wählerpotenzial zwischen 20 und 30 Prozent ausschöpfen. Freilich ist diese Partei bisher jedes Mal, wenn sie an einer Regierung beteiligt war, durch Skandale und innere Zerwürfnisse in ein tiefes Tal abgestürzt. Etliche Vorhaben dieser Partei gehen bis an den Rand des Erträglichen, wenn ihre Spitzenfunktionäre zum Beispiel ganz offen verkünden, sie wollten Österreich in ein Orbanistan nach ungarischem Vorbild umbauen – sie sind also durchaus extrem. Für ein ganz offensichtlich großes Segment der Wählerschaft ändert das nichts an der Wählbarkeit dieser Partei.

Alter und neuer Kommunismus

Am anderen Ende des Spektrums sehen wir in Salzburg, so wie schon zuvor in Graz, einen überraschenden Erfolg einer kommunistischen Partei. Für Salzburg ist leicht erklärbar, woher dieser Erfolg (in der Stadt Salzburg knapp 22 Prozent Wähleranteil) kommt. Ein sympathischer, eloquenter junger Mann hat das drängendste Problem Salzburgs, den Mangel an Wohnraum, ins Zentrum seiner Auftritte gestellt. Er stieß damit in ein von den anderen Parteien sträflich vernachlässigtes Politikfeld vor. Kein Wunder, dass er Zuspruch fand. Noch eines: Der Mann hat geschafft, was in Österreich kaum mehr ein Politiker zustande bringt – er beantwortet in Interviews tatsächlich Fragen, auch unangenehme, wo andere sich mit eingelernten Phrasen um Antworten herumdrücken. Mit dem Kommunismus, den wir aus dem Kalten Krieg kennen, hat das nur noch den Namen gemein.

Der Erfolg der „Extremen“ dürfte an drei Dingen hängen: einer Unmöglichkeit, einer Unfähigkeit und einem Unwillen. Es scheint, dass es in einer Gesellschaft mit Vollkaskomentalität – es muss für jedes Problem eine Absicherung geben, ohne dass der Staat den Bürgern zu sehr in ihr privates Leben hineinregiert – unmöglich geworden ist, stabile Gefolgschaften zu pflegen, weshalb Volksparteien an Zuspruch verlieren.

Leichtes Spiel für Populisten

Die Unfähigkeit der großen, traditionell staatstragenden Parteien, die Bedürfnisse einer zusehends fragmentierten Gesellschaft auch nur im Ansatz zu befriedigen, hat linken wie rechten Populisten den Weg geebnet, denen es leichtfällt, aus einer oppositionellen Position heraus alles Regierungshandeln zu kritisieren und den Leuten das Blaue vom Himmel zu versprechen. Dazu kommt auch die Unfähigkeit der Politik, die Menschen mit unangenehmen Wahrheiten zu konfrontieren.

Und schließlich ist es der Unwille der Wählerschaft, also des Souveräns, Kompromisse zu akzeptieren, die Komplexität des Lebens anzunehmen, die eben keine einfachen Patentlösungen zulässt. Stattdessen steigt die Zahl derer, die geneigt sind, auf Populisten zu hören, selbst wenn sich diese ganz offensichtlich selbst widersprechen. Und das, obwohl Österreich ja schon zwei Mal erlebt hat, wohin es führt, wenn man den Schalmaientönen der Populisten verfällt.

Viktor Hermann
Dr. Viktor Hermann, RC Salzburg-Residenz, war bis 2015 stellvertretender Chefredakteur der Salzburger Nachrichten, bis Oktober 2017 zuständig für die Sonntagsausgabe SNHD und noch bis 2019 Kolumnist der Zeitung.