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Kultur ist das neue Salz einer ganzen Region
Bad Ischl wird Europas Kulturhauptstadt 2024. Das Postkartenidyll lockt ohnehin zahlreiche Touristen an. Jetzt geht es darum, Vergangenheit und Zukunft zu versöhnen.
Über viele Jahrhunderte hinweg kam der Reichtum der Region, die man heute Salzkammergut nennt, aus der Salzgewinnung und aus der Tatsache, dass die Gegend den österreichischen Kaisern besonders am Herzen lag. Heute leben Bad Ischl, Hallstatt, Bad Aussee und Umgebung vor allem vom Tourismus und vom nostalgischen Blick zurück in die Geschichte. Mit dem Projekt Kulturhauptstadt 2024 soll das anders werden.
Ein eigensinniger Menschenschlag
Einer der schweren Vorwürfe, unter denen die Europäische Union immer wieder zu leiden hat, ist jener, sie sei eine Organisation des Handels, der Industrie, des Geschäfts, also der Pfeffersäcke; ihr mangele es an jenem Gefühl, das das Zusammenleben von Menschen erst zu einer Gemeinschaft schmiede, zu einer Gesellschaft mit gemeinsamem Lebensgefühl, einer gemeinsamen Erzählung, einer gemeinsamen Aufgabe – mithin zu einer Kultur, die weiterreicht als eine bloß politische und ökonomische Zusammenarbeit.
Dem setzt die EU seit 1985 ein Konzept entgegen, das den Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa besonders herausstellen soll: die Ernennung von Kulturhauptstädten für jeweils ein Jahr. Das hat etwas Pikantes an sich, zumal es der EU ja an einer echten Hauptstadt fehlt und Brüssel zwar Sitz der Kommission und (teilweise) des Parlaments ist, zugleich aber eher den unangenehmen Beigeschmack von überbordender Bürokratie hat, statt Kristallisationspunkt eines gemeinsamen Lebensgefühls zu sein.
Die Ernennung Bad Ischls zur Kulturhauptstadt wirkt in vielerlei Hinsicht besonders. Sie umfasst insgesamt 20 Partnergemeinden in zwei Bundesländern (Oberösterreich und Steiermark) und wird vermutlich in ein drittes (Salzburg) ausstrahlen. Die Reaktion so mancher großkopferter Wiener, die Bad Ischl und das Salzkammergut lediglich mit nostalgischer Kaiserromantik und überbordendem Tourismus in Verbindung bringen, ist fehl am Platz. Denn in dieser Region haben Menschen schon Schätze angehäuft und eine Hochkultur errichtet, als es Wien noch nicht einmal als römische Grenzbefestigung gab. Die Verbindung der Region „Ischlland“ zum Haus Habsburg rührt aus dem späten 13. Jahrhundert. Seither trug die Salzgewinnung bis zu 25 Prozent des habsburgischen Haushalts. Kein Wunder also, dass die Habsburger der Region viel Freiheit ließen: Dort wurden lange weder Steuern noch Soldaten eingezogen. Beinahe zwingende Folge: Dort entwickelte sich ein besonders selbstbewusster, eigensinniger Menschenschlag.
"Salz und Wasser als DNA"
Wer heute die Region um Bad Ischl, Hallstatt, Altaussee, Grundlsee besucht, wird vordergründig mit nostalgischen Gefühlen konfrontiert. Kaiservilla, Promenaden, Parks und die weithin zu Recht berühmte Konditorei Zauner locken Touristen an ebenso wie die entzückenden Orte ringsum. Hallstatt hat es mittlerweile geschafft, zum augenfälligen Symbol für den Begriff des Overtourismus zu werden. Dass es mittlerweile in China nachgebaut worden ist, kann auch als warnendes Beispiel dienen. Die Entwicklung in dem Ort ist mehr noch als jene in Bad Ischl Anlass, sich gründlich mit dem Problem des Zuviel an Tourismus auseinanderzusetzen.
Nachdem die Region um Bad Ischl nun den Zuschlag erhalten hat, beginnt erst der Prozess, Projekte zu entwickeln, Konzepte zu erstellen, wie man den Versuch unternehmen könnte, den Tourismus mit der Kultur in eine Balance zu bringen. Dies wird eine Gratwanderung, bietet aber zugleich die Chance, wegweisende Konzepte zu erfinden. Schon von der Idee der Bewerbung um den Rang als Kulturhauptstadt zeigte sich in Ansätzen, wie das gelingen soll. Unter dem Titel „Salz und Wasser als DNA“ hat man mehrere Programmlinien erdacht. Eine heißt „Die Macht der Tradition“ und umfasst Veranstaltungen über den Kaiser und Europas imperiales Erbe, Wirtshauskultur, neue Volksmusik, Bräuche, Handwerk und Bauen. Unter dem Stichwort „Kraft der Gegenkultur“ ist ein „Salz-Festival“ angedacht, ebenso „sprechende Denkmäler“ über die Nazi-Zeit sowie ein „Theater der Träume“. Und unter dem Programmpunkt „Durst auf Rückzug“ ist ein zeitweiliger Wohnungstausch von Bewohnern des Salzkammerguts geplant, außerdem Kunst, die in den Sommerfrischeorten entstanden ist, sowie ein Projekt über Ausgeglichenheit und Glück.
Schließlich werden die Auswirkungen des Tourismus-Hypes ein Thema. Besonders schwierig dürfte dabei zweierlei werden: einerseits sich von jenem Kaiser-Nostalgie-Kitsch zu lösen, der sich in den vergangenen Jahrzehnten wie von selbst in der Region breitgemacht hat. Zugleich ist diese Nostalgie aber auch wichtiger Wirtschaftsmotor und Einkommensquelle in der Region. Jede Lösung von dem Kitsch darf also nicht darin ausarten, der Region dieses Einkommen zu entziehen. Andererseits leidet die Region unter denselben Problemen wie viele ländliche Gegenden: Abwanderung der Jungen und Überalterung der Gesellschaft.
Es wird viel Geld fließen, um das Projekt Kulturhauptstadt umzusetzen. Bis zu 30 Millionen Euro soll das Budget umfassen. Das wenigste kommt dabei von der EU, den Löwenanteil schultert der österreichische Steuerzahler. Das Geld fließt freilich in Projekte von großer Nachhaltigkeit. Neubauten, so sagte der Projektleiter der Bewerbung, Stefan Heinisch, kürzlich, werde es nicht geben.
Vielmehr plane man, Altbauten zu revitalisieren, wie ein 400 Jahre altes ehemaliges Bräuhaus, das in ein offenes Kulturhaus umgewandelt werden soll. Das Lehar-Theater in Ischl, das Stadttheater und die Esplanade in Gmunden werden renoviert. Leer stehende Häuser sollen adaptiert und als Studios für Künstler genutzt werden.
Sportliche Verlierer
Bemerkenswert positiv haben die beiden anderen Städte reagiert, die sich als Kulturhauptstadt 2024 beworben hatten, aber Bad Ischl unterlegen waren. Sowohl Dornbirn (in Vorarlberg) als auch die niederösterreichische Landeshauptstadt St. Pölten nahmen das Verdikt der Jury zwar enttäuscht, aber doch sportlich zur Kenntnis: Man werde trotzdem einige jener Projekte verwirklichen, die in den Bewerbungen präsentiert worden waren. In St. Pölten heißt es: „Wir werden Europa 2024 zeigen, was es versäumt hat“, und in Dornbirn will man das selbst gesetzte Motto „Outburst of Courage“ (Mutausbruch) in eine Kulturstrategie für das nächste Jahrzehnt umwandeln.
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