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Würdigung einer untergegangenen Kultur

Forum - Würdigung einer untergegangenen Kultur
Seit dem 30. Juni 2018 gehört Haithabu zum UNESCO-Weltkulturerbe © Helge Bias/Schapowalow , H. & D. Zielske/look-foto

„The Archaeological Border Complex of Hedeby and the Danevirke (Germany)“ – ein archäologisches Denkmal in Schleswig-Holstein erscheint neu auf der Welterbeliste der UNESCO

01.09.2018

I therefore declare draft decision 42, 8B, 29 adopted!” Mit diesen Worten und dem Schlag eines Holzhammers auf den Sitzungstisch erklärte die Vorsitzende des Welterbe-Komitees der UNESCO, Shaika Haya Rashed Al Khalifa, am 30. Juni dieses Jahres in Manama in Bahrain, Haithabu und Danewerk im Norden Schleswig-Holsteins zum Weltkulturerbe. Für alle Beteiligten in Minisarchäologischen Denkmale Nordeuropas in die UNESCO-Welterbeliste. Die Ansprüche an solche Verfahren sind hoch und erfordern eine detaillierte Vorbereitung. Vorzulegen ist unter anderem ein Managementplan, der – in der Region und mit den jeweiligen Akteuren abgestimmt – jene Maßnahmen umfasst, die zur nachhaltigen Sicherung des Denkmals notwendig sind.

Wissenschaftlich nachgewiesen werden müssen die Authentizität und Integrität des Denkmals selbst, also dessen Erhaltungszustand bezüglich der archäologischen Substanz als auch der ungestörten Lage des Denkmals in der Landschaft. Auch müssen die Grenzen des Welterbes eindeutig und klar definiert werden und dies in seiner Kernzone und seiner Pufferzone, die zum Schutz der Umgebung und der optischen Integrität des eingetragenen Denkmals dient. Zuletzt muss definiert werden, was nun der außergewöhnliche universelle Wert des Denkmals selbst ist und unter welchen Kriterien die Eintragung erfolgen soll.

Was zunächst einfach und unkompliziert erscheint, bietet große Interpretationsspielräume, birgt aber in der Antragstellung mannigfaltige Fallgruben. Aber, wie gesagt: „I therefore declare draft decision 42, 8B, 29 adopted!“ und mit dem Verlauf der Sitzung in Bahrain ist klar, dass Haithabu und Danewerk absolut welterbewürdig sind. 

Archäologische Forschung
Was sind dies nun für Denkmale und warum sind sie so außergewöhnlich? Das neue Welterbe führt uns in die Wikingerzeit, also dem 8. bis 11. Jahrhundert n. Chr. Wenn auch unser Bild dieser Zeit vordergründig von Raub und Krieg der Nordleute geprägt ist, so kann doch die Archäologie noch ganz andere Bilder zeichnen. Denn diese Epoche ist ebenso von weitreichenden Handelsnetzwerken, von innovativem Handwerk und kreativen künstlerischen Leistungen charakterisiert.

Dazu kommen die außerordentlichen Fähigkeiten der Skandinavier der Wikingerzeit, hochkomplexe Schiffe zu bauen, mit denen ihnen einerseits die weitreichenden Raubfahrten gelangen, die sie andererseits aber auch in die Lage versetzten, um circa 1000 n. Chr., Grönland und Nordamerika zu erreichen. Neben die schriftliche Überlieferung dieser Zeit tritt als wesentliche Erkenntnisquelle die archäologische Forschung. Legendärer Ruf Insbesondere Haithabu bei Schleswig im Norden Schleswig-Holsteins genießt in den Fachkreisen einen legendären Ruf.

Das Wikinger Museum Haithabu gibt Einblicke in das Leben der untergegangenen Wikingerstadt © Helge Bias/Schapowalow , h. & d. zielske/look-foto

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier gegraben und es ist vielen glücklichen Zufällen zu verdanken, dass sowohl die Funde als auch die Grabungsdokumentation fast vollständig überliefert sind. Schon früh wurde erkannt, dass das Fundmaterial außerordentlich gut erhalten und aufschlussreich ist. Haithabu ist ein Schlüsselfund der Wikingerforschung. In der Zeit zwischen 1933 und 1945 wurde aber auch deutlich, dass die Grabungsergebnisse im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie eines überlegenen Germanentums ideal instrumentalisiert werden konnten. Die Veröffentlichungen dieser Zeit, dazu Filme und Presseartikel, aber auch die Fachliteratur legen davon ein sehr eindeutiges Zeugnis ab. Umso mehr war und ist die Forschung nach dieser Zeit der Objektivität und Transparenz verpflichtet.

Spektakuläre Grabungserfolge gelangen in den 1960er und 1970er sowohl im Siedlungsbereich, wo tausende von Bauhölzern die Rekonstruktion der Bebauung erlaubten und im Hafen, in dem Landungsbrücken und Schiffswracks nachgewiesen werden konnten. So kann heute die komplexe Struktur dieser ältesten Stadt im Norden Europas rekonstruiert und in ihrer Bedeutung für den Handel im Ostseeraum und weit darüber hinaus dargestellt werden. Die archäologischen Befunde bestätigen die schriftliche Überlieferung, die von einer Gründung Haithabus zu Beginn des 9. Jahrhunderts und seiner Zerstörung im Jahr 1066 berichtet. Das Danewerk, das sich mit seinen Wallzügen über mehr als 25 Kilometer über die Schleswiger Landenge zwischen Schlei, Treene und der Halbinsel Schwansen erstreckt, weist eine deutlich längere Geschichte als Haithabu auf. Neueste Grabungsergebnisse am Hauptwall des Danewerks zeigen, dass diese Anlage in Teilen bereits am Ende des 5. Jh. n. Chr. errichtet wurde.

Weitere Ausbauphasen sind im 8. Jahrhundert belegt, in dem die mächtige Feldsteinmauer aus Millionen von Lesesteinen über eine Länge von mehr als vier Kilometern errichtet wurde. Das wohl älteste Ziegelbauwerk des Nordens stellt die sogenannte Waldemarsmauer dar, die vom dänischen König Waldemar dem Großen in den 1160er Jahren begonnen wurde. Zu diesem Denkmal gehört auch eines der ungewöhnlichsten Bauwerke der Frühgeschichte Schleswig-Holsteins: Das Seespeerwerk in der Schlei bei Stexwig, das ab 737 n. Chr. errichtet wurde. Es besteht aus rechteckigen Kästen aus Eichenbohlen von einigen Metern Kantenlänge; unter der Wasseroberfläche erstreckt es sich über einige hundert Meter.

Betrachtet man die geographische Position dieser Wallzüge in größerem Maßstab so fällt auf, dass hier die landschaftlichen Gegebenheiten auf der jütischen Halbinsel sehr gut verstanden und optimal genutzt wurden. Denn das Danewerk sperrt die Nord-Süd-verlaufenden Verbindungen an einer der engsten Stellen dieser mehr als 300 Kilometer langen Halbinsel ab und es liegt zugleich an einer Stelle, an der der optimale beziehungsweise kürzeste Übergang zwischen Nord- und Ostsee gewährleistet war. 

Strategisch und verkehrsgeographisch konnte kaum ein besserer Platz gewählt werden. Faszinierend sind die Möglichkeiten der archäologischen Interpretationswege, die sich durch dieses Bauwerk und seine heute relativ exakten Datierungen ergeben. Sie können nur vor dem Hintergrund einer starken politischen und ökonomischen Steuerung verstanden werden, die Ressourcen bündelte und in langfristigen Bauprojekten umsetzte. Selbst wenn wir die Namen der jeweiligen Herrscher nicht kennen, so müssen sie zu ihrer Zeit von Weitsicht und Einfluss gewesen sein. Dem Danewerk kommt aber auch in anderer Hinsicht eine ganz besondere Bedeutung zu.

Es bildete im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 die entscheidende Verteidigungslinie in der ersten Phase des Krieges. Doch musste es am 6. Februar 1864 von den dänischen Truppen geräumt werden, womit die Landesteile Schleswig und Holstein für Dänemark in Teilen oder vollständig verloren gingen. Das Danewerk ist somit ein Ort dänischer Geschichte, der heute in Deutschland liegt. Es ist aber auch ein Monument, an dem sich die Verantwortung für das gemeinsame kulturelle Erbe in der Grenzregion trifft, und so hat sich besonders in den letzten Jahrzehnten eine vorbildhafte Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Dänen entwickelt.

Wie betrachtet das UNESCO-Welterbe-Komitee Haithabu und Danewerk? Die Denkmale wurden unter den Kriterien III und IV in die Welterbeliste eingeschrieben. Sie stellen ein „einzigartiges oder zumindest außergewöhnliches Zeugnis (einer) untergegangenen Kultur dar“ und sie sind ein „hervorragendes Beispiel eines Typus von Gebäuden, architektonischen oder technologischen Ensembles, die einen oder mehrere bedeutsame Abschnitte der Geschichte der Menschheit versinnbildlichen“. Die Welterbekonvention ist zunächst ausschließlich dem Erhalt des kulturellen Erbes verpflichtet.

Sie stellt keinesfalls ein gesetzliches oder gar finanzielles Instrumentarium zum Erhalt von Denkmalen von universellem Wert dar. Wichtig ist der UNESCO dabei, dass mit der Konvention und seinen Welterbestätten das Bewusstsein für den nachhaltigen Schutz dieses Erbes global gestärkt wird. Der musealen Vermittlung kommt dabei eine ganz zentrale Rolle zu. Mit dem Wikinger Museum Haithabu bei Schleswig und dem Danevirke Gaarden in Danewerk stehen den Besuchern im Bereich des neuen Erbes zwei Museen mit vielfältigen zielgruppenorientierten Angeboten zur Verfügung.

Die Ausstellung des Wikinger Museums Haithabu wurde vor wenigen Jahren grundlegend modernisiert. Über das reiche Fundmaterial gibt es beispielsweise Einblicke in die herrschaftlichen Strukturen im Umfeld der frühen Stadt, über die Wege hin zur Christianisierung der paganen Gesellschaften des Nordens ab dem 9. Jahrhundert n. Chr. oder in die unterschiedlichen Handelsströme, die aus allen Himmelsrichtungen in Haithabu zusammenfließen.

Großes kulturelles Angebot
Und die Ausstellung präsentiert das Geschehen auf den Landungsbrücken der Stadt und die außergewöhnlich interessanten Wrackfunde aus dem Hafen Haithabus. Seit einigen Jahren können die Gäste des Museums zudem im historischen Gelände Nachbauten von Häusern und den eben erwähnten Landungsbrücken der Wikingerzeit besichtigen, die sich auf jenen Geländearealen befinden, die zuvor ausgegraben wurden. Im Ort Dannewerk – nur wenige Kilometer von Haithabu entfernt – befindet sich das Museum Danevirke Gaarden, das von der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein getragen wird.

Hier kann die lange Geschichte des Walles erkundet werden; dazu tritt eine Ausstellung zur Geschichte der dänischen Minderheit. Und das Museum lädt ein zu einem Spaziergang entlang des Danewerkes hin auch zur Ruine der Ziegelsteinmauer des Königs Waldemar des Großen. So können unsere Gäste sowohl das reiche archäologische Fundmaterial und seine fazettenreiche Bedeutung, zudem aber auch die reizvolle Landschaft im Umfeld kennenlernen. Und die Gäste können von hier aus das große kulturelle Angebot der Region studieren, das weit mehr umfasst als „nur“ das neue Welterbe.

Prof. Dr. Claus von Carnap-Bornheim