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"Irgendetwas lag in der Luft"

Titelthema - "Irgendetwas lag in der Luft"
Schutzsuche im Westen: Ostberliner Arbeiter, die vor der heranrückenden Volkspolizei (im Hintergrund) in den Westsektor geflüchtet sind © picture-alliance/dpa

Zeitzeugen erzählen, wie sie den 17. Juni 1953 in der ehemaligen DDR erlebten. Hier die Erinnerungen von Frank-Michael Nemetz

01.06.2023

Mein Name ist Frank Nemetz. Ich war politischer Häftling der DDR. 1953 war ich neun Jahre alt. Der 17. Juni war ein schöner Sommertag und am Vormittag war es in Leipzig noch sehr ruhig. Doch irgendetwas lag in der Luft. Die letzten Tage vor dem 17. Juni waren doch schon etwas seltsam gewesen.

Am 17. Juni dann ging mein Vater früh aus dem Haus. Ich hatte ein mulmiges Gefühl, weil durchgedrungen war, dass die Straßen gesperrt waren. Wir Kinder gingen trotzdem hinaus, um herauszufinden, was draußen los war. Ich sah, wie die sowjetischen Panzer mit lautem Gedröhne durch die Waldstraße in Richtung Zentrum fuhren. Sie kamen aus Gohlis, wo sie in einer ehemaligen Wehrmachtskaserne stationiert waren. Ich hatte natürlich Angst um meinen Vater, der sich in der Stadt aufhielt. Mein Vater arbeitete im VEB Metallgusswerk Leipzig. Rund 27.000 Arbeiter aus über 80 Betrieben streikten, die Fabriken waren leer.

Es befanden sich mindestens 40.000 Demonstranten in der Stadt. Viele versuchten, den Gebäudekomplex der Staatsanwaltschaft und der Stasihaftanstalt in der Beethovenstraße zu erstürmen. Sie wollten die politischen Häftlinge befreien. Als mein Vater am 17. Juni 1953 nachts nach Hause kam, war ich sehr erleichtert. Er erzählte mir alles, was sich in der Stadt ereignet hatte.


 

Frank-Michael Nemetz (79)

ehem. Chemiker, Belgershain