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Alles auf Wein

Titelthema - Alles auf Wein
Małgorzata Chodakowska und Klaus Zimmerling in ihrem kleinen Paradies südöstlich von Dresden © VDP/Peter Bender

Nicht nur an Rhein und Mosel wird guter Wein gemacht, auch an der Elbe. Die Geschichte zweier Winzer, die alles riskiert und alles gewonnen haben.

Daniel Deckers01.10.2024

Man schrieb das Jahr 1992, als sich die Wege von Georg Prinz zur Lippe und Klaus Zimmerling zum ersten Mal kreuzten – wenngleich nur indirekt. Aber der Kontrast konnte kaum größer sein: Der eine entsprach dem Klischee eines Wessis, wie es von der AfD noch nach 35 Jahren in menschenverachtender Weise gegen den Unternehmer ins Feld geführt wird: adelig, Schlossbesitzer und schon bald nach der Wende Herr gleich über eine ganze Weinbaubrigade samt ausgedehnten Rebflächen. Und dann noch das: Der hochgewachsene Mann hatte nicht nur auf Weinberge in der Umgebung von Meißen ein Auge geworfen, dort, wo schon seine Vorfahren vor ihrer Entrechtung erst durch die Nazis und dann durch die Kommunisten gelebt hatten. Auch oberhalb von Dresden waren ihm Weinberge angeboten worden, darunter auch solche, für die sich auch andere interessierten: Klaus Zimmerling etwa und seine aus dem polnischen Łódź stammende Frau Małgorzata Chodakowska.

Auch da waren und sind Klischees nicht fern. Er, der Klaus, der in der späten DDR das Geld, das er als Konstrukteur von Küchenmaschinen in dem VEB Sachsenwerke verdient hatte, in Wein investierte, wo immer er zu finden war – meistens entlang der paradiesisch anmutenden Elbhänge Nordböhmens. Und der seit 1987 zusammen mit Gleichgesinnten (und einem später enttarnten Stasi-Spitzel) Terrassen des Königlichen Weinbergs in Dresden-Wachwitz wiederaufgerebt hatte, an denen die Genossenschaft in Meißen kein Interesse hatte. Sie eine noch namenlose Bildhauerin, aber beide seit 1990 nicht nur verheiratet, sondern wild entschlossen, durch ihrer eigenen Hände Arbeit Weine von einer Güte zu erzeugen, wie sie die Welt niemals in Sachsen vermuten würde. Diesem Ziel aber hatte sich auch Georg Prinz zur Lippe mit Haut und Haar verschrieben, trotz allem, was seiner Familie dort angetan worden war.

Das konnte nicht gut gehen

Doch woher Rebflächen nehmen, wenn nicht stehlen? Im Februar machte im Kreis der Hobbywinzer von Wachwitz die Nachricht die Runde, zwischen Pillnitz und Oberpoyritz am südlichen Ausgang des Dresdners Elbhangs seien einige Parzellen zu pachten. Und nicht solche mit einem DDR-typischen Sammelsurium an Rebsorten, das es jedem Winzer schwer machen würde, einigermaßen trinkbaren Wein zu erzeugen. Stattdessen Kerner, Bacchus und Müller-Thurgau in Reih und Glied, noch dazu leicht hängig, also gut zu bearbeiten, und mit einem fantastischen Blick über das Elbtal bei Pirna bis hinein nach Böhmen. Diese Aussicht hatte auch dem Prinzen gefallen. Aber Kollegen etwas wegnehmen? Ende März konnten Klaus und Małgorzata zur Rebschere greifen. Der Most, der im Herbst in die Glasballons lief, war ihr erster Jahrgang.

Und nicht nur die Zimmerlings fingen bei null an. Auch der Prinz. Denn viel war es nicht, was es in Sachsen zu holen gab, jedenfalls nicht so viel wie im Westen. Zwar liegen die sächsischen Weinberge um einiges südlicher als die an Saale und Unstrut, dem zweiten Anbaugebiet in Mitteldeutschland. Aber sie liegen auch ein gutes Stück östlicher. Und gemeinsam liegen sie im Regenschatten von Mittelgebirgen. Ungünstiger als in Sachsen könnten die Bedingungen zumindest für Qualitätsweinbau kaum sein: Kleinteilige Rebflächen, niedrige Durchschnittstemperatur, geringe Wasserverfügbarkeit, hohe Frostgefahr – schon diese Faktoren bürgen für niedrige Erträge, aber immense Bewirtschaftungskosten.

Blühende Landschaften

Und dann lebte auch noch die DDR munter weiter: Wie im Bezirk Halle hatte es auch im Bezirk Dresden eine Winzergenossenschaft und ein staatliches Weingut gegeben. Die Wende bedeutete für dieses Duopol nicht das Ende. Neben den mehr als 1000 Freizeitwinzern, deren Trauben auch weiterhin genossenschaftlich verwertet wurden, war der Freistaat nach der Wende mit Schloss Wackerbarth der größte Weinbergbesitzer weit und breit. Wer unter diesen Bedingungen voller Idealismus den Sprung in die Selbstständigkeit wagte, dem war nicht nur nicht zu helfen, dem wurde auch nicht geholfen. Jedenfalls nicht vonseiten des Staates.

Allen Anfeindungen zum Trotz ließ sich Prinz Georg nicht beirren. Mehr noch: Mit wenigem selbst verdienten Geld ging er aufs Ganze. Zu viele Herbste hatte er in Franken bei seinem Patenonkel Radulf zu Castell-Rüdenhausen verbracht, wo dieser am Schwanberg ein Haus mit ein paar Weinbergen ringsum besaß, als dass er sein Leben im Westen als erfolgreicher Unternehmensberater hätte beschließen wollen. Und hatten nicht zahllose Vorfahren in Sachsen gelebt und dort als Industrielle und Unternehmer ihr Glück gefunden, nicht zuletzt jener Hans von Carlowitz, der Verfasser des ersten forstwirtschaftlichen Lehrbuchs der Welt und der Schöpfer des Konzeptes der Nachhaltigkeit?

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Schloss Proschwitz © VDP/Peter Bender

Das Weingut Schloss Proschwitz wuchs und wuchs, so schnell es die immer wiederkehrenden Fröste zuließen. Alte Weinberge wurden neu bestockt und Rebflächen dort wieder angelegt, wo der Weinbau ausgangs des 19. Jahrhunderts der Reblaus und dem Falschen Mehltau (Plasmopara viticola) zum Opfer gefallen war. Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung war Prinz zur Lippe aus eigener Kraft der größte private Weingutsbesitzer in Sachsen geworden. Der Größe der Rebfläche nach konnte nur noch der Freistaat mithalten. Aber nicht, was die Qualität der Weine anging. Riesling und Traminer aus Sachsen, dazu Exoten wie Elbling und Goldriesling waren in der ganzen Bundesrepublik gefragt. Der erste Rotwein aus Sachsen, der erste Eiswein – das waren schon zehn Jahre nach der Wende die wohlschmeckendsten Früchte jener blühenden Landschaften, von denen man 1990 kaum zu träumen wagte.

In Thüringen wollte man ihn nicht

Am anderen, südwestlichen Ende des sächsischen Weinbaugebietes schrieben Klaus und Małgorzata eine Erfolgsgeschichte der anderen Art. Beide waren auf je ihre Weise Künstler, beide lebten noch lange von der Hand in den Mund. Oft konnte nur dann Geld in die Hand genommen werden, wenn eine der bronzenen oder hölzernen Skulpturen der Bildhauerin einen Liebhaber gefunden hatte. Klaus fand derweil sein Glück im Weinberg. Terrasse um Terrasse wurde die majestätische, aber völlig verbuschte Rysselkuppe händisch wiederaufgerebt, die Fässer mit dem jungen Wein fanden provisorisch Obdach in einem Keller des Schlosses Pillnitz, doch die Mengen waren so gering, dass die Weine in filigrane Schlegelflaschen mit o,5 Liter Inhalt abgefüllt wurden.

Dass Riesling und Traminer nur als „Landwein“ auf den Markt kamen, weil sie sensorisch nicht in das Raster der DDR-gestählten amtlichen Prüfer passten, tat ihrem Erfolg keinen Abbruch – im Gegenteil. Als 2010, 100 Jahre nach der Gründung des Verbands deutscher Naturweinversteigerer (VDNV), des heutigen Verbands der Prädikatsweingüter (VDP), auch im Osten ein Regionalverband ins Leben gerufen wurde, war Sachsen mit zwei Weingütern dabei: Schloss Proschwitz Prinz zur Lippe sowie Klaus Zimmerling.

Doch Rückschläge sollten nicht ausbleiben. Georg Prinz zur Lippe hatte in der Nähe von Weimar Land gekauft, um im Thüringischen die längst erloschene Weinbautradition wiederaufleben zu lassen. Doch das Projekt stand unter keinem guten Stern. Zwar wurden in einem ersten Schritt etwa 40 Hektar aufgerebt. Aber im Ilmtal war der Hass auf den vermeintlichen Eindringling aus Sachsen so groß, dass es nicht einmal gelang, Räumlichkeiten zu finden, in die die Trauben nach der Lese hätten gebracht werden können, gar nicht zu reden von einem Kelterhaus samt Keller. Auch der Ostbonus, der in den beiden ersten Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung dafür gesorgt hatte, dass sächsische Weine auch außerhalb der Region auf vielen Weinkarten standen, verblasste. Ab 2015 war dann eher von Pegida die Rede als von Proschwitz, wenn die Rede auf Sachsen kam.

Vier Hektar, mehr wollte er nicht

Klaus Zimmerling und Małgorzata Chodakowska brauchte dies nicht zu kümmern. Die schmalen Etiketten hatten mit jedem Jahrgang die Welt der Weine um eine neue Skulptur der Künstlerin bereichert. Bald verkauften sich nicht nur die Weine für gutes Geld, sondern auch die lebensgroßen Frauengestalten und die ersten bronzenen Springbrunnen mit ihren raffinierten Wasserspielen. 2012 konnten die beiden einen sandsteinfarbenen Keller voller Kunst und Wein einweihen, den sie wie einen Stollen in den Fuß der Rysselkuppe hatten treiben lassen. Die Magie dieses Ortes wurde noch größer als ohnehin. Ob Radwanderer oder Regierungsmitglieder – vor Riesling und Traminer aus dem Königlichen Weinberg waren alle gleich. Wenn Klaus sich im Unterschied zu Georg zur Lippe auf der Mainzer Weinbörse des VDP nur selten sehen ließ, dann nicht aus Hochmut. Er hatte nur nicht genügend Wein, um noch mehr Händler und Gastronomen auf sich aufmerksam machen zu dürfen – und mehr Rebfläche besitzen als die gut vier Hektar, die er eigenhändig bearbeiten konnte, das wollte er nie.

Der Prinz aber schrieb derweil allen Schwierigkeiten zum Trotz seine eigene Erfolgsgeschichte. Was für Zimmerling die Rysselkuppe ist, das wurde für den mittlerweile 67-Jährigen der Closterberg in Seußlitz: In dem mutmaßlich ältesten Terrassenweinberg an der Elbe, der an ein im 13. Jahrhundert gegründetes Klarissenkloster angrenzt, stehen Riesling- und Traminerreben, deren Weine den Spiegel seiner Glückshormone jedes Mal aufs Neue steigen lässt. Und wie alle Flächen seines nach wie vor etwa 70 Hektar großen Weingutes werden auch die Seußlitzer Weinberge seit sechs Jahren biologisch bewirtschaftet. Doch auch das schützt die Reben nicht vor Frost, der in diesem Jahr nicht nur, aber auch Sachsen schwer getroffen hat. Auf etwa 80 Prozent schätzt die Versicherung den Schaden in Seußlitz. In den anderen, insgesamt gut 500 Hektar umfassenden Weinbergen in Sachsen sieht es kaum besser aus, auch nicht in der Rysselkuppe.

Doch nach allem, was seit 1990 geschehen ist, wird weder der Frost noch die brauen Umtriebe in Sachsen den beiden Männern ihren Idealismus nehmen. Klaus und Małgorzata haben in den beiden vergangenen Jahren ihr Lebenswerk am Fuß der Rysselkuppe mit einer Vinothek samt Skulpturenpark gekrönt, ganz so, als wäre die Schönheit dieses Ortes schon nicht mehr von dieser Welt. Der Prinz wiederum hat nicht nur das vis-à-vis von Meißen gelegene Schloss Proschwitz in einer Pracht wiedererstehen lassen, wie sie vielleicht schon verblasst war, als seine Vorfahren erst von den Nazis drangsaliert und dann von den Kommunisten enteignet wurden. Wenige Kilometer entfernt ist er gerade dabei, seine in einem Industriegebiet gelegene Kellerei zu erweitern. Schon immer hat er nie nur seine eigenen Weine ausgebaut, sondern auch die vieler kleinerer Winzer, die keinen eigenen Keller haben. So wird man nicht nur zweimal „Unternehmer des Jahres“ in Sachsen. Längst ist der Prinz der Teamspieler, der Kollege, der Mentor, der väterliche Freund.

454, aber 600 muss sie noch

Mehr als 100 Lehrlinge hat Georg Prinz zur Lippe inzwischen ausgebildet. Viele Weinberge wären längst brachgefallen, würde er sie nicht mit Herzblut (und dank staatlicher Förderung für die Erhaltung der Weinbergsmauern) am Leben erhalten. Und der schattige Schlosshof mitsamt Vinothek und alten, geheimnisumwitterten Kellern ist längst zu dem nordwestlichen Gegenpol von Zimmerlings südöstlich von Dresden gelegenem Treffpunkt der Freunde des sächsischen Weins geworden.

Am Ende ist der Prinz noch lange nicht. „Tradition kann man nur leben, wenn man Innovationen umsetzt“, sagt er fast beiläufig. Dafür steht nicht nur seine Kollektion vom einfachen Gutswein bis zu den „Großen Gewächsen“: Über alle Rebsorten und Lagen glänzt sie mit einem Maß an Ausgewogenheit, das manches in den Schatten stellt, was die VDP-Kollegen unter weitaus günstigeren Bedingungen im Westen der Republik erzeugen.

Ein Geniestreich sind neben den Bränden die einfachen Cuvées in Weiß, Rosé und Rot samt einem Perlwein (Secco), die von Weitem an der Zahl 454 auf dem Etikett zu erkennen sind. Die Ziffernkombination steht für die Kilometer, die die Elbe von ihrer Quelle bis auf die Höhe von Schloss Proschwitz zurückgelegt hat. Noch gut 600 werden es sein, ehe sich der Strom in die Nordsee ergießt. Aber auf dem Weg dorthin wie zurück ins Riesengebirge kann man die sächsische Elbe – wie schon immer den Rhein – nicht nur sehen, sondern genießen. Im Wein.


24.390 hl Weinerzegung in Sachsen im Jahr 2022. Damit ist Sachsen das kleinste der 13 deutschen Weinbaugebiete
18.000 hl Sächsischer Wein wurden 2022 auf Qualität geprüft, davon 15.000 hl Weißwein 1000 hl Rotwein 2000 hl Roséwein

Quelle: Deutsches Weininstitut


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Rebflächen nach Ländern in 1000 Hektar 2022
1. Spanien 955
2. Frankreich 795
3. China 785
4. Italien 718
5. Türkei 410
6. USA 390
13. Deutschland 103
19. Österreich 45

Weinproduktion nach Ländern in Mio. Hektolitern  2022
1. Italien 49,8
2. Frankreich 45,6
3. Spanien 35,7
4. USA 22,4
5. Australien 13,1
9. Deutschland 8,9
17. Österreich 2,5

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Die wichtigsten Weinexportländer in Mio. Hektolitern 2022
1. Italien 21,9
2. Spanien 21,2
3. Frankreich 14,0
4. Chile 8,3
5. Australien 6,4
6. Südafrika 4,4
7. Deutschland 3,5

Quelle: Deutsches Weininstitut

Daniel Deckers

Daniel Deckers ist verantwortlicher Redakteur in der Politik der „FAZ“ und lehrt Geschichte des Weinbaus und Weinhandels an der Hochschule Geisenheim University.