Sturmerprobte Schönheiten im Himmelsblau
Anna Rubin hat den wohl schönsten Beruf, den man im Herbst haben kann: Drachenbauerin. Die Kärntner Installationskünstlerin schickt ungewöhnlich und kunstvoll geformte Werke aus Bambusstreben und japanischen Papierenin die Luft.
Frau Rubin, Drachen gelten vielen als Kinder-Spielzeug. Sie machen daraus Kunstwerke, die fliegen. Wie kam es dazu?
Ich habe früh bemerkt, dass mich das Fliegen fasziniert. Ich empfand es als Schwimmen in der Luft – und habe mir deshalb schon früh erste Schwingen aus Haselnussruten gebaut, um Flugversuche zu unternehmen. Leider nicht sehr erfolgreich. Umso mehr habe ich Landschaft und Wind beobachtet und das dann während meines Malerei- und Textil-Studiums an der Akademie der Bildenden Künste in Wien in Werke einfließen lassen. Zum Beispiel für mein Diplom zum Thema Drachen. Bis heute faszinieren sie mich – wie schon andere Künstler zuvor. Manche nutzen den Drachen zum Beispiel als Leinwand.
Bei Ihnen ist es vor allem die Form und Konstruktion, die fasziniert. Mancher Drachen sieht daher gar nicht mehr aus wie die typische Diamantform mit langem Flatterschwanz.
Das haben mir schon einige gesagt. Aber diese Diamantform ist in unserem Kulturkreis verbreitet. Der Drachen ist ein kulturübergreifendes Phänomen: Im persischen Raum sind sie sehr verbreitet, in Asien überhaupt, wo sie häufig auch eine religiöse und kulturelle Bedeutung haben. Im Rahmen eines Artist-in-Residence-Programms war ich in Japan und habe viel über das Papierschöpfen und die Drachenkultur dort erfahren. Die japanischen Drachen haben meist geometrische Formen, zum Beispiel der rechteckige Edo.
Aber das Prinzip scheint überall das Gleiche. Einige Streben, Papier oder Folie darüber gespannt, ein Schwanz, der beim Austarieren hilft, und eine Leine. Nur: Ihre Drachen sehen so gar nicht mehr danach aus...
Ich habe mich von der ursprünglichen Form gelöst und baue eigene Formen: Kreise, Landschaften, Löcher... Anfangs habe ich vor allem „Flautenschweber“ und „Sturmvögel“ gebaut – also Drachen für wenig oder viel Wind. Später wurden meine Drachen eher rund. Danach versuchte ich, reale Formen abzubilden, zum Beispiel Landschaften und Bergformationen. Inzwischen mache ich häufiger Drachen aus Streifen. Aber sie alle sind aus fein gespaltenem Bambus und Papier gebaut. Diese Materialien und der Gedanke ans Fliegen begleiten mich beim Arbeiten.
Das klingt nicht sehr stabil. Halten Ihre Drachen einen ruppigen Oktoberwind aus?
Ja, die Starkwinddrachen. Alle meine Drachen sind flugfähig — das ist mir sehr wichtig. Auch wenn sie als Installation im Innenraum schweben, sind sie keine Dekoration, sondern flugfähige Strukturen aus Bambus und Papier. Die Löcher in den Konstruktionen und Drachensegeln sorgen für einen stabilen Flug. Auch die überstehenden Bambusleisten die man an meinen Drachen oft findet, stabilisieren und ersetzen den Drachenschwanz.
Es ist Oktober – beste Drachenzeit. Da sind Sie wahrscheinlich viel auf Freiflächen unterwegs, um Drachen steigen zu lassen?
Im Herbst und Frühjahr gebe ich Drachenbaukurse, wie man sich seinen eigenen Künstlerdrachen bauen kann. In den Workshops für Erwachsene lernen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen die Technik des Bambus-Spaltens und entwickeln ihre eigenen, individuellen Drachenformen. Wenn ein selbstgebauter Drachen fliegt und höher steigt, nimmt er einen ein wenig mit... und das ist ein Glücksgefühl.
Das Interview führte Sabine Meinert.
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