Rotarische Werte im beruflichen Alltag
Rotary und der »ehrbare Kaufmann«
"Ohne Anstand und Moral geht es im Wirtschaftsleben nicht. Mit den Inhalten dieser Begriffe müssen Lücken gefüllt werden, die Gesetze und Verordnungen offen lassen."
Klassische rotarische Grundsätze spielen auch im Wirtschaftsleben eine außerordentlich große Rolle. Die Pflege unserer Freundschaft als eine Gelegenheit, sich anderen als nützlich zu erweisen, ist im Grunde nichts anderes als das, was viele in der Wirtschaft Tätige mit Blick auf ihr Unternehmen und ihren Beruf als „Networking“ bezeichnen – wenngleich wohl auch in einer etwas oberflächlicheren Qualität.
Die Anerkennung hoher ethischer Grundsätze im Privat- und Berufsleben der rotarischen Gemeinschaft deckt sich im Grunde mit dem Anspruch des „ehrbaren Kaufmanns“ im Wirtschaftsleben zu weiten Teilen. Und die Förderung verantwortungsbewusster privater, geschäftlicher und öffentlicher Betätigung aller Rotarier spiegelt sich in derzeit hochaktuellen Bemühungen um unternehmerische Sozialverantwortung wider. Unter dem Anglizismus „Corporate Social Responsibility“ oder auch unter dem Buchstabenkürzel „CSR“ werden freiwillige Beiträge der Wirtschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung subsummiert, die über das eigentliche wirtschaftliche Betätigungsfeld hinausgehen und sich auf freiwilliger Basis der Lösung sozialer Probleme wie auch von Umweltproblemen widmen.
Rotarische Leitbilder
Der Wertekanon der rotarischen Gemeinschaft spiegelt sich in hohem Maße in der bekannten „Vier-Fragen-Probe“ wider: Ist es wahr? Ist es fair für alle Beteiligten? Wird es Freundschaft und guten Willen fördern? Wird es dem Wohl aller Beteiligten dienen? Allein die erste Frage stellt uns häufig vor gewisse Probleme. Ich meine nicht jene Fälle, in denen wir selbst beurteilen können, ob ein bestimmter Sachverhalt wahr oder falsch ist. Ich meine jene unübersichtliche Zahl der Fälle, in denen wir darauf vertrauen wollen oder sogar vertrauen müssen, dass Dinge, die uns andere mitteilen, als wahr gelten können. Häufig sind wir leider überfordert, wenn es darum geht, den Wahrheitsgehalt bestimmter Nachrichten zu beurteilen.
Dem französischen Maler, Schriftsteller und Regisseur Jean Cocteau wird das Zitat zugesprochen „Man darf die Mehrheit nicht mit der Wahrheit verwechseln“. Dieser Anspruch ist nur sehr schwer zu erfüllen, wie das Beispiel der Abstimmung in bestimmten Rotary Clubs über die Aufnahme weiblicher Mitglieder zeigt. Wir alle sollten aber den Anspruch haben, im Rahmen unserer Möglichkeiten nach der Wahrheit zu forschen oder uns zumindest auf der Basis von Fakten eine eigene Meinung zu bilden.
Einen wertvollen Beitrag dazu, sich mit einem breiten Themenspektrum auseinanderzusetzen, leisten die Vorträge in den Rotary Clubs. Die Referenten garantieren im Regelfall dafür, dass wir uns nicht mit oberflächlichen Informationen zufriedengeben, sondern wirklich in die Tiefe gehen und damit auch Voraussetzungen für fundierte Urteile schaffen – nicht zuletzt sind wir damit eher in der Lage, Informationen als wahr oder lediglich mehrheitsfähig einzustufen.
Allerdings beklagen unkundige Außenstehende, aber auch das eine oder andere neue Mitglied eines Clubs, gelegentlich unsere Präsenzregeln. Diese sind jedoch nach wie vor hochaktuell und geboten – manche Menschen muss man eben zu ihrem Glück zwingen. Und so zwingen Rotarier ihre Mitglieder sehr zu Recht zu wöchentlichen hochkarätigen Vorträgen – und dies gerade in einer Zeit, in der viele Menschen meinen, ihre persönliche Zeit sei zu knapp, um sich einem ebenso breiten wie gesellschaftlich wichtigen Themenspektrum widmen zu können. Kritikern der Präsenzregel rate ich zu einem Perspektivwechsel: Ich spreche viel lieber von einem Präsenzrecht, einem Geschenk, das der Vortragende den Teilnehmern unserer Clubvorträge macht.
Die weiteren Fragen der „Vier-Fragen-Probe“ geben einen sehr guten Orientierungsrahmen für all jene Dinge, die wir unter dem Begriff der Ethik und insbesondere auch der Wirtschaftsethik zusammenfassen. Ich rufe noch einmal die Fragen zwei bis vier in Erinnerung: Ist es fair für alle Beteiligten? Wird es Freundschaft und guten Willen fördern? Wird es dem Wohl aller Beteiligten dienen? Wenn im Geschäftsleben alle diese Fragen mit „Ja“ beantwortet werden, können wir davon ausgehen, dass höchsten ethischen Grundsätzen genügt wird. Das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns beinhaltet noch einen weiteren wichtigen Punkt, und zwar den Punkt des gegenseitigen Vertrauens. Wirtschaft ist vielfach überhaupt nur möglich oder in jedem Fall deutlich einfacher möglich, wenn Geschäftspartner sich vertrauen können. Für jeden ehrbaren Kaufmann ist dieses Vertrauen auch heute noch eines seiner wichtigsten Güter. Dem amerikanischen Investor Warren Buffett wird die Aussage zugeschrieben: „Es dauert zehn Jahre, einem Unternehmen ein positives Image zu verleihen, aber nur zehn Sekunden, um dies zu verlieren.“ Hinter dieser Aussage steckt nichts anderes als die schlichte Tatsache, dass es im Geschäftsleben immer wieder vorkommt, dass wir Geld verlieren. Mit guten Geschäften können wir diesen Verlust ausgleichen. Die Wiederherstellung einmal verloren gegangenen Vertrauens ist dagegen ungleich schwieriger, wenn nicht gar unmöglich.
Gerade unter dem Eindruck der aktuellen Finanzkrise fragen sich viele, ob ethische und moralische Grundsätze heute wirklich noch ein Erfolgsrezept sind. Manch einer mag denken: Für mich nicht. Moralfrei und vielleicht sogar skrupellos zu handeln bietet größere Chancen und bringt schnelleren Erfolg. Dies mag mitunter nicht falsch sein, zumindest auf den ersten Blick. Wer jedoch langfristig erfolgreich sein möchte, der handelt ehrbar. Nicht in erster Linie, weil er moralisch oder selbstlos ist, sondern weil er langfristig im Geschäft bleiben möchte.
Verhaltenskodex
Wie können nun ethische Grundwerte präzisiert werden? Zunächst ist Ethik als Verhaltensregulativ für den rechtsfreien Raum außerordentlich wichtig. Der Staat kann nicht für jede Entscheidung eines Managers oder Unternehmens einen Rechtsrahmen vorgeben. Wäre dies der Fall, so würde die Losung gelten: „Es ist alles möglich, was nicht verboten ist.“ Diese Regel würde uns jedoch wenig helfen. Sie würde geradezu dazu ermuntern, systematisch nach Gesetzeslücken zu suchen oder auch nach Ländern, in denen im Inland geltende Normen noch keinen Einzug gehalten haben.
Daneben gibt es bekanntermaßen auch nicht geschriebene Rechte, wie Gewohnheitsrecht oder Konventionen. Nicht zuletzt sind hier auch gut eingeführte Handelsbräuche zu nennen. Den grundsätzlich festen Anker der ethischen Grundsätze bilden Charakterzüge wie Anstand und Moral. Ohne Anstand und Moral geht es im Wirtschaftsleben nicht. Mit den Inhalten dieser Begriffe müssen Lücken gefüllt werden, die Gesetze und Verordnungen offen lassen. Es gibt hier durchaus auch eine sogenannte „Goldene Regel“. Diese lautet: „Handele stets so, wie du auch von anderen behandelt werden möchtest.“ In diesem Sinne lautet bekanntlich auch der Kantsche Imperativ: „Handele so, dass die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“
Der Begriff „ehrbarer Kaufmann“ mag heute etwas antiquiert erscheinen. Ethik und Werte für Unternehmen haben jedoch gerade aktuell eine besondere Konjunktur, nicht zuletzt auch bei jungen Menschen. So legen Absolventen der Harvard Business School seit dem Jahr 2009 einen Geschäftseid ab. Darin heißt es wörtlich: „Ich werde stets mit der größtmöglichen Integrität handeln und meiner Arbeit in einer ethischen Weise nachgehen“. Dieser Eid wurde inzwischen mehr als 3000-mal unterzeichnet und die Überwachung der Einhaltung dieses Eides übernehmen die MBA-Absolventen selbst in Form einer Rechenschaftspflicht.
Neuere Studien revidieren zudem das häufig anzutreffende Klischee vom „ewigen Egoisten“. Der Freiburger Neurobiologe Joachim Bauer hat in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren“ dargelegt, dass die zentralen Bestrebungen des Menschen, soweit sie sich aus neurobiologischen Studien über die sogenannten Motivationssysteme des Gehirns erkennen lassen, primär auf zwischenmenschliche Bindungen und gelingende soziale Beziehungen gerichtet sind. Menschen sind soziale Wesen, unser Gehirn ist mit Blick auf Kooperation konstruiert. Häufig ist damit nicht unser persönlicher Vorteil das Hauptmotiv, sondern der Wunsch nach sozialer Anerkennung. Und diese Anerkennung erhalten wir im Regelfall nicht auf einem „Egotrip“, sondern am ehesten, wenn wir uns im Sinne des Wertekanons der Gesellschaft, in der wir leben, verhalten.
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