Aktuell
Nicht ohne die Jungen – zurück zum „Wir“
Aktuelle Krisen belasten Jüngere stärker als Ältere, aber ein Generationenkonflikt bleibt dennoch aus, zeigt die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2023“. Ein Interview mit einem der Autoren, Simon Schnetzer (RC Kempten-Residenz).
Herr Schnetzer, im Jahre 2010 haben Sie die Jugendstudie Junge Deutsche gegründet und finanzieren sie privat. Seit 2020 erscheint sie in halbjährlichem Turnus. Was waren damals Ihre Ziele, gelten diese heute noch oder haben sie sich ein Stück weit geändert?
Das Ziel war es von Anfang an, junge Menschen an der Gestaltung der Zukunft zu beteiligen. Ich habe schon in der ersten Studie 2010 kleinere Stadtstudien durchgeführt, damit junge Menschen erleben können, welche Probleme und Bedürfnisse sie mit anderen teilen, um diese dann der Politik als Aufgabe mitzugeben. Mittlerweile freue ich mich, dass sämtliche Leitmedien (und das Rotary Magazin) unsere Studien aufgreifen und wir im Auftrag junger Menschen Politik und Wirtschaft informieren.
Wie hebt sich Ihre Studie von der Shell-Jugendstudie ab beziehungsweise was hat Sie und Ihre Mitautoren Kilian Hampel und vor allem Professor Klaus Hurrelmann, der ja auch für die Shell-Studie über viele Jahre Co-Autor war, dazu bewogen, eine Alternative zu etablieren?
Der wertvollste Unterschied ist, dass wir die Zeiten der Krisen und krassen Umbrüche mit Klima, Corona, Krieg und Inflation aus der Sicht junger Menschen dokumentieren und direkt beobachten konnten, was die Krisen mit den Jungen machen. In der neuesten Studie haben wir zudem einen Vergleich zu anderen Generationen eingeführt, den es so in Deutschland bislang nicht gibt. Es war ein lang gehegter Wunsch von Klaus Hurrelmann, aktueller auf Themen und Trends der Jugend eingehen zu können, weswegen ich mich sehr freue, dass er die Studie seit 2020 berät und Teil des Autorenteams ist.
Es gibt derzeit keine Anzeichen für einen Generationenkonflikt – so lautet eines der überraschenden Ergebnisse der Studie, wir müssen uns also an dieser Stelle mal keine Sorgen machen?
Ja, wir können uns ein wenig darüber freuen, dass jüngere und ältere Menschen sich grundsätzlich ganz gut verstehen. Die Spaltung der Gesellschaft, die deutlich mehr jüngere und ältere Menschen umtreibt, erfolgt entlang anderer Brüche und gefährdet den sozialen Zusammenhalt. Die größte Gefahr für einen Generationenkonflikt in der Zukunft sehe ich übrigens bei der Finanzierung der Altersvorsorge. Schon heute ist die Angst vor Altersarmut eine der größten Ängste von Menschen in Deutschland. Besonders hoch ist sie bei den Älteren, aber auch bei den Jüngeren ist sie sehr ausgeprägt. Junge Menschen fragen sich zu Recht, wie wir ein System in Zukunft finanzieren sollen, das auf die Beiträge der Jungen setzt, von denen es immer weniger gibt und wodurch am Schluss für sie nichts mehr übrig bleibt.
Also reden wir in der aktuellen Situation von einer „Generation Krise“?
Die junge Generation wurde durch die Krise geprägt. Aber ihre Ängste vor Krisen sind gleich ausgeprägt wie bei den Älteren. Stärker ist das Maß, wie Krisen sie psychisch belasten. Wer in einer Partnerschaft lebt, Familie hat, dessen Psyche ist nicht so stark betroffen. Dennoch: Viele Junge haben die Einschränkungen der Corona-Zeit besonders negativ erlebt, denn ihre Bedürfnisse in Sachen Bildung, Freizeit, soziale Bedürfnisse wurden nicht befriedigt. Ihnen fehlte die Experimentierfläche – wer bin ich, wer will ich sein, auch mal über die Stränge schlagen… Außerdem fehlten ihnen ihre Routinen für die Strukturen im Leben oder das Feiern, um sich für die nächsten Prüfungen zu belohnen und andere Anstrengungen zu motivieren.
Warum nicht?
Sie geben sich mit weniger zufrieden, haben Kontaktängste. Sie sind auf Abstand getrimmt. Einige entwickelten sogar eine regelrechte Sozialphobie, weil sie Unsicherheiten fürchten und Angst vor Ablehnung haben. Und wir sehen jetzt: Das macht viele junge Menschen krank und es fehlt an Beratung.
Was sind die Gründe für die Unsicherheit?
Diese jungen Menschen haben in der Krise erlebt, dass sie nicht an Lösungen mitgestalten können. Fernunterricht ist gut, besser wäre gewesen, sie irgendwie einzubinden. Es gab Kinder und Jugendliche, die gesammelt haben für Kriegsopfer in der Ukraine. Sie sind besser durch diese Zeit gekommen. Die Aufgabe und ihre Organisation haben ihnen geholfen. Und Mentoring, zum Beispiel von Studierenden Studierenden für Schüler (ähnlich wie durch das Programm "Rock your Life" organisiert). Beide Seiten fühlten sich dabei wertvoll. Bei den meisten hat sich dennoch eingeprägt: Der Wirtschaft und Politik waren wir egal, also wofür soll ich mich anstrengen, ich stehe den Krisen ohnehin ohnmächtig gegenüber…
Erschreckende zehn Prozent tragen sich mit Suizidgedanken. Können die Eltern das auffangen?
Gespräche mit den Eltern können das zum Teil auffangen. Aber die Einschränkungen durch die Pandemie waren einfach zu lang – nach dem halben Jahr Ausgangssperre gab und gibt es nicht mehr genug Motivation und viele Eltern waren mit ihrem Latein am Ende. Die Jungen fühlen sich überfordert. Und die Eltern waren in einer Zwickmühle; zuhause arbeiten, Home-Schooling, einen völlig anderen Alltag bewältigen…
Wie ging es den anderen 90 Prozent der jungen Menschen?
Manche sind über sich hinausgewachsen, haben ein neues Hobby ausprobiert, sich auf Tiktok verwirklicht oder sich selbst in Sachen Muckis, Kochkünste und Beauty optimiert. Aber jeder wird durch sein Umfeld geprägt. Und einige haben eben nur gesehen, dass sie vieles nicht mehr machen konnten und sind in tiefes Loch gefallen.
Wie kann man sie da wieder rausholen?
Zum Beispiel mit „Rock your life“, einem Mentorenprogramm aus München. Jeder Schüler, jede Schülerin tritt als Mentor für Jüngere an und wird gleichzeitig von Älteren betreut. Es hilft, wenn jeder und jede mit seinen/ihren Problemen und Bedürfnissen wahrgenommen wird. Für die Zukunft sollten wir Strukturen schaffen, auf die wir zurückgreifen können, wenn die nächste Krise kommt, auch in Sachen Finanzen, Altersarmut etc. Und wir sollten überlegen, wie wir Betroffene besser einbinden in politische Entscheidungen. Denn Studien zum Thema zeigen, dass viele junge Leute mit Rückblick auf Corona Danke sagen, vor allem, wenn jemand zuhörte.
Das heißt für die Politik?
Mehr zuhören, auch lokal. Gerade im Schul- und Ausbildungsumfeld. Die Schulämter sollten für die Rahmenbedingungen sorgen. Denn die Studie zeigt: Neben der Familie geben vor allem Ziele den Jungen einen Sinn im Leben.
Wir Älteren müssen uns indes fragen, was sie motiviert. Im Moment ist es Geld, wegen der Inflation und der großen Zukunftsangst. Aber Spaß bei der Arbeit, ein Ziel zu erreichen, Erfolgserlebnisse – das lässt sie auch Leidenschaft entwickeln. Für uns heißt das zu überlegen: Wie formulieren wir eine Aufgabe? Junge verunsicherte Menschen brauchen mehr Klarheit. Und es zählt, wie fair der Umgang mit ihnen ist.
Wie erklären Sie sich die ebenfalls auffällige Diskrepanz zwischen der gefühlt überall vorherrschenden Meinung „Die Jugend ist faul“ und dem Studienergebnis „hohe Leistungsbereitschaft der 14- bis 29-Jährigen“ und vor allem „hochmotivierte 30- bis 49-Jährige“?
Junge Menschen sind nicht weniger motiviert zu arbeiten, doch sie wollen anders arbeiten. Für Führungskräfte bedeutet das eine große Umstellung, dass junge Menschen sich ständig (am besten instant) Feedback wünschen. Wer sich nicht bewusst macht, dass dies aus der Smartphone-Sozialisierung herrührt und normal ist , könnte meinen, dass sie gar nicht wirklich arbeiten wollten. Die 30- bis 49-Jährigen stecken in der großen Schaffensphase des Lebens mit Kindern, Karriere und vielen auch finanziellen Verpflichtungen. Sie müssen zudem viel leisten, um ihren eigenen Erwartungen an das Leben gerecht werden zu können.
Gibt es Handlungsempfehlungen Ihrerseits – für PolitikerInnen und ArbeitgeberInnen?
Das größte Versäumnis der Corona-Krisenphase und die wichtigste Aufgabe für die Zukunft: Wir müssen junge Menschen gerade in Krisensituationen stärker beteiligen, damit sie Krisen als gestaltbar erleben und daran nicht psychisch zerbrechen. Außerdem haben wir nur diese eine Jugend und wir wollen, dass sie das System, das wir schaffen, weiterführen. Diese Aufgabe werden sie nur annehmen, wenn sie sich mit „dem System“ identifizieren. Insofern ist es in unserem eigenen Interesse, junge Menschen jetzt schon stärker einzubinden. Je mehr wir gemeinsam gestalten, desto mehr profitieren wir. Wir müssen zum „Wir“ kommen, sonst lehnen die Jungen unsere Bemühungen ab.
Das Interview führten Frauke Eichenauer und Sabine Meinert.
Mehr Informationen unter: www.jugend-in.de