Titelthema
Die grüne Lunge Perus
Von den Anden ins Amazonas-Tiefland – wie Naturschutz trotz steigender Herausforderungen gelingen kann. Eine Erzählung aus dem Regenwald.
Der Blick aus der Höhe der Anden in die rote, über dem endlosen AmazonasRegenwald aufgehende Sonne ist atemberaubend. Ich stehe in Tres Cruces, einem Aussichtspunkt auf fast 4000 Meter Höhe am südwestlichen Rand des Manu-Biosphärenreservats, dessen Kern der Manu-Nationalpark ist. Im Rangerposten Acjanaco geht es um vier Uhr raus. Die Zeit reicht gerade für einen Pulverkaffee, bevor ich mit meinen Kollegen der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) sowie Parkrangern der peruanischen Schutzgebietsverwaltung „Sernanp“ zu einer einwöchigen Tour in den Manu aufbreche. Als Direktor des ZGF-Peru-Teams sind die Touren in die von uns unterstützen Naturschutzgebiete ein besonders wichtiger Teil meiner Arbeit, um mit meinen Kollegen im Feld, den Parkrangern und den Anwohnern in engem Austausch zu stehen.
Hören Sie hier den Artikel als Audio!
Einfach anklicken, auswählen und anhören!
Sind das Menschen da unten?, frage ich mich. Ein Fernglas hilft. Ich erkenne zwei Frauen in der typischen bunten Andenkleidung, die mit je einem Kind langsam den steilen Pfad hinauf in Richtung Tres Cruces gehen. Sie müssen gegen Mitternacht aufgebrochen sein. Auf ihrem Rücken tragen sie etwas Verhülltes, groß und unförmig. Als sie uns erreichen, bitten sie uns, mit den Autos zum nächsten Ort mitfahren zu dürfen. Doch der Chef der Parkranger lehnt ab, und ich stimme ihm zu. Die Frauen transportieren Kokablätter. Auch wenn der traditionelle Anbau im kleinen Stil legal ist, wissen wir nicht, was sich hinter diesem Transport verbirgt, denn der illegale Anbau von Koka für Kokain wird zu einem immer größeren Problem hier im Osten Perus.
Zehn Prozent der globalen Vogelarten
Die Unterstützung der Gemeinden hier im Andenhochland ist ein wichtiger Bestandteil unserer Naturschutzförderung. Wir helfen bei der Vermarktung von Produkten, etwa von Andenbeeren, Honig, Kaffee oder traditionellem Handwerk wie gewebten Schals oder Flechtwaren. Das Manu-Biosphärenreservat ist auf dem Weg zu einem Markenzeichen für Qualität im Einklang mit der Natur. Der Anbau von Koka gehört definitiv nicht dazu.
Nach fast vier Stunden im Auto, die staubige, nicht asphaltierte Straße hinunter, vorbei an spektakulären Aussichten und steilen, ungesicherten Abgründen, erreichen wir das Ufer des Flusses Alto Madre de Dios im Amazonas-Tiefland. Der Höhenunterschied hat eine Vielzahl von Vegetationsformen entstehen lassen, welche wiederum eine jeweils spezifische Tierwelt beheimaten. Die oben noch knorrigen Bäume des Nebelwaldes werden weiter unten größer und kräftiger. Auf den Ästen ein üppiger Bewuchs von Bromelien, Orchideen und Moosen. Über 1000 Vogelarten (circa zehn Prozent der Vogelarten der Erde) wurden in Manu nachgewiesen.
Manu ist für mich nicht nur wegen seiner enormen und auf der Welt kaum überbotenen Biodiversität faszinierend, sondern auch, weil dort fünf verschiedene indigene Volksgruppen leben. Die vier in der Kernzone des Manu-Nationalparks gelegenen Matsiguenka-Dörfer sind das Ziel dieser Tour.
Jagd mit Pfeil und Bogen
Inzwischen sind wir vom Auto aufs Boot gewechselt und machen einen Zwischenstopp am Kontrollposten Nomole. Dieser wird vom peruanischen Kulturministerium und dem indigenen Dachverband „Fenamad“ betrieben. Dort gibt es immer Neuigkeiten über die indigene Volksgruppe der Mashco Piro, die zurückgezogen, ohne Kontakt zu unserer Zivilisation im Regenwald lebt. Die in der Umgebung von Nomole lebende Gruppe hat sich in den letzten Jahren vermehrt aus dem Wald herausgewagt, um mit den Bewohnern eines nahe gelegenen Dorfes der Yine-Volkgruppe Tauschhandel zu treiben. Konflikte gab und gibt es dabei immer wieder. Die Mashco Piro haben sich zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts in die entlegensten Winkel der Regenwälder zurückgezogen, um dem Sklaventum der Kautschukbarone zu entkommen. Bis heute verweilen indigene Volksgruppen tief in den Urwäldern von Peru, Ecuador, Kolumbien und Brasilien. Fitzcarrald war einer dieser skrupellosen Barone. Auf der Suche nach Kautschuk überquerte er um 1890 herum die am westlichen Rand von Manu gelegene Wasserscheide mit seinem Boot zu Fuß. In der berühmten Fitzcarraldo-Verfilmung mit Klaus Kinski wurde diese Geschichte dann nach Iquitos verlegt.
Inzwischen bin ich an meinem Ziel mitten im Regenwald des Manu-Nationalparks angekommen. Von der sehr rustikalen und von Bewohnern der Matsiguenka-Dörfer betreuten Lodge „Casa Matsiguenka“ aus werden zwei meiner Kollegen für drei Wochen noch tiefer in den Manu reisen. In Zusammenarbeit mit vier abgelegenen Matsiguenka-Dörfern führen sie seit 2013 eine Langzeitstudie durch, um herauszufinden, ob die traditionelle Jagd mit Pfeil und Bogen (keine Schusswaffen) auf Säugetiere – bevorzugt Affen und Wildschweine – sowie diverse Vogelarten den Bestand und somit die traditionelle Nahrung der Dorfbewohner bedroht. Bisher konnte ein leichter Rückgang der Arten in der Umgebung der Dörfer nachgewiesen werden. Steigt die Bevölkerung in den indigenen Dörfern in Zukunft jedoch weiter an, könnte das deren Ernährungssicherheit, aber auch die Biodiversität gefährden. Daher versuchen wir gemeinsam mit den indigenen Dörfern und Parkrangern Nutzungspläne für die verschiedenen Arten zu erarbeiten, um diese Gefahren zu bannen. Auch haben wir mit den Dörfern in einem gemeinsamen Prozess „Planes de Vida“, also Lebenspläne, entwickelt. Ein Thema ragt dabei immer wieder heraus: Bildung für die Kinder. Auch für uns als Naturschutzorganisation ist Bildung ein zentrales Thema.
Daher stoppe ich auf der Rückreise in Boca Manu. In dieser kleinen Siedlung am Rand des Manu-Nationalparks liegt das „Internado“, ein kleines Internat für Kinder und Jugendliche aus den MatsiguenkaGemeinden innerhalb des Parks, das die Möglichkeit zu weiterführender Bildung bietet. Das Internat wurde von der ZGF vor acht Jahren eingerichtet und wird in Zusammenarbeit mit dem peruanischen Bildungsministerium betrieben. Nach Abschluss der Sekundarstufe haben die Mädchen und Jungen jetzt auch Zugang zu einer in Peru anerkannten indigenen Universität und damit eine gute Perspektive für einen qualifizierten Beruf. Bisher gab es für die Matsiguenka-Mädchen nur die traditionelle Rolle als Mutter. Jetzt wollen einige gern als Lehrerinnen in ihre Dörfer zurückkehren, um dort in ihrer Muttersprache zu unterrichten.
Es ist das Ziel des ZGF, noch viel stärker mit den Indigenen zusammenzuarbeiten, um ein gegenseitiges Verständnis zu erzeugen, voneinander zu lernen und durch unsere gemeinsamen Stärken die Naturschutzgebiete langfristig zu erhalten und zu verwalten. Schutzgebiete wie der Manu-Nationalpark, mit 17.162 Quadratkilometern größer als meine Heimat Schleswig-Holstein, und der benachbarte, noch größere Nationalpark Alto Purus sind entscheidend im Kampf gegen den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt. Sie sind eine Lebensversicherung für uns Menschen. Für die Erhaltung solcher Naturschutzgebiete arbeitet mein Team unermüdlich und in enger Koordination mit indigenen Anwohnern sowie staatlichen und nicht staatlichen Organisationen.
© Daniel Rosengren/ZGF