Titelthema
Entartete Imkerei
Bei den Wanderimkern in den USA sind Bienenvölker zum Bienenmaterial pervertiert. In einer erbarmungslosen Jagd nach Profit auf Kosten der Natur und des Tierwohls
Die Vereinigten Staaten tragen mit Recht das Prädikat „Land der Superlative“. In der größten Volkswirtschaft der Welt hat das Streben nach Spitzenleistungen und Erfolg zu beeindruckenden wirtschaftlichen Errungenschaften, kultureller Dominanz und technologischen Innovationen geführt. Auch in der Landwirtschaft setzen Spitzenerträge den weltweiten Maßstab. Mit rund 364 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche sind die USA das größte Agrarland der Welt. Doch es sind nicht nur Soja, Mais, Weizen und Rindfleisch, die hier in einem gigantischen Maße produziert werden. Auch bei anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen beherrschen die Amerikaner den Weltmarkt.
Die Honig-Mandel-Kruste auf unserem Bienenstich führt nicht zum ersten Mal Mandeln und Bienen zusammen. Im San-Joaquin-Tal in Kalifornien wachsen auf einer Fläche, zweieinhalbmal so groß wie das Saarland, 80 Prozent der weltweiten Mandelproduktion. In einem zusammenhängenden Gebiet von fast 1,3 Millionen Hektar stehen 160 Millionen Mandelbäume Spalier und beherrschen das Landschaftsbild, so weit das Auge reicht.
Ohne die im 17. Jahrhundert von den Siedlern nach Amerika gebrachte Europäische Honigbiene (Apis mellifera) wäre die Success-Story des kalifornischen Mandelanbaus überhaupt nicht möglich. „The White Man’s Fly“, wie die Indianer Nordamerikas die Honigbiene nennen, der aus Westasien stammende Mandelbaum, das Klima und die fruchtbaren Böden des Central Valley sind die Basis für diesen Exportschlager des amerikanischen Agro-Business.
Die Blüten des beliebten Steinobstgewächses müssen gleich mehrfach bestäubt werden, um einen optimalen Ertrag zu erzielen. In einem engen Zeitfenster von gerade einmal vier Wochen werden dafür über 1,5 Millionen Bienenvölker benötigt. Honiggewinnung ist dabei bestenfalls Nebensache. Wegen des hohen Pestizideinsatzes in diesen Mandelmonokulturen ist der produzierte Honig oft nicht marktfähig, weil behördlich festgelegte Grenzwerte überschritten werden. Bienenhaltern und Plantagenbesitzern geht es in diesem Geschäft um Bestäubung. Während der Mandelblüte können Imker dafür in nur wenigen Tagen zwischen 150 und 250 Dollar pro Bienenvolk erzielen. Da lohnt es sich, diese aus ganz Amerika und Kanada auf riesigen Bee-Trucks ins Central Valley zu karren. Die großen Sattelschlepper können 400 bis 500 Bienenvölker transportieren.
Wanderimker mit bis zu 10.000 Völkern machen ihr Kerngeschäft nicht nur in der kalifornischen Mandelregion. Sind die Mandelbäume abgeblüht, werden die Bienenvölker auf Paletten gepackt, der Honig wird entnommen, die Karawane zieht weiter.
Kollateralschäden des Big Business
Die nächste Station der Wanderbetriebe ist der pazifische Nordwesten der USA. Dort warten gigantische Obstplantagen mit Äpfeln, Birnen, Kirschen und Beeren auf die Invasion der Heerscharen der Bienen. Bei wärmeren Tagestemperaturen können die Laster ihre lebendige Fracht nur nachts zum nächsten Standort bringen. Transporte am Tag würden die Bienenvölker nicht überstehen und verbrausen.
Im Sommer wandern die Bestäubungsunternehmer weiter und stationieren ihre Bienenmassen im Südosten der USA. In Texas, Georgia, Florida, South Carolina und Arizona oder wieder in anderen Regionen Kaliforniens müssen die Insekten riesige Blaubeerfelder oder Wassermelonenplantagen zu üppigen Ernten verhelfen. Diese Regionen bieten ideale klimatische Bedingungen und Bodenverhältnisse für den erfolgreichen Anbau der wärmeliebenden Früchte.
Wenn der Herbst vor der Tür steht, verlagert sich das rollende Bee-Business an die amerikanische Ostküste. Ziel sind die Beerenfelder in Staaten wie New York und New Jersey oder Gegenden, wo Kürbisse und Winterkürbisse, Cranberrys, remontierende Herbsthimbeeren und Brombeeren auf Bestäubung im großen Stil warten.
Auch klassische Feldfrüchte wie Baumwolle und Alfalfa (Luzerne) sind auf Insektenbestäubung angewiesen. Bei Raps oder Sojabohnen verbessern Bienen die Qualität und den Ertrag der Ernte. Der Beitrag der Imkerei zur Bestäubung landwirtschaftlicher Kulturen wird auf etwa 15 Milliarden Dollar jährlich geschätzt. Am Ende der Bestäubungsrallye ziehen die Wanderimker zur Überwinterung ihrer Bienen in die wärmeren Gebiete des Kontinents. Bis zu 18.000 Kilometer sind die Völker auf Reisen gewesen.
Das Big Business der Beekeeper ist für die Bienen ein Albtraum. Nicht imkerliches Geschick, Empathie und die Sorge um das Wohl der Tiere bestimmen das Leben der intelligenten sozialen Insekten, sondern ausgeklügelte Logistik und betriebswirtschaftliche Kalkulation. In der durchrationalisierten Ausbeutung der Kreatur nimmt man Kollateralschäden ungerührt in Kauf. Verluste durch Bienenkrankheiten, Spritzmittel oder auch Ernte- und Reisestress werden laufend kompensiert durch „Package-Bees“. Frische, unverbrauchte Bienenvölker mitsamt ihrer Königin, aber ohne Wabenwerk, werden in einfachen, belüfteten Holzkisten per Post oder Zustelldienst versendet und sorgen für ständigen Nachschub. Geliefert werden sie von Unternehmen, die sich auf die Nach- und Aufzucht von frischen Bienenvölkern spezialisiert haben.
Es geht auch anders
Sollte bei diesem Business die Kostenstelle Bienenmaterial einmal zu teuer werden oder die Bienenbestände aufgrund von Bienenseuchen zusammenbrechen, hat man – Optimismus ist Pflicht – schon eine Lösung im Blick. An amerikanischen Universitäten arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure bereits an Robo-Bees, fliegenden Minirobotern, die vielleicht in naher Zukunft die Dienste der Bienen in der industrialisierten Landwirtschaft ersetzen können. Der American Dream lässt grüßen!
Von artgerechter Imkerei kann in diesem hochkommerzialisierten System keine Rede sein, eher schon von entarteter Imkerei. Bienenvölker sind zum Bienenmaterial pervertiert in einer erbarmungslosen Jagd nach Profit auf Kosten der Natur und des Tierwohls.
Doch es gibt auch die andere Seite des „American way of beekeeping“. Und da entdeckt man viele Gemeinsamkeiten zu unserer Imkerei. Die American Beekeeping Federation schätzt, dass es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten 125.000 bis 150.000 Hobbyimker gibt. Sie betreuen jeweils nur wenige Bienenvölker. Ihr Backyard-Beekeeping leistet einen bedeutenden Beitrag zur Bestäubung auch in Gebieten, die für die kommerzielle Imkerei uninteressant sind. Sie produzieren Honig für den Eigenbedarf oder zur Aufstockung ihres Einkommens. Sie tragen zur Erhaltung der Bienenpopulation bei und fördern Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein. Mit dem „Urban Farming“ ist seit Beginn der 2000er Jahre auch das „Urban Beekeeping“ in den amerikanischen Großstädten aufgeblüht. Was diese Kleinimker auf beiden Seiten des Atlantiks eint, ist die Liebe zu einer der faszinierendsten Schöpfungen der Natur, die der Mensch für sich dienstbar gemacht hat.
Marzellus Boos