Rotary Deutschland erforscht
Das Bürgertum und die NS-Zeit
Bürgerliche Organisationen taten sich lange schwer, ihre eigene Geschichte zwischen 1933 und 1945 zu erforschen. Das ändert sich jetzt. Auch Rotary Deutschland geht auf Spurensuche.
Man muss kein akademischer Fachhistoriker sein, um die Gründe zu benennen, warum sich genuin bürgerliche Organisationen schwertaten, der eigenen Geschichte der dunklen Jahre 1933 bis 1945 unvoreingenommen ins Gesicht zu schauen. Zu groß war die Scheu, unangenehme Sachverhalte aufzudecken und mit der Erkenntnis konfrontiert zu werden, dass die hehren Ideale nicht immer der wenig prosaischen Wirklichkeit jener Zeit standgehalten hatten. Doch in dem Maße, in dem Rücksichtnahme auf damals engagierte Akteure mit dem Gang der Zeit obsolet wurde, wurde der Platz für unvoreingenommene historische Selbsterforschung frei. So haben viele sich als dezidiert bürgerlich verstehende Organisationen, aber auch nahezu alle prominenten Unternehmen es unternommen, in den Spiegel zu blicken.
rotarischer schlüsselterminus
Rotary ist eine Organisation, die durch und durch vom bürgerlichen Geist der Orientierung auf Menschheitsideale durchtränkt ist. Der vielleicht prominenteste deutsche Rotarier, Thomas Mann, hat vor seinen rotarischen Freunden diesen „humanistischen Impuls“ als Kern rotarischer Identität in einer bemerkenswerten Rede herausgeschält – und daher bietet es sich an, bei einer Introspektion sine ira et studio Rotary Deutschland an seinen Proklamationen zu messen. Es spricht also vieles dafür, sich dazu des in der Geschichtswissenschaft und darüber hinaus etablierten Konzepts der „Bürgerlichkeit“ zu bedienen.
„Bürgerlichkeit“ bringt nämlich jene Lebensweise auf den Begriff, der sich Rotary seit seiner Gründung verschrieben hat: eine von gegenseitigem Respekt getragene Gesprächskultur, in der Leistungsträger aus allen Berufen die Bildung der eigenen Persönlichkeit verbinden mit praktischem bürgerschaftlichen Engagement für das Gemeinwohl. Die auf diese Weise dargebotene Freundschaft ist ein rotarischer Schlüsselterminus, weil er diese genuin bürgerliche Form der Respektbezeugung auf den Begriff bringt.
Insofern muss sich das Verhalten der deutschen Rotary Clubs nach 1933 an diesen selbst gesteckten Maßstäben messen lassen. Man wird kein widerständiges Verhalten um jeden Preis verlangen dürfen, wohl aber die kritische Frage stellen müssen, ob die deutschen Rotarier ihren Maximen gelebter Bügerlichkeit treu blieben – auch und gerade im Umgang mit ihren Freunden jüdischen Bekenntnisses. Denn dies ist der eigentliche Lackmustest, ob Rotary seinen bürgerlichen Idealen treu blieb. Dass bei Rotary jüdische Freunde in nicht unerheblicher Zahl vertreten waren, ist ein Ausweis der hohen Selbstverpflichtung gerade jüdischer Deutscher auf bürgerliche Vorstellungen. Gewiss mag taktisches Lavieren angesichts geänderter politischer Machtverhältnisse erlaubt sein; und die überwältigende Mehrheit bürgerlicher Organisationen hat in der ersten Hälfte des Jahres 1933 den Versuch unternommen, sich der auf einen Schlag zu Problemfällen gewordenen jüdischen Mitglieder zu entledigen. Aber wenn man Rotary an seinen eigenen Maßstäben misst, wird man nicht umhinkönnen, andere Akzente zu setzen als wenn man etwa den Deutschen Fußball-Bund unter die Lupe nimmt, der vor 16 Jahren eine wissenschaftliche Studie über die NS-Zeit in Auftrag gab.
Die Ausgangslage für eine unvoreingenommene Konfrontation mit der eigenen Geschichte ist auch deswegen gut, weil die wichtigsten Aktenbestände der Forschung zugänglich sind. Und es steht zu vermuten, dass in einzelnen Clubs noch viele Dokumente der Entdeckung durch fachkundige Historiker harren. Rotary hat in Deutschland zudem eine nur zehnjährige Geschichte bis zur Selbstauflösung im Jahre 1937 zu verzeichnen, was den Quellenbestand beherrschbar macht.
Allerdings wird man bei einer fairen Würdigung nicht darauf verzichten können, auch die Rolle von Rotary International einzubeziehen.
keine verbeugung vor dem zeitgeist
Eine nüchterne Beschäftigung mit der eigenen Geschichte ist kein Ablasshandel, mit dem man sich von vergangener Sündenschuld loskaufen könnte. Sie darf auch keine mediengerechte Verbeugung vor einem Zeitgeist sein, der nach solchen Sühneopfern verlangte. Sie sollte aus eigener Souveränität erfolgen, weil sie nichts anderes bezeugt als die Aufrichtigkeit einer zutiefst bürgerlichen Umgangsweise mit sich selbst und damit auch mit der eigenen Vergangenheit.
Die Arbeitsgruppe "Rotary und Nationalsozialismus" sammelt Informationen und diskutiert das Thema auf dieser Webseite.
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