Rotary Entscheider
Alte Fesseln und neue Chancen: Hoffen auf bessere Zeiten
BASF-Chef Martin Brudermüller hat gute Ideen, aber schlechte Zahlen. Jetzt soll endlich alles besser werden – trotz schwächelnder Autobranche, Handelsstreit und Corona.
Kaum eine andere Branche bekommt wirtschaftliche Veränderungen so schnell zu spüren wie die Chemieindustrie. Zusätzlich zum Schwächeln der deutschen Autoindustrie und dem Handelsstreit zwischen den USA und China belastet seit dem vergangenen Jahr auch die Coronakrise das Geschäft des immer noch größten Chemieunternehmens der Welt. Martin Brudermüller leitet den Konzern seit 2018, seine Reformen zeigen jedoch noch keine Wirkung. Der Umsatz ist seit Jahren rückläufig und betrug 2020 noch 59 Milliarden Euro, die Mitarbeiterzahl schrumpfte auf weltweit 110.000. BASF wurde 1865 in Ludwigshafen am Rhein gegründet und produziert heute in über 90 Ländern. Hier entstehen chemische Grundprodukte wie Ethylen, Kunststoffe, Industriechemikalien, Nahrungsmittelzusätze wie Vitamine, Kosmetik- und Pharmaprodukte sowie Pflanzenschutzmittel und Saatgut.
Herr Brudermüller, Sie sind da, ich bin hier. Ist es ein Vor- oder ein Nachteil, dass wir uns gegen ein physisches Treffen entschieden haben?
Ich bevorzuge ganz klar persönliche Treffen. Gestik, Mimik, Stimmungen – all das wird über den Bildschirm weniger spürbar. Aber in der aktuellen Situation geht es nun einmal nicht anders. Es gibt aber auch gute Seiten: Termine kommen viel schneller zustande, und ich fliege nicht mehr um die halbe Welt.
Wie hat sich das Arbeiten bei BASF seit der Coronakrise verändert? Wie viele Mitarbeiter sind im Homeoffice?
Schon im ersten Lockdown waren zeitweise 40.000 unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit im Homeoffice. Die kurzfristige Umstellung auf mobiles Arbeiten hat insgesamt sehr gut funktioniert. Virtuelle Meetings gehören für viele inzwischen zur Normalität. Aber ich denke, dass sich die meisten auch wieder darauf freuen, ins Büro zu kommen und bei einer Tasse Kaffee mit den Kollegen zu sprechen. Kreativität und Innovationen brauchen diese persönlichen Kontakte. In Zukunft wird eine ausgewogene Mischung aus mobilem Arbeiten und Präsenz wichtig sein.
Das sind die positiven Lehren aus der Pandemie, aber wirtschaftlich hat die Coronakrise auch Ihr Unternehmen hart getroffen.
Der weltweite Lockdown im Frühjahr 2020 hat die Nachfrage abrupt einbrechen lassen. Das war für uns am deutlichsten spürbar in der Automobilindustrie, mit der wir rund 20 Prozent unseres Umsatzes machen. Trotzdem konnten wir im 4. Quartal einen beachtlichen Schlussspurt hinlegen. Ich blicke insgesamt optimistisch in die Zukunft.
Eigentlich müssten Sie doch wütend sein auf die deutschen Autobauer, weil sie bei der Elektromobilität nur hinterherhinken, diese aber ein gutes Geschäft für Sie verspricht. Nun holen Sie ja immerhin ein wenig auf.
Wir schauen gemeinsam mit unseren Kunden nach vorne. Die Nachfrage nach Elektroautos steigt und entwickelt sich auch aktuell gut. Das ist eine Riesenchance für die Automobilbranche und für uns als Chemieindustrie. Allein für Batteriematerialien rechnen wir mit einem Markt von rund 30 Milliarden Euro im Jahr 2025. Mit unserer neuen Produktionsanlage für Kathodenmaterialien in Schwarzheide wollen wir an diesem Wachstumsmarkt teilhaben.
Schon 2019 kündigten Sie an, mit einem Sparprogramm ab 2021 die Kosten um jährlich zwei Milliarden Euro senken zu wollen. Unter anderem sollten dazu 6000 Stellen abgebaut werden. Welche sind weitere Maßnahmen, und kommen durch die Folgen der Pandemie noch Stellenstreichungen hinzu?
Unsere Unternehmensstrategie gibt die Richtung vor – das gilt auch angesichts der Pandemie. Wir müssen schneller werden, effizienter und die Nähe zum Kunden weiter ausbauen. Den geplanten Abbau von 6000 Stellen weltweit haben wir bereits weitgehend umgesetzt. Zusätzlich werden wir bis Ende 2022 bis zu 2000 weitere Stellen in unserer Einheit „Global Business Services“ abbauen. Für uns sind diese übergeordneten Zielsetzungen wichtig. Kurzfristige Anpassungen aufgrund der aktuellen pandemiebedingten Wirtschaftslage sehen wir nicht vor.
Auch mit Blick auf die hohen Energie- und CO2-Preise: Sorgen Sie sich um die Zukunft des Industriestandorts Deutschland?
Die großen Themen der Zukunft, Digitalisierung und Nachhaltigkeit, erfordern Innovationen. Und diese brauchen Raum zum Wachsen, Mut und Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien. Die Deutschen sind großartige Erfinder, die Ideen sind da.
Bei der Umsetzung wird es dann oft schwierig. Hier wird als Erstes gefragt: Wo liegen die Risiken? In Asien hingegen: Wo liegen die Chancen? Hinzu kommen die zahlreichen regulatorischen Vorgaben aus Berlin und Brüssel. Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit dürfen sich aber nicht ausschließen. Wenn wir die Zukunft von Deutschland und Europa aus mitgestalten wollen, müssen wir mutiger werden. Wir brauchen eine völlig neue Zusammenarbeit zwischen Politik und Industrie, um die anstehende Transformation unter Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit zu meistern.
In den USA erwirtschaften Sie 24 Prozent Ihres Umsatzes, in China zwölf mit stark steigender Tendenz. Was bedeutet für Sie der Handelskonflikt zwischen beiden Mächten?
Meiner Meinung nach geht es dabei auch um einen Wettkampf, wer die Großmacht der Zukunft sein wird. In den vergangenen Jahren hat die politische Polarisierung weltweit stark zugenommen. Das bringt Europa unter Zugzwang, ist gleichzeitig aber eine große Chance. Wenn wir uns wieder mehr auf unsere Stärken besinnen, kann Europa mit China und den USA ein starkes weltwirtschaftliches Dreieck bilden. BASF hat schon immer dort investiert und produziert, wo die Kunden sind. Alle drei Märkte sind für uns also sehr wichtig. In China verfolgen wir beispielsweise mit dem Bau eines neuen Hightech-Verbundstandortes in der Provinz Guangdong ein hochmodernes Großprojekt. Es ist auf einem guten Weg, Mitte 2020 haben wir mit dem Bau erster Anlagen begonnen.
BASF produziert in der autonomen Region Xinjiang, wo die VR China mehr als eine Millionen Uiguren interniert. Müssen Sie ausgerechnet dort agieren?
Wir haben uns vor einigen Jahren aufgrund verschiedener Wettbewerbsvorteile wie beispielsweise niedriger Rohstoffpreise dazu entschieden, dort zu produzieren. Keiner unserer Mitarbeiter arbeitet unter Zwang, das haben wir prüfen lassen. Unser Verhaltenskodex, der unter anderem auch Menschenrechte, Arbeits- und Sozialstandards umfasst, gilt überall auf der Welt.
Man hat den Eindruck, die deutsche Wirtschaft duckt sich weg vor dem autoritären System in China. Wie groß ist das Dilemma zwischen Markt und Moral?
Unsere Wirtschaft ist enger mit der chinesischen verwoben, als viele denken. Viele Arbeitsplätze in Deutschland hängen davon ab, wie die Wirtschaft in China läuft. Auch das hat die Pandemie gezeigt: Als in China Anfang des vergangenen Jahres alles stillstand, gab es Lieferengpässe bei bestimmten Produkten. Auch globale Herausforderungen wie der Klimaschutz lassen sich nur gemeinsam angehen. Ich kenne China sehr gut, habe zehn Jahre in Hongkong gelebt. Die Diskussionskultur in Asien ist eine völlig andere als in Europa. Das heißt nicht, dass Diskussionen und gegenseitige Kritik nicht stattfinden. Das geht aber am besten im vertraulichen Gespräch und auf Augenhöhe.
Sie bauen den Konzern um und haben das ehrgeizige Ziel ausgegeben, ab 2050 klimaneutral zu sein – bei gleichzeitigem Wachstum. Wie soll das gehen?
Das ist tatsächlich eine große Herausforderung. Ironischerweise auch gerade deshalb, weil wir schon so gut vorgelegt haben. Seit 1990 haben wir unseren Ausstoß in absoluten Zahlen halbiert – bei gleichzeitiger Verdopplung unserer Produktion. Erreicht haben wir das durch eine Steigerung der Energieeffizienz und Prozessverbesserungen. Diese Möglichkeiten haben wir quasi ausgeschöpft. Deshalb setzen wir jetzt auf den Einsatz erneuerbarer Energien und die Erforschung völlig neuer Prozesse, zum Beispiel die CO2-freie Produktion von Wasserstoff. Das ist wahnsinnig spannend, aber gleichzeitig erfordert es hohe Investitionen. Hier brauchen wir den Mut und auch die regulatorische Bewegungsfreiheit, die ich anfangs angesprochen habe.
Was bedeutet Ihnen Rotary?
Bei Rotary geht es darum, Menschen zu verbinden, und das rund um den Globus. In den Clubs kommen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, Alter und beruflichen Hintergründen zusammen. Hier entstehen nicht nur Freundschaften, gemeinsam arbeiten diese Netzwerke auch an großen Themen, wie zum Beispiel der weltweiten Bekämpfung von Kinderlähmung. Um globale Herausforderungen anzugehen, braucht es partnerschaftliche Zusammenarbeit und Weltoffenheit.
Das Gespräch führte Björn Lange.